Im Finale der Champions League stehen sich Real Madrid und Borussia Dortmund gegenüber. Während der Finaleinzug von Madrid zwar umstritten, jedoch erwartbar war, schaffte der BVB allein damit schon eine Sensation.
Nachdem das Champions-League-Halbfinale zwischen Real Madrid und dem FC Bayern München auf dramatische Weise endete und erneut die Königlichen die Oberhand behalten hatten, ließen die internationalen Pressestimmen nicht lange auf sich warten. The Guardian aus England fasste die Gefühlslage außerhalb Spaniens damit recht passend zusammen: „Einfach lächerlich. Einfach Real Madrid. Das Team, das diesen Wettbewerb zu beherrschen scheint, das einen mystischen Einfluss darauf hat und den Pokal 14 Mal in die Höhe gehalten hat, ist wieder im Finale, weil, nun ja, weil das eben so ist.“ Denn bis zur 88. Minute sah es beim Rückspiel im Bernabeu so aus, als würden die Bayern erneut zum Spielverderber Madrids. Doch dann leistete sich ausgerechnet Manuel Neuer, der bis dahin eine Weltklasse-Partie abliefert, einen entscheidenden Fehler. Zuerst ein unnötiger Abwurf, ein Ballverlust und dann ein haltbarer Schuss von Vinicius Jr., den Neuer nicht festhalten kann und Joselu abstaubt. Dass dann das Bernabeu komplett aus dem Sattel gehen wird, war klar. Dann kam Joselu erneut und drehte das Spiel in der Nachspielzeit. Am Ende stand jedoch der polnische Schiedsrichter im Mittelpunkt: bei einem Tor von Mathijs de Ligt pfiff Referee Szymon Marciniak zuvor Abseits, nachdem der Linienrichter die Fahne hob – viel zu früh und vor allem falsch. Selbst in der Bundesliga werden teilweise Szenen laufen gelassen, bei denen Spieler meterweit im Abseits stehen – in einem Champions League-Halbfinale darf das nicht passieren.
Am Ende gewinnt irgendwie immer Real
Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Bayern zeigten kein gutes Spiel, verteidigten das zweite Tor eher luftig und haben sich diese Niederlage auch selbst zuzuschreiben. Dennoch ist diese Entscheidung des Schiedsrichters in solch einem Spiel eine absolute Farce.
So kommt es nun, dass das deutsche Finale, dass sich viele wünschten, nicht stattfinden wird. Das lag auch an taktischen Kniffen Carlo Ancelottis, für die Borussia Dortmund nun Lösungen finden muss. Denn Ancelotti zog Dani Carvajal, seines Zeichens Rechtsverteidiger, in offensivere Räume vor und platzierte Jude Bellingham auf dem linken Flügel – warum? Damit Toni Kroos, der das Spiel aus dem linken Halbraum vor der Abwehr ordnete, einen weiteren ballsicheren Spieler auf der Seite hatte. Dadurch, dass Bellingham auf dem linken Flügel agierte, konnte Real in einem kompakten 4-4-2 pressen. Das war neu, denn in der gesamten Saison agierten die Königlichen eher aus einer Raute im Mittelfeld, mit Bellingham auf der Zehn.
Dortmund denkt an 1997
Der Weg ins Finale war über viele Phasen ein leichter, die Gruppenphase wurde mit der vollen Ausbeute abgeschlossen, Probleme gab es keine. Im Achtelfinale sah das jedoch anders aus – denn wenn man ehrlich ist, war RB Leipzig kurz davor, Madrid aus der Champions League zu kegeln. Auch Manchester City stellte die Königlichen, wie auch zu erwarten war, vor riesige Probleme. Doch Real Madrid und Carlo Ancelotti trotzten auch dem Star-Ensemble von Pep Guardiola und zogen durch den Sieg im Elfmeterschießen im zweiten Viertelfinale in besagtes Halbfinale gegen die Bayern ein. Das erste Viertelfinale gegen Manchester City war wohl das beste Champions-League-Spiel in dieser Saison, gespickt mit überragenden Toren und unfassbarem Fußball – teilweise mutete dieses Spiel wie eine andere Sportart an. Nach dem Sieg gegen die Bayern trugen alle Real-Spieler ein Trikot mit der Aufschrift: Auf zum 15. Damit ist der 15. Champions-League-Titel gemeint, was deutlich macht, wie groß die Diskrepanz zwischen den beiden Klubs im Finale tatsächlich ist. Denn aufseiten des BVB steht genau ein Titel aus dem Jahr 1997 in den Vitrinen des Vereins – bei dem es jedoch deutliche Parallelen zum jetzigen Finale gibt. „Die Situation damals kann man tatsächlich mit der von heute vergleichen. Es gibt Parallelen“, sagte der mittlerweile 58-jährige Karl-Heinz Riedle. Riedle hatte im Finale vor 27 Jahren gegen Juventus Turin (3:1) zwei Treffer erzielt. Der BVB sei damals im Halbfinale „irgendwie gegen Manchester United durchgekommen, obwohl wir eigentlich hätten verlieren müssen“, so Riedle. „Das zeigt: Im Fußball ist alles möglich.“
Denn die bisherige Saison von Borussia Dortmund mutet kurios an. In der Bundesliga belegt die Truppe von Trainer Edin Terzić zwei Spieltage vor dem Schluss nur den fünften Tabellenplatz. Trotzdem haben die Westfalen noch die Chance, die Spielzeit mit dem renommiertesten Titel im Klubfußball zu krönen. Das gab es durchaus öfter, dass Mannschaften in ihrer heimischen Liga unterperformen, international jedoch dann Bäume ausreißen. Als Borussia Dortmund 1997 zum letzten und bislang einzigen Mal die Champions League gewann, beendete die Mannschaft von Trainer Ottmar Hitzfeld die Bundesliga auf dem dritten Tabellenplatz. Real Madrid wurde 1998 unter Trainer Jupp Heynckes nur Tabellenvierter in der Primera División, 2000 unter Nachfolger Vicente Del Bosque sogar nur Tabellenfünfter. Als Del Bosque 2002 mit den Königlichen ein weiteres Mal die Champions League holte, wurden die Madrilenen in der heimischen Liga Tabellendritter.
Schwacher Start der Borussia
Bei einem genauen Blick auf den Weg des BVB ist das Finale absolut verdient – auch wenn die Leistungen in der Liga oft nicht so gut waren. Beim Endspielgegner haben die Favoritenkiller jedenfalls Eindruck hinterlassen: „Dortmund steht zu Recht im Finale“, betonte Nationalspieler Antonio Rüdiger. Tatsächlich hat diese Mannschaft einen brillanten Geist entwickelt, eine sprühende Leidenschaft, die stärker ist als die überlegene individuelle Klasse ihrer Gegner– ein Urteil aber, das sich kurioserweise auf das Königsparkett beschränkt. Kein Gegentor gegen Paris Saint-Germain in 180 Minuten, dafür beispielsweise sieben Stück von RB Leipzig: Die Schere bleibt unerklärlich. Aber danach fragt jetzt niemand mehr. „Wir sind mit jedem Spiel gewachsen. Das ist einfach pure Freude und ganz, ganz, ganz viel Stolz“, sagte Trainer Edin Terzić, der wie so viele in Paris mit den Tränen kämpfte. Auch, weil der Weg ins Finale ein turbulenter war. In der Todesgruppe mit Halbfinalgegner Paris, Vorjahreshalbfinalist AC Mailand und dem scheichfinanzierten Newcastle stand nach den ersten beiden Spieltagen genau ein magerer Punkt zu Buche. Doch hervorragende Auftritte, völlig konträr zur Bundesliga, spülten die Dortmunder sogar als Gruppensieger ins Achtelfinale. PSV Eindhoven im Achtelfinale musste man schlagen, Atlético Madrid im Viertelfinale eher weniger. In einer magischen gelb-schwarzen Nacht wurden die Mannen von Diego Simeone mit 4:2 nach Hause geschickt. Über das Halbfinale gegen Paris wurde bisher alles geschrieben. Leidenschaft, Kampf, Wille und das nötige Glück machten den BVB zu einem würdigen Finalteilnehmer.
Logischerweise ist Real Madrid der Favorit im Finale um den Henkelpott, das sieht auch der ewige Toni Kroos so, der in Wembley seinen sechsten Titel in der Königsklasse holen kann. „Das ist noch mal ein ganz anderes Ambiente. Wembley, da machen noch ein paar andere Gefühle was mit Dir. Und ich hoffe, dass das mit uns ein bisschen weniger macht, dass wir zumindest den Vorteil der Erfahrung dort mit hinbringen und das Ding holen“, sagte Kroos und ergänzte: „Aber das ist keine Kampfansage. Dass wir das gewinnen wollen, ist klar.“ Gewinnen will auch der BVB, wo sie schon überlegen, die Pfosten aus Paris, in Wembley zu verbauen. „Vielleicht brauchen wir sie dort erneut“, sagte Sebastian Kehl scherzhaft. Die Rollen sind vor diesem Spiel klar verteilt, waren sie vor dem Halbfinale gegen Paris jedoch auch. Wird es also erneut Real Madrid, zum 15. Mal? Oder wiederholt der BVB die Geschichte von 1997, als gegen den großen Favoriten gewonnen wurde? Am 1. Juni gibt es die Antwort.