Statt einen Riesenschritt Richtung Klassenerhalt zu machen, müssen die Unioner plötzlich den direkten Abstieg fürchten. Der Trainer wird deswegen von seinen Aufgaben entbunden.
Im nächsten und letzten Heimspiel der Saison bekommen die Unioner vor Augen geführt, was Trainertreue bedeutet. Für Gästecoach Christian Streich ist das Duell mit den Eisernen am 18. Mai das letzte Spiel mit dem SC Freiburg nach fast 13 Jahren. Nur Frank Schmidt von Aufsteiger 1. FC Heidenheim ist noch länger im Amt bei einem aktuellen Bundesligisten. Urs Fischer war in diesem Ranking mal die Nummer zwei, doch der Schweizer musste im vergangenen November nach fünf Jahren bei Union Berlin seinen Trainerstuhl räumen. Es war damals angesichts der festgefahrenen Situation eine schmerzvolle, aber nachvollziehbare Entscheidung gegen den Aufstiegscoach gewesen. Doch rückblickend lässt sich feststellen: Nach einer kurzen Erfolgssträhne ging es zuletzt unter Fischer-Nachfolger Nenad Bjelica wieder rapide bergab. Zwei Spieltage vor Saisonschluss ist das Team auf den Relegationsrang 16 abgestürzt. In der aktuellen Saison hat nur der als Absteiger feststehende Tabellenletzte SV Darmstadt 98 (21 Mal) häufiger verloren als Union (18). Die Talfahrt wurde Bjelica am vergangenen Montag zum Verhängnis, der Kroate und sein Trainerteam wurden freigestellt.
Das 3:4 am vergangenen Wochenende zu Hause im Keller-Duell gegen den VfL Bochum war der vorübergehende Tiefpunkt. Plötzlich ist sogar der direkte Abstieg wieder ein Thema. Bei einer Niederlage an diesem Samstag (11. Mai) im Auswärtsspiel beim Tabellenvorletzten 1. FC Köln würde der Vorsprung auf drei Punkte schmelzen. Die Kölner werden versuchen, mit allen Mitteln ihre allerletzte Chance auf den Klassenerhalt zu nutzen und den Druck auf Union nochmals massiv zu erhöhen. Am letzten Spieltag ist für die Eisernen ein Heimspiel gegen den SC Freiburg angesetzt. „Wir versuchen alles, direkt in der Liga zu bleiben. Aber wir müssen uns mit allen Szenarien auseinandersetzen und auf alles gefasst sein“, sagte Mittelfeldspieler Rani Khedira, der die Medienberichte über eine bevorstehende Trennung von Bjelica zu jenem Zeitpunkt nicht kommentieren wollte: „Da bin ich der falsche Ansprechpartner.“
Das ist bei Union Dirk Zingler, und der Präsident hatte Bjelica vor dem Spiel gegen Bochum den Rücken gestärkt. „Nenad Bjelica hat unsere volle Unterstützung“, hatte Zingler im TV-Interview gesagt und einen Medienbericht, wonach eine Trennung spätestens nach Saisonende längst beschlossene Sache sei, nicht bestätigt: „Uns berührt nicht, was außerhalb des Clubs geschrieben oder gesagt wird. Zwischen uns, die Verantwortung tragen im Club, und der Mannschaft gilt nur das, was wir uns untereinander sagen.“ Doch nur einen Tag später folgte die Kehrtwende in der T-Frage. Marco Grote wird bis Saisonende als Interimstrainer übernehmen, genau wie unmittelbar nach der Trennung von Fischer. Ihm zur Seite stehen die Co-Trainer Marie-Louise Eta und Sebastian Bönig.
Zumindest die desolate erste Halbzeit gegen Bochum hat gezeigt, dass es unter Bjelica nicht mehr weitergehen konnte. Was hätten die Berliner für eine Spielnote im ersten Durchgang verdient? „Eine glatte Sechs“, antwortete Khedira ehrlich. Viel mehr konnte er zu dem mutlosen Auftritt nicht sagen: „Wenn du so eine katastrophale erste Halbzeit spielst, da fehlen mir echt die Worte.“ Dabei stand so viel auf dem Spiel, jeder Profi wusste, dass der Sieger des Duells einen Riesenschritt Richtung Klassenerhalt machen wird. Umso unerklärlicher ist der Auftritt in den ersten 45 Minuten. „Ich verspreche, dass wir nächste Woche ganz anders auftreten werden“, sagte Khedira. Doch das versprechen die Profis eigentlich seit Wochen, ohne das sich wirklich viel verbessern würde.
Trainer-Aus bereits am Montag
Nur in den ersten Minuten und nach dem Seitenwechsel präsentierten die Unioner, was es im Abstiegskampf der Bundesliga braucht: Einsatz, Zweikampfstärke, Mut. Doch nach dem ersten Gegentreffer nach einem Konter fiel all das zwischenzeitlich wie ein Kartenhaus zusammen. Dass beim Champions-League-Starter dieser Saison dank einer Leistungssteigerung und der Tore von Yorbe Vertessen (59.), Chris Bedia (62.) und Benedict Hollerbach (74.) nochmal Hoffnung aufkam, war lobenswert – brachte am Ende aber auch nichts Zählbares ein. Natürlich nahmen die Diskussionen um den kurze Zeit später entlassenen Trainer nach der bitteren Heimpleite zu. Dass Bjelica nach nur einem halben Jahr Union spätestens nach der Saison hätte gehen müssen, stand laut Medienberichten bereits fest. „Auf einmal ist der Verein, der immer anders sein will, dann in einem Punkt doch wie jeder andere“, schrieb die „Berliner Zeitung“.
Bjelica wusste vor dem Bochum-Spiel angeblich von nichts. Und auch Zingler gab sich vor dem Anpfiff alle Mühe, ein Abrücken vom Kroaten in der Öffentlichkeit zu vermeiden. „Bjelica hat seine Punkte gemacht, die er machen musste, er hat den Auftrag, uns in der Klasse zu halten“, sagte der Präsident. Zingler betonte, dass der Rucksack, den die Spieler aktuell mit sich schleppen, noch aus der schwachen Hinrunde herrühre: „Da haben wir nicht gut gespielt.“ Und deshalb geht es in diesem Saisonfinale anders als in den Vorjahren nicht darum, den Einzug ins internationale Geschäft perfekt zu machen, sondern den existenziell wichtigen Klassenerhalt zu schaffen. „Wir sind mental darauf vorbereitet“, sagte Zingler, „dass wir im Mai punkten müssen“.
Die Bochumer hatten dagegen allen Grund zum Freude – allen voran Torschütze Keven Schlotterbeck. Der Abwehrchef wollte sich danach „vielleicht eine Pizza und ein Bier“ gönnen – aber zum Feiern brachte er nicht mehr die Energie auf. „Ich ziehe meine Regenerationsstrümpfe an, lege mich aufs Sofa und werde wahrscheinlich erst um vier Uhr einschlafen, weil es so nervenaufreibend war, dass es kracht.“ Für Schlotterbeck war es eine hochemotionale und erfolgreiche Rückkehr. Bochums Innenverteidiger war in Unions Premierensaison in der Bundesliga 2019/20 vom SC Freiburg ausgeliehen. Er habe ein „wirklich tolles Jahr“ unter dem damaligen Cheftrainer Urs Fischer gehabt, sagte Schlotterbeck dem RBB: „Vor allem im Defensivspiel habe ich viel von ihm gelernt. Das hohe Rausschieben in der Fünferkette, das Eins-gegen-eins, da hat er mir schon gezeigt, wie ich es noch besser machen kann.“ Dass er sich in den vergangenen Jahren als Bundesligaspieler etabliert und beim VfL inzwischen sogar ein Leistungsträger geworden ist, „liegt auch an Urs Fischer“, meinte der Bruder von Nationalspieler Nico Schlotterbeck, der ebenfalls mal leihweise bei den Eisernen unter Vertrag stand.
Keven erinnerte sich anlässlich des Gastspiels in der Alten Försterei an „eine sehr schöne Zeit“ zurück, „ich habe mich extrem wohl gefühlt“. Die Zeit im rot-weißen Trikot habe ihn geprägt, „weil es auch mein erstes Bundesliga-Jahr war, in dem ich mehr als 20 Spiele gemacht habe. Deswegen ist es auch immer wieder schön, bei Union Berlin anzutreten.“ Auch um den Abwehrspieler hat es zuletzt – wie bei Teamkollege Kevin Stöger – Spekulationen um einen Wechsel zu Union gegeben. „Es wird immer viel geschrieben“, sagte Schlotterbeck dazu: „Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich nichts dazu sagen, weil ich mich voll und ganz auf den VfL Bochum und unser großes Ziel, den Klassenerhalt, konzentriere.“ Nach Ende der Saison werde sich mit seinem Berater an einen Tisch setzen „schauen, was die Zukunft bringt“.