In seinem zweiten Jahr bei Eintracht Frankfurt startet Can Uzun richtig durch. Sein Club will ihn noch möglichst lange halten. Der DFB darf derweil nicht mehr auf ihn hoffen. Uzun spielt für die Türkei und träumt von Großem bei der Heim-EM 2032.
Die ersten Wochen der neuen Saison waren seine. In den ersten fünf Spieltagen der Fußball-Bundesliga traf Can Uzun in jeder Partie genau einmal für Eintracht Frankfurt. In der Torschützenliste stand er direkt hinter Bayern-Star Harry Kane auf Platz zwei und bereitete insgesamt noch drei weitere Treffer vor. Auch beim 5:1 in der Champions League gegen Galatasaray Istanbul traf er, legte dazu noch einige Tore auf. Sein „Kicker“-Notenschnitt stand bei einer starken 2,2, und als das Portal transfermarkt.de im Oktober die neuen Marktwerte veröffentlichte, rauschte Uzun von 18 Millionen Euro auf 45 Millionen hoch. Und das alles erreichte Can Uzun als Teenager. Den 20. Geburtstag feiert er erst am 11. November.
Der Marktwert wird vermutlich noch weiter steigen, und in Frankfurt vermuten viele schon den nächsten Multimillionen-Transfer, denn schließlich gehört das auch zur Erfolgsphilosophie der Hessen in den vergangenen Jahren. Seit Sommer 2023 waren Randal Kolo Muani (für 95 Millionen Euro zu Paris Saint-Germain), Hugo Ekitiké (für 95 Millionen zum FC Liverpool) und Omar Marmoush (für 75 Millionen zu Manchester City) für über 250 Millionen gewechselt. Doch sein Trainer Dino Toppmöller will Uzun aktuell für kein Geld der Welt verkaufen. „Er ist sicher sehr interessant für die eine oder andere Mannschaft, die schon ein Auge auf ihn geworfen hat“, erklärte er mit einem Lächeln: „Aber den behalten wir jetzt mal noch schön hier, den Kerl. Und dann haben wir auch viel Freude an ihm.“ Auch Sportvorstand Markus Krösche bestätigte indirekt, dass man vor Sommer 2027 auf keinen Fall an einen Verkauf denke. „Wir haben immer einen Dreijahresplan, wenn wir junge Spieler holen“, sagte er. „Im ersten Jahr ankommen; im zweiten Jahr performen; im dritten Jahr auf dem Peak sein.“ Uzun befindet sich erst am Anfang des zweiten.
Dreijahresplan für junge Spieler
Er sei „in unserem Offensivspiel immer ein Faktor, unabhängig vom Gegner“, sagte Toppmöller. Zumal sich Uzuns Wert für die Truppe trotz der erfolgreichen Scorer-Werte nicht nur über Treffer definiert. „Er ist noch mal ein ganz anderer Spielertyp“, erklärte der Coach: „Omar und Eki hatten einen brutalen Speed und ein brutales Eins-gegen-Eins. Er ist eher der Zehner, der Spielmacher, der Techniker, der auch andere noch mehr in Szene setzen kann.“ Und das Wichtigste: Uzun ist kein Schönspieler! „Er weiß, dass Fußball manchmal auch Arbeit bedeutet“, lobte sein Trainer.
Und auch abseits des Clubs prasselt längst Lob von allen Seiten auf den Jungstar ein. Er sei „mehr oder weniger der beste Fußballer“ in dieser Eintracht-Mannschaft, schwärmte beispielsweise der frühere Nationalmannschaftskapitän Michael Ballack als DAZN-Experte: „Er ist einer der absoluten Topspieler in dieser Mannschaft und immer in der Lage, ein Tor zu machen.“
Dies war letztlich eine Verteidigungsrede, weil Toppmöller Uzun beim 1:5 in der Champions League bei Atlético Madrid schon nach rund einer Stunde beim Stand von 1:3 vom Spielfeld genommen hatte. Das sei „überraschend früh“ gewesen, analysierte Ballack, denn die Wende hätte er den Hessen vor allem mit Uzun zugetraut. Doch Toppmöller erklärt seit Wochen, dass man sowohl wegen latenter Oberschenkelprobleme bei Uzun vorsichtig sei, als auch deshalb, weil es für ihn „eine neue Belastung auf dem Intensitätslevel“ sei. Schon im Vorjahr war er auf 31 Pflichtspieleinsätze gekommen, aber oft gegen Spielende von der Bank, und er hatte auch mal das ein oder andere Spiel ohne Pause. In dieser Saison ist er so wichtig, dass das gar nicht mehr möglich ist. In den ersten neun Pflichtspielen stand er immer in der Startelf, wurde aber achtmal ausgewechselt.
Beim einen oder anderen Mal wirkte er dabei höchst unzufrieden, wenn er vom Feld musste. Uzun ist extrem ehrgeizig, manchmal auch ein wenig ungeduldig. Als er im Februar nach einem Tor demonstrativ den Zeigefinger auf die Lippen legte und nach der Geste gefragt wurde, antwortete er nur: „Ich will halt mehr spielen.“ Auf die Frage, ob ihn der Rummel um seine Person störe, antwortete er: „Der Hype stört mich nicht, und ich will etwas zurückgeben. Und ich will diesen hohen Erwartungen standhalten.“ Und als er gefragt wurde, ob er der nächste Jamal Musiala sein könne, antwortete er selbstbewusst: „Ich will nicht der nächste Musiala, sondern der erste Can Uzun sein.“
Schon mit 13 Jahren nach Nürnberg
Bei manchem deutschen Fan kommt dennoch direkt der Gedanke auf: Musiala, Uzun und Florian Wirtz – das wäre doch ein wahres Zaubertrio für die Nationalmannschaft. Doch der Zug ist für den DFB bereits abgefahren. Obwohl er in Regensburg geboren ist, entschied Uzun sich für die Nationalmannschaft der Türkei, das Heimatland seiner Eltern. Wie sein Jugendfreund Kenan Yildiz, den er bereits seit dem Kindergarten kennt. Auch Yildiz spielte bei Jahn Regensburg, ging aber 2012 mit sieben schon zum FC Bayern München. 2022 wechselte er zu Juventus Turin und ist längst türkischer A-Nationalspieler.
Uzun hatte sich 2013 dem FC Ingolstadt angeschlossen. 2019, mit 13, holte ihn der 1. FC Nürnberg. Die Franken boten ihm eine Wohnung an, er lehnte ab. „Er wollte zu Hause bei uns in Regensburg bleiben, dort, wo seine Familie ist. Can ist ein Familienmensch“, sagte sein Vater Özcan der „Mittelbayerischen Zeitung“. Özcan Uzun war einst Stürmer für Türkgücü Regensburg, danach arbeitete er als Busfahrer in Regensburg – bevorzugt im Spät- und Nachtdienst, damit er tagsüber seinen Sohn zum Training fahren konnte. Und er gab ihm einen wichtigen Rat mit: „Was mir wichtiger ist, ist seine menschliche Entwicklung“, sagte er: „Im Fußball kann alles schnell vorbei sein, Mensch bist du immer. Ich sage immer zu Can, dass er bodenständig bleiben soll, auch wenn er bekannter wird. Er soll sich niemals für etwas Besseres halten.“
Die Bescheidenheit hat Uzun sich bei allem Ehrgeiz bewahrt. Und Entscheidungen wägt er stets gut ab. Wie Yildiz hatte sich Uzun eigentlich schon früh für die Türkei entschieden. Schon in der U17 spielte er für das Team des Verbandes TFF, führte es zur Europameisterschaft und erzielte beim Ausscheiden in der Vorrunde die einzigen beiden Treffer. Mit 18 debütierte er schließlich schon in der A-Nationalmannschaft. Der DFB hatte dabei nicht geschlafen: Kurz vor seiner Entscheidung versuchten Sportdirektor Rudi Völler und Geschäftsführer Andreas Rettig in persönlichen Gesprächen noch einmal, ihn für Deutschland zu überzeugen. Uzun nahm sich tatsächlich noch einige Monate Zeit zum Überlegen – und bekräftigte danach seine Entscheidung für die Türkei. „Ich habe auf mein Herz gehört. So eine Entscheidung ist keine Karriereentscheidung wie bei einem Vereinswechsel, sondern eine Herzensentscheidung“, sagte er im Sky-Interview: „Die Nationalmannschaft muss man fühlen, und hier haben mein Herz und mein Bauch gesagt, dass die Türkei die richtige Wahl für mich ist.“ Völler sei „unglaublich nett und respektvoll“ gewesen „und hat mir auch gesagt, dass ich auf mein Herz hören soll und keiner böse sein wird, wenn die Entscheidung dann nicht für Deutschland ausfällt. Das tat gut, zu hören. Es wurde kein Druck gemacht. Es war ehrlich, offen und sehr respektvoll.“
Dass er im türkischen Team mit Yildiz zusammenspielen kann, sei „natürlich noch ein Bonus. Kenan ist seit meiner Kindheit mein allerbester Freund. Wir haben so viele Tage auf dem Bolzplatz in Regensburg verbracht, aber nie im Verein zusammengespielt. Das können wir jetzt endlich bei der türkischen Nationalmannschaft nachholen. Wir verstehen uns auf und neben dem Platz blind – und haben sehr viel vor!“
Entscheidung für die Türkei
Mancher munkelte, Uzuns Entscheidung sei auch dadurch beeinflusst worden, dass Nationaltrainer Vincenzo Montella ihm einen Platz für die EM 2024 in Aussicht stellte. Das dementierte Uzun. Er habe „keine taktischen Überlegungen getroffen, mit welcher Nationalmannschaft ich möglicherweise größere Chancen auf Titel habe oder ich bessere Werbedeals bekomme“. Als er kurz vor der Endrunde in Deutschland aus dem vorläufigen Kader gestrichen wurde, schrieb der damals 18-Jährige bei Instagram aber, er sei „sehr enttäuscht“. Er sei „mit ganz anderen Erwartungen“ zur Nationalmannschaft gekommen und könne die Entscheidung nicht nachvollziehen, werde sie aber akzeptieren.
Die WM 2026 rief er danach als sein Ziel aus, doch sein eigentlicher Traum ist ein ganz anderer. „Die EM 2032 ist in der Türkei, und wir sind eine starke Generation mit herausragenden Talenten. Jedes Turnier bis zur EM 2032 ist eine Ehre und die perfekte Vorbereitung. Ich werde alles geben, um Großes zu erreichen.“
Das gilt auch für Eintracht Frankfurt, wo er erst noch ein bisschen bleiben soll, bevor er irgendwann sicher doch zum nächsten Multi-Millionen-Transfer wird.