Von den vorgezogenen Neuwahlen könnten Parteien profitieren, die sich vor allem durch Kritik hervortun: AfD und BSW. Die Potentiale für beide Parteien sind bei den drei Landtagswahlen in ostdeutschen Bundesländern deutlich geworden.
Es ist Dienstagmittag, Fraktionsebene des Deutschen Bundestages, direkt unter der gläsernen Kuppel des Reichstages. Wie immer in der Sitzungswoche treffen sich alle Parteien zu ihren Fraktionssitzungen, um die Tagesordnung der kommenden drei Tage durchzugehen. Bei der AfD fehlt diesmal die Fraktionschefin, ihr Vize Tino Chrupalla leitet die Sitzung zunächst mal allein. Dabei ist Alice Weidel gar nicht so weit entfernt. Sie steht nämlich vor der Tür und hat anderes zu tun. Anstelle von programmatischen Diskussionen über die Themen der Sitzungswoche ist die 45-Jährige mit der Außendarstellung ihrer Partei und vor allem ihrer Person beschäftigt: Foto-Shooting. Schließlich soll sie als Kanzlerkandidatin für die Partei in den Wahlkampf ziehen.
Weidel hält sich inhaltlich raus
In der AfD-Fraktion nimmt man ihre Abwesenheit gelassen. Weidel ist noch nie sonderlich mit eigenen Wortmeldungen oder Anregungen in der Runde aufgefallen. In der AfD-Fraktion im Bundestag ist Chrupalla derjenige, der für die parlamentarische Kärrnerarbeit zuständig ist. Diese Arbeitsteilung funktioniert offenbar auch bei Parteiangelegenheiten ähnlich. Weidel und Chrupalla sind in ihrer Doppelfunktion ja auch noch Vorsitzende der AfD. Spätestens seit der letzten Bundestagswahl hat sich diese Arbeitsteilung endgültig verfestigt. Alice Weidel ist vor allem das Gesicht der Partei und hält sich bei inhaltlichen Diskussionen weitgehend raus. Wobei es inhaltlich bei der Alternative für Deutschland derzeit auch nicht wirklich viel zu besprechen gibt. Die aktuellen Themen – auch für die vorgezogene Bundestagswahl – sind seit zwei Jahren gesetzt und werden in jeder Bundestagssitzungswoche immer wieder neu aufbereitet: bezahlbare Energie für alle und Arbeitsplätze sichern, Klimamaßnahmen weitgehend eindampfen und die Migration in all ihren Facetten stoppen. Aus AfD-Sicht liegt man mit diesen Themen genau richtig, was auch die drei letzten Landtagswahlergebnisse zeigen.
Darum wurde partei- und fraktionsintern schon vor einem Jahr die Parole ausgegeben, auf alle politischen Extravaganzen zu verzichten. Interne Streitigkeiten sollen möglichst nicht nach außen dringen; was bislang auch recht gut funktioniert.
Einziges Ärgernis diesbezüglich ist und bleibt der Landesverband in Thüringen mit Björn Höcke an der Spitze. Aber auch daran hat man sich unterdessen gewöhnt und versucht es weiterhin mit Ordnungsrufen aus Berlin, die bekanntermaßen wenig fruchten. Einen Rechtsextremisten außer Rand und Band bekommt auch eine Alice Weidel nicht in den Griff.
Anhänger der Partei scheint das aber ebenso wenig abzuschrecken wie die Tatsache, dass die Partei im Blick des Verfassungsschutzes ist und in Teilen bereits als Verdachtsfall und Teile als erwiesen rechtsextremistisch eingestuft hat.
Bislang konnte sich die AfD in den letzten drei Jahren vor allem auf die vielen Unzulänglichkeiten der Ampel verlassen. Deren Scheitern könnte der AfD in die Hände spielen, hat sie doch immer von Fehlern der anderen profitieren können.
Schien ihr Aufstieg nach den großen Kundgebungen Anfang des Jahres noch zumindest gebremst, haben ihr für die Wahlerfolge zuletzt in drei ostdeutschen Bundesländern vor allem die Themen Flüchtlinge/Migration und ihre (russlandfreundliche) Positionierung zum Krieg in der Ukraine gereicht.
Insbesondere beim letzten Punkt gibt es aber inzwischen ernstzunehmende Konkurrenz: das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Da liegt so manches eng beieinander, inhaltlich und bis in die Wortwahl. Was teilweise auch für die Europapolitik gilt. In anderen Politikfeldern, etwa der Wirtschafts- und Sozialpolitik, sind die Unterschiede aber deutlich.
Ein ausgefeiltes Parteiprogramm hat das noch junge BSW (offiziell gegründet im Januar) noch nicht. Das sollte erst zur Bundestagswahl im kommenden Jahr vorliegen. Die Positionierungen sind in einem Gründungmanifest und beispielsweise dem Wahlprogramm zur Europawahl festgehalten, ansonsten macht vor allem die Gründerin und Namensgeberin im Wesentlichen selbst politische Ansagen. Mittlerweile hat die Partei um die 1.000 Mitglieder, die alle handverlesen sind. Wer Mitglied werden möchte, muss erstmal einen Prüfungsprozess durchlaufen. Für Kritiker hat das alles den Charakter einer „Kaderpartei“. Tatsächlich ist alles wesentlich auf die Gründerin und Vorsitzende zugeschnitten.
Wie konfliktträchtig das ist, haben jüngst die Koalitionsverhandlungen nach den Landtagswahlen im Osten gezeigt. Auch wenn Außen- und Verteidigungspolitik keine Ländersachen sind, war der Druck groß, eine „Friedensformel“ zur Bedingung schon bei Sondierungsverhandlungen zu machen.
BSW-Chefin hat viel Selbstbewusstsein
In Sachsen, Thüringen und Brandenburg war das junge BSW bei den Wahlen in eine Position gekommen, dass es für eine Regierungsbildung – ohne die AfD – gebraucht würde. In Sachsen sind die Verhandlungen auf Druck aus Berlin erstmal geplatzt. In Thüringen machen die BSW-Landesvorsitzenden Katja Wolff und Steffen Schütz erstmal weiter, gegen den Willen aus Berlin.
Sahra Wagenknecht zielt mit den Interventionen ganz offensichtlich auf die Bundestagswahl, bei der sie die „Friedenspolitik“ – keine Stationierung von US-Raketen auf deutschem Boden, Verhandlungen statt Waffenlieferung für die Ukraine – zu einem zentralen Thema machen will.
Für das BSW kommen die vorgezogenen Neuwahlen zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Die innerparteiliche Auseinandersetzung ist nicht die einzige Herausforderung. Die Partei hat bislang erst Landesverbände in zwölf Bundesländern, ist also noch nicht flächendeckend strukturell präsent. Und bereits in den Ost-Ländern hat sich nach der Wahl gezeigt, dass die Personaldecke dünn ist. Logistisch könnte es für die junge Partei eine Herausforderung der besonderen Art werden. Dabei spricht einiges dafür, dass das BSW auf Anhieb den Sprung in den Bundestag durch eine Wahl schaffen könnte. Bislang ist die Partei nur durch den Übertritt von Abgeordneten der Linken im Bundestag vertreten.
An Selbstbewusstsein mangelt es der BSW-Chefin bekanntlich nicht. Als Reaktion auf die Ankündigung von Robert Habeck, als Kanzlerkandidat für die Grünen zur Verfügung zu stehen, meinte Sahra Wagenknecht mit ironischem Unterton: Wenn es jetzt Mode werde, dass sich jeder Spitzenkandidat zum Kanzlerkandidaten erklärt, dann müsse das BSW wohl nachziehen.