James Bond war gestern. Hoch lebe Benoit Blanc! Daniel Craig ist das Kunststück geglückt, nicht ewig den „Ex-Bond“ vor seinem Namen haben zu müssen. In der Rolle des Meisterdetektivs Blanc hat er sich im „Knives Out“-Franchise noch einmal neu erfunden.

Palmwedel klatschen ins Gesicht, Staub wirbelt auf, umgefallene Dschungelbäume versperren den Weg. James Bond jagt einen Killer. Durch ein Elendsviertel, auf einer Baustelle, mit lebensgefährlichen Sprüngen von Kran zu Kran. Bond blutet an der Stirn, den Händen. Er hastet weiter. In eine Botschaft. Bond im Nahkampf: Knochen krachen. Finger brechen. Maschinengewehr-Sperrfeuer. Fensterscheiben splittern. Bond ballert zurück. Plötzlich: eine Stichflamme. Feuer. Bond entkommt. „Cut!“ Mit dieser zehnminütigen Action-Sequenz aus „Casino Royale“ wurde Daniel Craig 2006 als neuer Bond eingeführt. Wir erleben einen verschwitzen, ramponierten, blutverschmierten Craig in seiner brutalsten Körperlichkeit. „Daniel macht einen Super-Job. Er spielt Bond wirklich neu und originell“, sagt Regisseur und Bond-Veteran Martin Campbell bei den Dreharbeiten auf den Bahamas anerkennend.
Für den britischen Schauspieler Daniel Craig war die Bond-Rolle der Wendepunkt seiner Karriere. Nach „Casino Royale“ wird er den britischen Geheimagenten noch in vier weiteren 007-Filmen verkörpern. Längst halten ihn viele für den besten Bond-Darsteller aller Zeiten. Nach Sean Connery, versteht sich. Dabei war sein Bond-Einstand alles andere als easy. Daniel Craig erinnert sich: „Natürlich wurde mein Ego durch das Bond-Bashing, das parallel zu den Dreharbeiten von ‚Casino Royale‘ losbrach, auf eine harte Probe gestellt. Die meisten Kommentare waren ziemlich bösartig und unter der Gürtellinie. Und ich habe sogar ein paar Hass-Mails bekommen. Aber ich bin hart im Nehmen. Als die Dreharbeiten dann losgingen, habe ich mich sowieso nur noch auf meine Rolle konzentriert und alles andere ausgeblendet.“
007 als Auftakt zur Weltkarriere
Nach dem phänomenalen Erfolg von „Casino Royale“ war man sich einig, dass der smarte Brite seine Arbeit sehr gut gemacht hatte. Daniel Craig verkörperte 007 wieder genauso, wie ihn sein Erfinder, der englische Schriftsteller Ian Fleming, gemeint hat: maskulin, eiskalt, körperlich topfit und geistig unberechenbar. Eben jene legendäre Heldenfigur, die Fleming ganz Martini-trocken so beschrieb: „Bond ist ein interessanter Mann, dem außergewöhnliche Dinge zustoßen.“
Zum Abschluss der Dreharbeiten auf den Bahamas gab es im exklusiven Luxus-Resort „One & Only Ocean Club“ auf Paradise Island ein gigantisches Feuerwerk. Da stand Daniel Craig mit einem Glas Champagner in der Hand auf der Terrasse und schaute staunend wie ein kleiner Junge mit großen Augen in den Himmel. Und jedes Mal, wenn eine dieser gigantischen Raketen explodierte, brachten die Schallwellen die Hosenbeine zum Zittern. Der perfekte Auftakt für Daniel Craigs Weltkarriere.

Natürlich war Daniel Craig auch schon vor „Bond“ als Schauspieler unterwegs. In den 1990ern spielte er sich – mehr schlecht als recht – durch diverse britische TV-Serien und Kinofilme. Anfang des neuen Millenniums war er dann in dem Angelina-Jolie-Action-Vehikel „Lara Croft: Tomb Raider“ (2001) zu sehen und im Thriller „Road to Perdition“ (2002), in dem er, an der Seite von Tom Hanks und Paul Newman, eine ganz gute Figur abgab. Doch es dauerte bis 2004, bis er richtig Aufsehen erregte: unter der Regie von Claudia Schiffers Ehemann Matthew Vaughn mit dem britischen Gangster-Movie „Layer Cake“ (2004). In diesem Film glänzte Craig mit einer coolen Lässigkeit, die nicht zufällig an Steve McQueen erinnerte. Aufgrund dieser geschmeidigen Performance wurde er zum Bond-Casting eingeladen.
Als wir uns zwischen den Bond-Filmen „Ein Quantum Trost“ (2008) und „Skyfall“ (2012) in London zum Interview trafen, meinte er selbstkritisch: „Ich hätte mir nie träumen lassen, dass es einmal so gut für mich laufen würde. Doch vielleicht war ich gerade deshalb immer ziemlich unverkrampft bei der Arbeit. Mein Ziel war eigentlich nur, von der Schauspielerei leben zu können. Und das war lange Zeit schwer genug. Da gab es verdammt lange Durststrecken. Und auch diverse Probleme.“ Auf die Frage, was ihm denn die Zuversicht gab nicht aufzugeben, ist er erst mal still. Will er darauf nicht antworten? Will er überhaupt nicht mehr antworten? (An dieser Stelle sei vermerkt, dass ein Interview mit Daniel Craig ein bisschen wie Russisch Roulette ist: Wenn er gut drauf ist, dann ist er konziliant und mitteilsam. Ist er schlecht gelaunt dann – bam! Ende der Vorstellung. Aber heute ist alles in Ordnung …) Plötzlich lächelt er und lässt seine hellblauen Augen blitzen: „Mein Stehvermögen habe ich mir in einem Liverpooler Rugby-Verein geholt. Das war im wahrsten Sinn des Wortes ein Crash-Kurs in Sachen Blut, Schweiß und Tränen. Denn im Gegensatz zum American Football waren wir nicht mit Schutzkleidung gepanzert, sondern gingen ziemlich ungeschützt aufeinander los. Da kann man weder tricksen noch kneifen. Da steht man seinen Mann – oder geht unter. Ein tolles Überlebenstraining.“
„Neid und Eifersucht machen dich klein“
Daniel Craig wurde 1968 in Chester bei Liverpool geboren. Schon mit 16 Jahren wusste er, dass er Schauspieler werden wollte. In der Schule klappte es nicht wirklich gut, außerdem hing er damals gefühlsmäßig ziemlich durch. „Ich würde sogar sagen, dass ich regelrecht depressiv war.“ Geprägt wurde er von zwei total verschiedenen Welten: Die harte Arbeitswelt seines Vaters, ein Ex-Seemann, der als Stahlarbeiter schuftete, und die seiner Mutter, die Kunsterzieherin war. Er musste sich also entscheiden: „Malochst du dein Leben lang in der Fabrik – oder wagst du es, deinen Traum zu leben? Letztlich gab mir damals meine Mutter den entscheidenden Kick. Sie sagte mir eines Tages ziemlich deutlich, ich solle mein Glück endlich beim Schopf packen und es mit der Schauspielerei versuchen, wenn mir so viel daran läge – oder ein für alle Mal die Klappe halten. Dann hat sie mir ein paar hundert Pfund in die Hand gedrückt, und ab ging’s nach London. Das war 1985. Da war ich gerade mal 17. Ich schlief zunächst bei Freunden auf dem Sofa, bis die mich wieder auf die Straße setzten. Dann in billigen Absteigen. Oder im Hyde-Park. Ich lebte fast wie ein Landstreicher, das machte mir aber überhaupt nichts aus. Ich fühlte mich frei und ungebunden. Das zumindest habe ich mir damals eingeredet. Die Wahrheit war: Ich wurde von Tag zu Tag verzweifelter und hatte furchtbare Existenzangst. Ich bin dann auch bald wieder zurück nach Liverpool. Beim zweiten Anlauf hat es dann zum Glück geklappt.“

Von 1988 bis 1991 ließ sich Daniel Craig an der Londoner Kunsthochschule Guildhall School of Music and Drama professionell zum Schauspieler ausbilden. Auf der Schauspielschule hatte er Kollegen wie Ewan McGregor und Joseph Fiennes. Craig erinnert sich: „Als die beiden ihren großen Durchbruch hatten und internationale Filmstars wurden, ich aber immer noch ganz schön herumgekrebst bin, musste ich das wirklich erst mal verdauen … Aber Neid und Eifersucht sind ganz widerliche Eigenschaften, die einen klein und unfrei machen. Damals hat mir ein Schauspiellehrer den besten Rat bezüglich meines Berufes gegeben. Er sagte: ‚Werde nie bitter. Fange nie an, Kollegen um ihren Erfolg zu beneiden. Konzentriere dich auf das, was du erreicht hast und erreichen kannst.‘ Damit bin ich bis jetzt immer sehr gut gefahren.“
Daniel Craig war zwischen den Bond-Filmen auch in anderen Filmen zu sehen. So zum Beispiel neben Harrison Ford in „Cowboys & Aliens“ (2011), einem verrückten Mix aus Western, Sci-Fi, Fantasy und Herz-Schmerz-Romanze, sowie in „Verblendung“, dem leider sehr unterschätzten „The Girl with the Dragon Tattoo“-Remake unter der Regie von David Fincher. Schon damals versuchte Craig, sein 007-Image mit anders gelagerten Rollen zu konterkarieren. So zum Beispiel in „Logan Lucky“ (2017), dem wunderbar albernen Heist-Movie von Steven Soderbergh: Craig spielt einen im Gefängnis sitzenden, etwas unterbelichteten Sprengstoffexperten und Safe-Knacker, der gern hartgekochte Eier isst. Und in den letzten Jahren glänzte er in den beiden „Knives Out“-Filmen als arg verspulter Meisterdetektiv Benoit Blanc (siehe Film-Tipp, Seite 84).
Nach „Spectre“ (2015) und „Keine Zeit zu sterben“ (2021) war dann endlich Schluss mit Bond. Allein für seinen letzten Bond-Film soll Daniel Craig satte 50 Millionen Pfund Gage bekommen haben. Multimillionär war er bereits schon vorher. Wie kommt man mit so viel Kohle denn eigentlich klar? Verändert das nicht doch den Charakter? Und da ist es wieder, dieses Daniel-Craig-Killer-Lächeln. Dieser hellwache, leicht ironische, laserlichtblaue Blick: „Nicht Geld verdirbt den Charakter, sondern die Gier danach. Und da brauchen Sie sich um mich keine Sorgen zu machen. Ich bin nämlich ziemlich bodenständig. Zwar ist es ganz gewiss ein sehr befriedigendes Gefühl, dass ich mir höchstwahrscheinlich nie mehr finanzielle Sorgen machen muss. Und dass ich auch für meine Familie ausgesorgt habe. Ich weiß aber auch, dass ich das letztlich den Bond-Filmen zu verdanken habe.“
Pluspunkt Selbstironie

Daniel Craig ist seit 2011 in zweiter Ehe mit der britischen Schauspielerin Rachel Weisz verheiratet. Sie hat einen Sohn mit in die Ehe gebracht, Daniel Craig hat aus erster Ehe eine erwachsene Tochter. 2018 kam Rachels und Daniels gemeinsame Tochter zur Welt. Die Familie lebt in New York City. Seit 2019 haben die beiden neben der englischen auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Über ihr Privatleben weiß man wenig, da die beiden es konsequent vor der Öffentlichkeit abschirmen. Gelegentlich öffnet Daniel Craig aber dann doch sein Visier. Und das klingt dann so: „Ich versuche, klar und einfach zu leben. Ich stehe zu meinem Wort. Ich helfe, wo es nötig ist. Ich kann aber auch Nein sagen, was in meinem Beruf nicht ganz unwichtig ist. Und ich zeige Gefühle nicht nur vor der Kamera. Allerdings habe ich auch jede Menge Fehler und Schwächen. Und eins habe ich in all den Jahren gelernt: Den Kopf kann man manchmal übertölpeln und sich Dinge einreden, die gar nicht so sind, wie man sie gern haben möchte. Aber das Herz kann man nicht täuschen. Jedenfalls nicht lange.“
Und da Selbstironie – gerade bei Weltstars – immer ein dickes Charakter-Plus ist, soll hier auch nicht verschwiegen werden, dass Daniel Craig zurzeit in einer sexy Wodka-Werbung brilliert: Da gibt er den frivol tänzelnden, lustvoll mit dem Hintern wackelnden Partyboy im pechschwarzen Achselhemdchen und Leder-Outfit, inklusive Hip-Hop-Halskette. Die Bond-Metamorphose könnte nicht spielerischerer, nicht magischer sein. Regie bei diesem Clip führte der oscarpreisgekrönte Taika Waititi, der vor Kurzem noch den Superhelden Thor in „Love and Thunder“ durch den Spaß-Wolf drehte. Und wenn Craig dann endlich seinen Wodka hat, blafft er nonchalant in die Kamera: „Finally“! Ein Schuft, wer sich Böses dabei denkt.