Beim Straßenwahlkampf spielten die großen Parteien die Berliner Karte. Doch bundespolitische Debatten um Kampfpanzer und Kohlekraftwerke machten einen Strich durch die Rechnung.
Vor allem ein Thema beherrschte den Berliner Wahlkampf die kompletten sechs Wochen hindurch: Wohin soll die Stadt bei der Mobilität steuern? Die grüne Spitzenkandidatin Bettina Jarasch setzte dabei voll auf die alternativen Fortbewegungsmittel. Berlin soll vor allem Fahrradstadt werden, denn das ist die einzig CO2-neutrale Variante und die ist zumindest in der Berliner Innenstadt ohne Weiteres umsetzbar, so Jarasch.
Dabei geriet die Einkaufsmeile Friedrichstraße im Herzen Berlins in den Mittelpunkt des Wahlkampfes. Noch vor dessen Beginn verfügte das Berliner Verwaltungsgericht, die zweijährige autofreie Zone, zumindest auf 500 Metern der Flaniermeile, muss aufgehoben werden. Politische Breitseite für die grüne Spitzenkandidatin und Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch.
Und Sebastian Czaja, Spitzenkandidat der FDP für die Wiederholungswahl, packte beim Abräumen der Verkehrshindernisse an der Friedrichstraße höchstpersönlich mit an und verteilte gleich noch seine Flyer. Keine zwei Wochen vor dem Wahltermin am 12. Februar rückte dann am Montagmorgen die Mobilitätssenatorin an und baute die Verkehrshindernisse wieder auf, gedeckt durch einen ordentlichen Beschluss aus ihrem Haus.
Nun ist die Friedrichstraße wieder autofrei, also auf 500 Metern der insgesamt drei Kilometer, da lohnt sich doch der Amtsbonus. Eine Provinzposse als Wahlkampfschlager: Dit is Berlin.
Zankapfel autofreie Zone
Auch die CDU in der Hauptstadt nutzte das Thema genüsslich aus und plakatierte großflächig „Berlin für Alle, auch für Autofahrer“. Spitzenkandidat Kai Wegner konnte sein Wahlkampf-Glück kaum fassen, „erneute, autofreie Friedrichstraße“. Und das zum Wahlkampfendspurt. „Da wird an den Berlinern jahrelang vollständig vorbeiregiert und jetzt auch noch Wahlkampf gemacht. Die Menschen müssen ja auch aus dem Umland oder den Außenbezirken zur Arbeit kommen. Da hilft es wenig, die ganze Stadt mit Pop-up-Radwegen, Straßensperrungen oder Radstraßen demobilisieren zu wollen“, freute sich CDU-Spitzenkandidat Wegner. Gerade die geplanten Radstraßen – also die Parkplätze auf der einen Straßenseite kommen weg und dafür wird eine Fahrradspur eingerichtet – hat auch in den bürgerlichen Kiezen, Hochburgen der Grünen, für viel Ärger bei der eigenen Klientel gesorgt. Immerhin sind es die Grünen, die dazu aufrufen, den Verbrenner gegen ein Elektroauto auszutauschen, doch auch das muss ja irgendwo geparkt werden.
SPD-Spitzenkandidatin und Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey sitzt mit ihrer Partei bei dem leidigen Thema „zukünftige Mobilität“ zwischen allen Stühlen. Einerseits ein „klares Ja zu alternativen Mobilitätsformen jenseits des Autos“. Andererseits keine per Holzhammer verordneten „Straßensperren für den Auto-Individualverkehr“, so Giffey. Dabei bekam der Wiederholungswahlkampf noch eine besondere Würze. Die grüne und die sozialdemokratische Spitzenkandidatin sind sich nicht sonderlich zugetan, obwohl beide zusammen mit der Linken die aktuelle Landesregierung stellen. Dabei nimmt die Regierende Bürgermeisterin ihrer Stellvertreterin besonders übel, dass diese noch, bereits bevor verfassungsrechtlich klar war, dass die Abgeordnetenhauswahl wiederholt werden muss, bereits den Wahlkampf für sich und die Grünen eröffnet hat. Eine Sternstunde für politische Berichterstatter in dieser Situation, als das Verwaltungsgericht die „autofreie Friedrichstraße“ vor dem offiziellen Wahlkampf für beendet erklärte und Berlins Bürgermeisterin das Urteil in einem ersten Statement genauso interpretierte. Daraufhin meldete sich keine 60 Minuten später ihre Stellvertreterin Jarasch zu Wort und attestierte ihrer Regierungschefin juristische Unfähigkeit. „Ich glaube, dass Frau Giffey das Urteil gar nicht verstanden hat“, so die Grünen-Politikerin. Zoff zwischen Regierender Bürgermeisterin und ihrer Stellvertreterin in der obersten Etage der Landesregierung. Der Wahlkampf war, zumindest inoffiziell, eröffnet, ohne dass zum damaligen Zeitpunkt überhaupt ein Termin zum erneuten Urnengang feststand.
Wasser auf die Mühlen für die Oppositionsparteien AfD, CDU und FDP im Abgeordnetenhaus. Die reiben sich seither vergnügt die Hände, wenn sich die beiden Bewerberinnen auf den Posten der Regierenden Bürgermeisterin im Wahlkampf in die Haare kriegen, während sie im Roten Rathaus bis zum Wahltag weiter zusammen regieren müssen. Die grünen Spitzenkandidatin nannte diesen Umstand dann auch treffend „schizophren“. Für Grüne und SPD kommen in diesem Wahlkampf dann auch noch die Silvester-Krawalle, vor allem im Bezirk Neukölln, erschwerend hinzu. Polizisten, Feuerwehrleute und Erstretter wurden beschossen, Einsatzfahrzeuge massiv angegriffen. Die Verantwortung dafür wird innerhalb des regierenden rot-grün-roten Bündnisses hin und her geschoben.
Keine zwei Wochen später traf es dann erneut die Grünen. Eigentlich wollten auch sie nur Berliner Themen machen, doch das Protestdorf Lützerath in Nordrhein-Westfalen wurde geräumt, um per Tagebau die Braunkohle rauszuholen. An den Wahlkampfständen der Grünen geht es in diesen Tagen hoch her. Doch Spitzenkandidatin Jarasch bleibt gelassen: „Ich hätte mir das schlimmer vorgestellt, aber offensichtlich haben viele unserer Wähler begriffen, dass auch eine Energiewende nicht ohne Kompromisse gelingen kann.“ Kaum war Lützerath geräumt, traf SPD und Grüne wenige Tage später die Debatte um die Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine. Schon wieder ein bundespolitisches Thema, dass man im Berliner Wahlkampf nicht haben wollte. Nun ist es da und die wochenlange Unentschlossenheit des Kanzlers ist für SPD und Grüne wenig hilfreich an den Wahlkampfständen in den Straßen und auf den Plätzen der Bundeshauptstadt. Den Oppositionsparteien im Berliner Landesparlament hilft das kaum. Eine reale Chance auf einen wirklichen Regierungswechsel geben die Umfragen nicht her.
Das stört die AfD mit ihrer Spitzenkandidatin Kristin Brinker aber nicht weiter. Auch im Wahlkampf setzt sie auf „wirksame Opposition“. Was bleibt Brinker mit ihrer Landes-AfD auch anderes übrig? Weder CDU noch FDP würden eine Regierung mit ihr bilden. Darum freut sie sich, dass ihre Partei nunmehr als feste Größe auch in der Berliner Politik angekommen ist und sie auch in den Medien langsam einen „Fuß in der Tür“ hat und tatsächlich auch gesendet und gedruckt wird, so Brinker.
Wahlkampf mit Köpfen
Der FDP-Wahlkampf ist eine echte One-Man-Show. Stadtweit haben die Liberalen die Straßen Berlins mit ihrem Spitzenkandidaten Sebastian Czaja zugekleistert. Der Liberale ist Fraktionschef im Abgeordnetenhaus und einer von drei Stellvertretern der Landes-FDP und versucht Wahlkampf nach dem Vorbild seines Idols, Bundesparteichef Christian Lindner. Omnipräsenz auf Plakaten. „Was sollen wir machen, wenn ich das einzig bekannte Gesicht in der Partei hier in Berlin bin?“, sagt Czaja lachend gegenüber FORUM-Kamera. Für die FDP geht es in diesem Wiederholungswahlkampf weniger um die Oppositionsrolle, als vielmehr um das Ziel, überhaupt wieder ins Parlament reinzukommen. Bei Umfragewerten zwischen fünf und sechs Prozent eine echte Wackelpartie. Die dritte Oppositionspartei ist die CDU mit Kai Wegner. In den Umfragen führen die Christdemokraten von der Spree derzeit mit irgendwas um 22 Prozent. „Vorsicht“, mahnt Kai Wegner, „abgerechnet wird am Wahlabend, nicht vorher“. Wegner ist im Wahlkampf gespalten, poltert gegen die SPD, schmust mit den Grünen. Wenn die CDU eine realistische Regierungsoption haben will, dann nur mit den Grünen und damit mit Bettina Jarasch. Beide sind betont per du. Kai Wegner zelebriert das verbal auch in jeder sich bietenden Gelegenheit. Bei Podiumsdiskussionen zur Wiederholungswahl entsteht der Eindruck, Wegner und Jarasch, oder Jarasch und Wegner, je nachdem wer am Wahlabend die Nase vorn hat, sind schon längst in ihren Koalitionsverhandlungen angekommen. Laut Umfragen könnte es für Schwarz-Grün, oder eben umgekehrt, vielleicht auch allein reichen. Doch ein Dreierbündnis im zukünftigen Abgeordnetenhaus ist eher wahrscheinlich. Der letzten Umfrage zufolge würde es für alle Varianten reichen. CDU, Grüne und FDP. CDU, SPD und FDP. CDU, Grüne und SPD. Je nachdem auch Grüne, SPD und FDP. Oder das bestehende Bündnis unter umgekehrter Führung: Grüne, SPD und Die Linke.
Letztere sind bei diesem Wahlkampf medial völlig untergegangen. Das lag nicht nur daran, dass der linke Spitzenkandidat Klaus Lederer gleich zu Beginn der Wiederholungswahl-Kampagne etwas unglücklich in mehreren Interviews, auch gegenüber FORUM, erklärte: „Ich bin zu allen politischen Themen sprechfähig.“ Davon sollten die Wähler eigentlich ausgehen, dass der Spitzenkandidat der Linken alle Themengebiete auch inhaltlich abdecken kann. Doch Lederers unvorhergesehene erneute Kandidatur in Berlin stand von Anfang an unter keinem guten Stern.
Der linke Shootingstar an der Spree ist seit Dezember 2021 Katja Kipping, die damals ernannte Sozialsenatorin. Seit ihrer Ernennung war sie es, die in den Schlagzeilen stand – Kipping, nicht Lederer. Und sie bestimmte das Bild der Partei in Berlin. Doch Wiederholungswahl bedeutet, die alten Spitzenkandidaten müssen wieder antreten. Also Klaus Lederer, der Wahlverlierer vom September 2021, der in den Beliebtheitswerten bei den Umfragen gar nicht auftaucht. Die Linke wäre nicht die Linke, auch an der Spree, wenn sie diesen unglückseligen Wahlkampf-Voraussetzungen nicht noch eins draufgesetzt hätte. Der Kreisverband Schöneberg lud zu allem Überfluss die mehr als umstrittene Sarah Wagenknecht zum Straßenwahlkampf auf den Crelle-Markt ein. Damit desavouierten die Genossen endgültig ihren Spitzenkandidaten Klaus Lederer und den heimlichen Star Katja Kipping.