Das „Disgusting Food Museum“ in Berlin bietet einen Überblick über Essgewohnheiten und Speisen der Welt – und zeigt auch, weshalb man bei billig in Massen hergestellten Lebensmitteln skeptisch sein sollte.
Was essen wir denn heute? Pizza? Döner? Currywurst? Oder zur Abwechslung vielleicht etwas ganz anderes? „Inspirationen“ bietet das „Disgusting Food Museum“ in Berlin. Dort bekommt man Anregungen aus den Küchen der Welt. Allerdings sollte man schon offen für Unbekanntes sein. Denn frei interpretiert lässt sich der Name der Einrichtung auch mit „Museum der ekligsten Speisen der Welt“ bezeichnen.
Eine kleine Kostprobe gefällig? Wie wäre es als Aperitif mit einer „Mongolischen Mary“ – also einem Tomatensaft, in dem Schafsaugäpfel schwimmen? Die gelten in der Mongolei als besondere Delikatesse. Zum Hauptgang vielleicht ein Fischgericht? „Surströmming“ heißt eine Delikatesse aus Skandinavien, es handelt sich dabei um einen monatelang vergorenen Salzhering. Der beißend faulige Geruch ist vielleicht nichts für empfindliche Nasen, aber in Schweden und manch anderem nordischen Land ist das Gericht etwas ganz Besonderes, auch wenn es wegen des sehr intensiven Geruchs vielleicht eher im Freien verzehrt werden sollte.
Gleiches gilt für die Durian, hierzulande auch Stinkfrucht genannt. Asiaten gilt sie hingegen als „Königin der Früchte“.
Schafsaugäpfel und Stinkfrucht
Mehr als 90 verschiedene Lebensmittel aus aller Welt sind im Berliner „Disgusting Food Museum“ nahe dem Checkpoint Charly zu sehen, von vielen kann man Duftproben nehmen, manche an einer „Tasting Bar“ probieren. Was zumeist einiges an Überwindung kostet – und am Ende immer mit einem Aha-Effekt verbunden ist. Nicht selten fragt man sich anschließend, warum man sich so davor geekelt hat. Probieren und Hinterfragen geht eben über Vorurteile – das ist auch eines der Anliegen dieses ungewöhnlichen Museums.
„Unser Museum richtet sich an alle Freundinnen und Freunde des schlechten Geschmacks sowie an jene, die ihren guten Geschmack hinterfragen wollen. Auf lehrreiche wie unterhaltsame Weise“, sagt Gründungsdirektor Dr. Martin A. Völker.
Das Berliner Museum ist weltweit das zweite seiner Art und entstand im Frühjahr 2021 nach dem Vorbild des gleichnamigen Museums in Malmö, das sich seit 2018 auf die Fahnen geschrieben hat, Essen und Kultur zu verbinden: zu zeigen, wie unterschiedlich die Esskultur rings um den Erdball ist. Und auch dazu beitragen will, Vorurteile abzubauen und Zukunftsperspektiven des Essens zu hinterfragen.
Denn Essensvorlieben unterscheiden sich weltweit stark voneinander. Was für die einen eine absolute Köstlichkeit, ist für andere einfach nur eklig. Wobei Ekel überaus facettenreich ist: Formen und Farben können abstoßen, der Geruch, der Geschmack, die Konsistenz einer Speise ebenso wie die Produktionsbedingungen, die hinter einem Nahrungsmittel stehen.
„Der Ekel ist ein starker erster Eindruck, bisweilen ein schnelles wie notwendiges Vorurteil, das uns vor einer vermeintlichen Gefahr bewahrt. Je länger wir uns solchen Dingen aussetzen, die uns ängstigen oder sogar Ekel hervorrufen, desto mehr beginnen wir zu verstehen, warum sie so sein müssen, wie sie eben sind, und wie wir uns positiv auf sie beziehen können, welchen Reiz oder Vorteil sie uns gewähren“, sagt Martin A. Völker. „Ekel und Ablehnung verwandeln sich in die Bereitschaft, Unbekanntes zuzulassen und zu genießen. So gehen aus der Abschottung durch Ekel Brücken hervor, die kulturell ganz unterschiedliche Menschen verbinden können.“
Wer sich aufmerksam im Museum umschaut, wird schnell merken, wie sehr kulturelle, religiöse und regionale Einflüsse unsere Essgewohnheiten und unsere Lebensmittel bestimmen – und damit auch, wovor wir uns ekeln. So empört es uns Mitteleuropäer zutiefst, dass in vielen asiatischen Ländern die bei uns vergötterten „Kuscheltiere“ Hund und Katze auf dem Speiseplan stehen, wir finden es aber völlig normal, Rinder und Schweine zu verzehren. Wir schwärmen für stinkenden Käse, der ja im Grunde nichts anderes als „vergammelte“ Milch ist und manchmal in modrigen, feuchten Kellern reift, lehnen aber „Harkal“, eine isländische Spezialität aus dem Fleisch des Grönlandhais ab, das, erst im Erdboden vergraben, verrottet und anschließend luftgetrocknet gegessen wird.
Noch wenig Insekten auf dem Speiseplan
Was der Bauer nicht kennt, das isst er nicht, sagt ein Sprichwort. Um Beispiele dafür zu finden, muss man gar nicht die halbe Welt umrunden. Auch ein Lebensmittel aus Sachsen-Anhalt hat es ins Museum geschafft: der Würchnitzer Milbenkäse, der seinen besonders würzigen Geschmack dadurch bekommt, dass winzig kleine, spinnenartige Milben ihn drei Monate lang mit ihrem Speichel fermentieren, bevor er samt der Krabbeltierchen verspeist wird. Schon bei dem Gedanken daran greift mancher zur Kotztüte, die übrigens jeder Besucher vorsorglich als Eintrittskarte bekommt.
Das „Disgusting Food Museum“ will nicht nur dazu ermuntern, die vielfältige Welt des Essens zu erkunden und eigene Geschmacksvorstellungen zu überprüfen. Es will ebenso Zukunftsperspektiven aufzeigen. Ein Beispiel dafür sind Insekten, die zum „Futurefood“ gehören, aber bislang in noch wenigen Ländern auf dem täglichen Speiseplan stehen. Obwohl sie auch in Deutschland hier und da schon pur oder verarbeitet auftauchen, sind sie für die meisten noch mit einem extrem hohen Ekelpotenzial verbunden und werden abgelehnt. Erstaunlicherweise aber sind es gerade Mehlwürmer, Heuschrecken und Co., die an der „Tasting Bar“ des Museums besonders gut ankommen. Als nussig, angenehm in der Konsistenz und ganz und gar nicht eklig werden sie von den Testern beschrieben. Und ja, man könne sie sich gut in verarbeiteten Lebensmitteln oder als proteinhaltigen Snack vorstellen. Man muss sich eben nur trauen!
Wenn Würmer und Krabbeltiere, warum nicht auch mal die Durian probieren: die schöne, stachelige Frucht mit ihrem extrem schlechten Ruf? Es muss doch einen Grund haben, dass sie in Asien als „Königin der Früchte“ bezeichnet wird. Versuch macht klug! Ein beherzter Schnitt durch das Stachelkleid gibt nicht nur den besonderen und – zugegeben – sehr unangenehmen Geruch frei, sondern auch ein gelbliches, puddingartiges Fruchtfleisch. Es in den Mund zu nehmen, kostet schon einige Überwindung. Doch als das erst einmal geschafft ist, passiert ein geschmackliches Wunder: Angenehm fruchtig, süß-säuerlich mit einem Hauch von Ananas, Lauch und Vanille schmiegt es sich an den Gaumen. Wow! Fazit der Testerin: Die Durian ist so, wie der Autor eines britischen Reiseführers sie einst beschrieb: „Sie stinkt wie die Hölle und schmeckt wie das Himmelreich.“