Joe Biden machte im ersten TV-Duell gegen seinen Konkurrenten keine gute Figur. Die Nervosität bei den Demokraten wächst vier Monate vor der Wahl im November.
Joe Biden ist 81 Jahre alt – und selten sah man dem amerikanischen Präsidenten sein Alter so deutlich an wie ausgerechnet an jenem Abend, an dem man es nicht sehen sollte. Die Debatte mit Herausforderer Trump geriet für die Demokraten zu einem bitteren, einem enttäuschenden, einem desaströsen Abend. Der Präsident habe eine Erkältung, hieß es als Entschuldigung aus den Reihen seines Teams. Dennoch bleibt ein erschütternd klarer Eindruck bei den US-amerikanischen Wählerinnen und Wählern haften: Biden, der zwar an Arthritis leidet, seit Kindertagen eine Sprachbehinderung hat und schon immer für Verhaspler bekannt ist, hat gute und schlechte Tage, und dieser war offensichtlich ein schlechter. Dass er mit diesem Eindruck die Wahl gegen einen deutlich agileren und rein äußerlich durch Spray-Tan etwas gesünder wirkenden Herausforderer gewinnen kann, geben jedenfalls die aktuellsten Umfragen nicht her.
Panik unter den Demokraten
Laut US-Medienberichten ist das Biden-Lager derzeit in Aufruhr. Offiziell stärkt die Partei dem amtierenden Präsidenten den Rücken, innerparteiliche Zerrissenheit öffentlich zu machen würde die fragilen Umfragewerte noch tiefer sinken lassen. Spender für Bidens Kampagne aber haben offenbar Zweifel angemeldet und geradezu panisch nach dem Ausstrahlen der Debatte reagiert, wie das Magazin „Politico“ schreibt. Nach der Debatte zeigte sich Biden in einem nahen Waffle-House und bei einer Watch-Party der Demokraten – deutlich energiegeladener und angriffslustiger als noch Stunden zuvor. Das Wochenende verbrachte der Präsident mit seiner Familie in Camp David für ein Fotoshooting. Während Rufe nach seinem Rückzug durch die Presse hallten, scheint der innere Kreis seiner Familie zu ihm zu halten und ihn darin zu bestärken, weiterzumachen.
Formale Möglichkeiten der Kandidatenablösung gäbe es, beispielsweise durch eine sogenannte „brokered convention“. Bei diesem Nominierungsparteitag würde keiner der Kandidaten über eine Mehrheit der Delegiertenstimmen verfügen. Diese müssten also miteinander verhandeln, um eine Mehrheit für einen einzigen Kandidaten zu erlangen. Der viertägige Nominierungsparteitag der Demokraten beginnt am 19. August in Chicago.
Möglichkeiten hat die Demokratische Partei mittlerweile, schwergewichtige wie Biden jedoch nicht. Da wäre Gavin Newsom, der smarte Gouverneur von Kalifornien, der durch seine Auslandsreisen in den vergangenen Monaten von sich reden machte. Newsom ist telegen, charismatisch und schlagfertig, ein Bilderbuchpolitiker, der sich quotenwirksam ein Duell mit dem Gouverneur Floridas Ron De Santis lieferte und diesen in Grund und Boden argumentierte. Reich wurde Newsom mit Cabernet Sauvignon, ein Politiker schließlich durch seine Jahre in der Stadtpolitik von San Francisco, die ihn mit Leichtigkeit bis ins Gouverneursamt trug. Die Öffnung der Ehe für alle wurde sein landesweiter Durchbruch, auf ihn setzen viele Progressive in der Partei daher ihre Hoffnungen. Derzeit gibt Newsom den getreuen Helfer in der zweiten Reihe, aber so richtig verbergen mag er seine Ambitionen nicht.
Biden will Kandidat bleiben
Dann wäre da noch Gretchen Whitmer. Die Gouverneurin von Michigan entging in Zeiten der Pandemie offenbar einer geplanten Entführung durch militante Nationalisten und erließ daraufhin schärfere Waffengesetze. Die pragmatische und als humorvoll bekannte Demokratin zeigt sich selbst recht unideologisch und bodenständig. Mit dem Slogan „fix the damn roads“, „repariert die verdammten Straßen“, trat sie in ihren Gouverneurswahlkampf an. Und schließlich Kamala Harris, die amtierende Vizepräsidentin, die jedoch mit der Unbeliebtheit von Joe Biden im negativen Sinne durchaus mithalten kann. Weitere Namen aus dem demokratischen Umfeld wie der Milliardär J.B. Pritzker, Gouverneur von Illinois und Transportminister Pete Buttigieg, selbst demokratischer Aspirant auf die demokratische Präsidentschaftskandidatur 2020, kämen ebenfalls infrage.
Das große Aber steht jedoch bedeutungsschwer im Raum: Den eigenen Kandidaten fallen zu lassen, kommt für die Demokraten nicht infrage – zu Recht, politisch wäre dies Selbstmord. Lediglich eine Krankheit oder die Einsicht bei Joe Biden, dass er selbst nicht mehr dazu in der Lage ist, könnte die offizielle Suche nach einem Ersatz in Gang bringen. Doch der Präsident gilt als stur. Die Freude, es von sich aus einzusehen, wird er den parteiinternen Kritikern nicht machen. „Ich bin kein junger Mann mehr, um das Offensichtliche zu sagen“, sagte Biden während einer Wahlkampfveranstaltung in North Carolina. „Ich laufe nicht mehr so leicht wie früher, ich spreche nicht mehr so geschmeidig wie früher, ich debattiere nicht mehr so gut wie früher, aber ich weiß, was ich weiß. Ich weiß, wie man die Wahrheit sagt“, sagte er. „Ich würde nicht erneut kandidieren, wenn ich nicht von ganzem Herzen und mit ganzer Seele daran glauben würde, dass ich diese Aufgabe erfüllen kann“, fügte er hinzu.
Stattdessen schaltet die Wiederwahlkampagne nun auf Angriff statt Verteidigung: Möglicherweise sind nun doch jene Veranstaltungen geplant, die man Biden nicht mehr zumuten wollte: taffe Interviews und Townhall-Gespräche mit Wählerinnen und Wählern. Getrieben von dem scheinbar einzigen Thema, das die Umfragen dominiert, will die Kampagne nun „Vitalität in Aktion“ zeigen. Demokraten, die im Kongress in diesem Jahr zu Wahl und Wiederwahl anstehen, sind skeptisch, heißt es. Aber offenbar beißt man auf die Zähne. Die „zweite Reihe“ der demokratischen Hoffnungsträger auf künftige Spitzenpositionen in der Partei und im Land aber bleibt ebenfalls dabei: Solange Biden der Kampagne nicht den Rücken kehrt, kehrt die Kampagne auch Biden nicht den Rücken.