Birthe und Sascha Thiel haben sich einer faszinierenden Kunst verschrieben. Ihr Papiertheater bringt en miniature große literarische Stoffe und sogar die Geschichte eines Stahlkolosses auf die Bühne. Bald ist „Eiffelturm zu verkaufen“ im Saarland zu sehen.
Herr Thiel, Sie sind Saarländer und haben in Saarbrücken gewohnt, daher könnte der Name ihres Papiertheaters „Théâtre Mont d’Hiver“ vielleicht einen Hinweis geben, oder aufs Glatteis führen.
Sascha Thiel: Birthe und ich sind recht frankophil. Zum Zeitpunkt der Gründung unseres kleinen Theaters haben wir auf dem Winterberg in Saarbrücken gewohnt, so war die französische Übersetzung unseres Wohnortes eine Option für die Namensgebung. Und da der Name, wie wir finden, auch hübsch klingt, haben wir uns für diesen entschieden. Insofern hat der Name schon in zweifacher Hinsicht etwas mit dem Saarland zu tun: dem Ort der Gründung und der Nähe zu Frankreich.
Frau Thiel, Sie sind sozusagen erblich vorbelastet. Ihr Vater Dirk Reimers hat vor 37 Jahren das Internationale Preetzer Papiertheatertreffen gegründet und gemeinsam mit seiner Ehefrau Barbara selber gespielt. Haben Sie Erinnerung aus Ihrer Jugend?
Birthe Thiel: Meine Eltern haben anfangs noch nicht live gespielt. Die Stücke wurden mit dem Kassettenrekorder aufgenommen. Es gab keine Möglichkeit des Schneidens. Es war immer aufregend, in einem Rutsch beispielsweise den Zinnsoldaten von Hans Christian Andersen durchzusprechen – gekürzt natürlich. Mitte der 90er habe ich dann meine eigenen Stücke inszeniert und entweder mit meinem Vater oder meiner Mutter aufgeführt. Das Papiertheater hat einen großen Teil unseres Familienlebens bestimmt, auch weil meine Eltern ein Geschäft hatten und bis heute eine Sammlung im Museum Preetz betreiben. Mein Vater hat für sein Engagement im vergangenen Jahr das Bundesverdienstkreuz vom Bundespräsidenten persönlich erhalten. Das macht uns natürlich sehr stolz.
Frau Thiel, wie haben Sie es geschafft, Ihren Mann als Mitspieler zu gewinnen?
Birthe Thiel: Um es mit Goethes Worten zu sagen: „Halb zog sie ihn, halb sank er hin“. Ich hatte viele Jahre nicht gespielt und wollte 2013 gerne wieder auf dem Internationalen Treffen in Preetz auftreten. Dafür brauchte ich einen Mitspieler. Mir zuliebe hat sich mein Mann darauf eingelassen und Gefallen daran gefunden.
Sascha Thiel: Zuerst gab es aber eine „Koproduktion“ mit Freunden aus Saarbrücken. Wir haben zu viert im heimischen Wohnzimmer „Cinderella“ aufgeführt. Keiner – außer Birthe – hatte vorher je mit Papiertheater zu tun. Es war ein wunderbarer Abend mit einer mehr unterhaltsamen als professionellen Aufführung, einem begeisterten Publikum – bestehend aus Bekannten und Freunden – und Livemusik vom Klavier. Da hat sich auch bei mir ein Funke entzündet.
Birthe Thiel: Seitdem gestalten wir jedes Jahr ein neues Stück.
Das Papiertheaterspielen betreiben Sie beide nebenberuflich. Wie sieht ihre Aufgabenteilung aus?
Sascha Thiel: Im Grunde fängt es mit der inhaltlichen Idee für ein Stück an. Die bessere sticht die nicht ganz so gute. Davon müssen natürlich beide überzeugt sein. Danach gibt es eine klare Aufgabenteilung. Birthe kümmert sich um die komplette grafische Entwicklung des Stückes. Das umfasst das Zeichnen jeder einzelnen Figur oder der Accessoires und die komplette Gestaltung der Kulissen. Ich kümmere mich um den Text, die Kuratierung der Musik und die Technik. Eventuell eingesetzte Videoproduktionen machen wir dann wieder zusammen.
Das Papiertheater wird als „Fernsehen des Biedermeier“ bezeichnet. Welche Stücke hat man vor 200 Jahren aufgeführt?
Birthe Thiel: Die Stücke, die auf den großen Bühnen gezeigt wurden: „Wallensteins Lager“ (erster Teil von Friedrich Schillers Wallenstein-Trilogie, Anm. d. Red.), „Der Freischütz“, die Oper von Carl Maria von Weber, dänische Klassiker – alles gekürzte Fassungen der echten Theaterstücke. Die Kulissen waren ebenfalls ein verkleinertes Abbild der großen Inszenierungen. Durch die Reproduktion dieser alten Bögen ist auch ein Stück Theatergeschichte erhalten geblieben.
Das Papiertheater zählt seit 2021 zum Immateriellen Kulturerbe in Deutschland. Ich beobachte große Faszination, sowohl bei mir als auch bei anderen Zuschauern. Erfährt diese poetische Theaterform eine Renaissance?
Birthe Thiel: Ja! Begonnen hat es mit dem Preetzer Papiertheatertreffen, über das sich seit Ende der 80er Jahre immer mehr Spieler weltweit vernetzt haben. Schon Mitte der 90er waren dann Spieler aus fünf europäischen Ländern dabei. Inzwischen trifft sich dort im September die ganze Papiertheaterwelt – von Argentinien bis USA, Südafrika bis Schweden. Durch das Internet hat sich diese Entwicklung beschleunigt. Auch Corona war ein Booster. Menschen hatten Zeit, sich kreativ zu betätigen – einige mit Papiertheater.
Ihr Stück „Eiffelturm zu verkaufen“ handelt von Victor Lustig, dem 1925 der unglaublichste Betrug der Geschichte gelingt: Er verkauft den Eiffelturm. Wie kam Ihnen die Idee, diese wahre Geschichte fürs Papiertheater umzusetzen?
Sascha Thiel: Wir haben im Radio einen Bericht über Victor Lustig und seinen unglaublichen Coup gehört und waren doch sehr erstaunt, dass uns diese Geschichte bislang noch nirgends begegnet ist. Und dass, obwohl wir eine mittlerweile langjährige Beziehung zu Paris haben. Bei der weiteren Recherche haben wir auch festgestellt, dass es zu diesem Thema relativ wenig historischen Stoff gibt. Als wir dann im Bekannten- und Freundeskreis noch feststellten, dass diese faszinierende Geschichte weitgehend unbekannt ist, mussten wir sie einfach erzählen. Weitgehend historisch korrekt, jedoch auch mit der ein oder anderen kreativen Schleife.
Geht es beim norddeutsch-süddeutschen Duo Thiel während der künstlerischen Arbeit gleichgestimmt oder eher diskussionsfreudig zu?
Sascha Thiel: Grundsätzlich geht es bei uns gut gelaunt zu. Schließlich ist das Theaterspielen ja etwas Schönes, was den Machern und den Zuschauern Freude bereiten soll. Zumal bei uns der Humor in den Stücken immer eine große Rolle spielt. Aber natürlich kann man auch mal unterschiedlicher Meinung sein zu Text, Gestaltung oder Musik. Und dann wird natürlich auch diskutiert. Am Ende muss aber einer entscheiden. Wir sind in Schleswig-Holstein auch auf dem Wasser unterwegs, und da gilt ganz klar, dass der Skipper das letzte Wort hat. Bei uns im Theater ist Birthe der „Skipper“.
Birthe Thiel (lacht): Zumeist.