An der Steilküste Stevns Klint, Unesco-Weltnaturerbe im Süden der dänischen Insel Seeland, wurde ein Besucherzentrum eröffnet. Spannend wird dort erzählt vom Mysterium des Kreidemeeres und vom plötzlichen Aussterben der Dinosaurier.
Das etwas andere Stranderlebnis geht so: Ein unterirdischer Pfad führt bis zum Wasser der Ostsee. Vor einer langgezogenen Kreidewand Stellung beziehen, Rücken zur See, Kopf in den Nacken. Bis zu 40 Meter hoch und fast 20 Kilometer lang ragt die Steilküste auf, auf halber Höhe durchzogen von einem dünnen dunkelgrauen Band, dem Fischton, und gekrönt von grünem, struppigem Buschwerk. Den schmalen, kiesigen Streifen zwischen Meer und Klippen entlang wandern Grüppchen mit und ohne Kinder, den Kopf gesenkt, die Augen zu Boden gerichtet. Manchmal geht einer in die Knie, wühlt im Geröll, hebt etwas auf, dreht es hin und her – und wirft es wieder weg. Bis jemand an der Wasserlinie lauthals ruft und seinen Fund aufgeregt von einer Hand in die andere kugelt.
„Ein versteinerter Seeigel, ein schön gezeichnetes Fossil, aber nicht ganz so spektakulär, wie ihr glaubt. Sucht weiter, man findet immer etwas: Überreste von Korallen im Geröll, Teilstückchen von Seelilien.“ Der Mann muss es wissen, denn er ist einer der Führer des vor einem halben Jahr eröffneten Besucherzentrums „Stevns Klint Experience“ im Boesdal Kalkbruch an der Ostküste Seelands. Nicht weit vom Geomuseum Faxe, wo es im offenen Steinbruch Fossilien in Hülle und Fülle gibt: Haifischzähne, Muscheln, auch sogenannte Donnerkeile, das sind Versteinerungen des hinteren Teils von Tintenfisch-Skeletten. Und etwas südlicher lockt die kleine Insel Moen mit ihren 128 Meter hohen, blitzweißen Kreidefelsen über die Jahre immer wieder Schatzsucher an.
Welche Wunderdinge und dramatischen Momente es in der Geschichte des Lebens und der Erde gab und wie es zu der Katastrophe kam, die die Dinosaurier zusammen mit der Hälfte aller Arten auf dieser Erde auslöschte, erfährt der Besucher eindrucksvoll in dem multimedialen Erlebniszentrum. „Zuerst einmal ist hier das kleine, pelzige Säugetier – wir nennen es Lucky. Es überlebte die Katastrophe, die das Zeitalter der Dinosaurier in das Zeitalter der Säugetiere verwandeln sollte“, erzählt Tove Damholt, die das Zentrum sowie die Ausstellung mit Herz und Leidenschaft mit konzipierte. Es wird hier auch die Geschichte erzählt, wie das Leben weiterging, wie es sich weiterentwickelte und zu dem Leben wurde, das wir heute kennen.
Dänemark war ein großes Meer
Schritt für Schritt geht es auf dem Rundgang hinunter in den Keller und damit 66 Millionen Jahre zurück in die Vergangenheit. Was wir als Dänemark kennen, war damals von einem großen Meer bedeckt – dem Kreidemeer. Die Dinosaurier – Argentinosaurus war der größte, schwer wie 14 Elefanten – lebten an Land und beherrschten die Inseln, gigantische Flugsaurier durchstreiften die Lüfte. Sie waren eine ständige Bedrohung für alle anderen Tiere. Der heutige Besucher steht am Grunde genau jener See, aus der nur Bornholm und Skandinavien herausragten. Es herrschte ein warmes Klima, das Meer war voller Leben – von riesigen Meeresreptilien wie dem 16 Meter langen Mosasaurus bis hin zu Muscheln und mikroskopisch kleinen Algen, den Coccolithen. Deren Überreste wurden über 35 Millionen Jahre auf dem Meeresgrund zu Kreide, die den Kreidefelsen Stevns Klint formte.
Vor 66 Millionen Jahren prallte ein Asteroid auf die Erde. Der riesige Feuerball – größer als der Mount Everest – stürzte vor dem urzeitlichen Mexiko ins Meer. Das Loch des Einschlags war so hoch wie der Eiffelturm und hatte einen Durchmesser von 30 Kilometern, kaum vorstellbar. Erdbeben folgten, Berge brachen auf. Der Tsunami verstärkte gewaltige Vulkanausbrüche in Indien noch zusätzlich. Der Himmel färbte sich rot, die Sonne verschwand, auf der Erde wurde es über Monate schwarz. Alles wurde von Asche und Staub bedeckt. Es wurde kälter und kälter, die Sonne konnte die Erde nicht mehr erwärmen.
Aschewolken und giftige Gase aus Vulkanen veränderten in Bruchteilen einer Sekunde das Erdklima über Jahre. Die Pflanzen an Land und im Meer bekamen kein Sonnenlicht mehr, sie erstickten. Zuerst verhungerten die Pflanzenfresser. Ohne Pflanzenfresser konnten auch die Raubtiere nicht überleben – ihre Nahrung war ausgestorben. Ein Tier nach dem anderen starb in diesen dunklen Tagen, Art für Art.
Ein paar Säugetiere überlebten aber doch in der einsamen und trostlosen Welt – „Lucky“ ist eins davon. Alle heute lebenden Säugetiere haben sich aus dieser Gruppe entwickelt – 6.500 Arten auf unserem Planeten. Eine dieser Arten ist der Mensch, Homo sapiens.
Ein junger Geologe aus Amerika, Walter Alvarez, besuchte am 13. September 1978 Stevns Klint. Ihn interessierte allein das schmale, dunkelgraue Ablagerungsband zwischen Kalkstein und Kreide – der vorgenannte Fischton. In ihm, wo in Abständen Einsprengsel von Feuerstein wie schwarze Perlen an einer Kette zu sehen sind, fand er die kosmischen Spuren der globalen Katastrophe. Die Ausstellung erzählt die Geschichten, die sich in den wellenförmigen Schichten des Kreidefelsens verbergen.
Ein 45 Meter hoher Waldturm
Draußen, im Heute, herrscht Dänemark-Idylle: laubfroschgrüne Landschaft mit ihren sanft rollenden Hügeln, den Rübenäckern, Wiesen voller Blumen, schattigen Waldstreifen, die in gelbblühende Rapsfelder übergehen. Kleine, in kräftigen Farben gestrichene Häuser, vor denen Stockrosen blühen, wechseln mit Bauernhöfen, die sich hinter hohen Pappelwänden verstecken. Auf der tintenblauen See dümpeln weiße Boote, die kleinen Häfen teilen sich Fischer, Yachties und Bootsbauer. Viele weite Strände und die ständige Nähe zum Meer verstärken die Stimmung – kein Ort Seelands liegt weiter als 25 Kilometer von der Küste entfernt.
Langweilig wird es Seeland-Besuchern nicht. Die Insel hält eine verschwenderische Fülle von Broschüren mit Besichtigungstipps bereit, auch kulinarische Empfehlungen. Ja, die Dänen können kochen, hervorragend sogar – mit lokal angebauten Zutaten genauso wie mit frischen Meeresfrüchten. Das Smørrebrød – aus der modernen Küche – bleibt ewig in Erinnerung.
Die Tourenvorschläge sind tadellos ausgewählt, beschrieben und beschildert. In den Wäldern von Gisselfeld wird’s abenteuerlich: Der Wanderpfad durch Haine aus Buchen, den Aristokraten des Waldes, und den größten Kletterpark des Landes endet vor dem 45 Meter hohen Waldturm „Skovtårnet“. Wie eine wunderschön designte Riesenskulptur schraubt er sich über die Baumwipfel in den Himmel. Auf der Turmspitze möchte man die Welt umarmen: der weite Blick, die feuchte Brise von der See, unter dem Meer von Bäumen Herrensitze und Schlösser, in weiter Ferne Fredensborg und Amalienborg, wo Margarete II. zu Hause ist – es ist die Insel der Königin.