Frank Baumann übernimmt diesen Sommer die Geschicke beim FC Schalke 04. Größer und komplexer könnte die Aufgabe kaum sein. Denn die finanzielle Not ist groß.

Wenn Frank Baumann am 1. Juni offiziell das Amt des Sportvorstands beim FC Schalke 04 antritt, beginnt ein weiteres Kapitel in der langen Geschichte eines Traditionsvereins, der sich seit Jahren im Spannungsfeld zwischen ambitionierten Ansprüchen und prekärer Realität bewegt. Die Nachricht von seiner Verpflichtung überraschte Fußball-Deutschland – nicht nur wegen der Personalie selbst, sondern auch aufgrund der Art und Weise, wie sie zustande kam. Von einer „bemannten Ufo-Landung“ sprach der „Kicker“, als Baumann über den Dächern Gelsenkirchens sein erstes Interview als neuer starker Mann im sportlichen Bereich gab. Eine Szenerie, wie sie symbolträchtiger kaum sein könnte: Während in der Ferne die Arena im Sonnenlicht glänzte, sprach ein Mann der leisen Töne über den Neustart bei einem Verein, dessen Identität wie kaum eine andere vom Pathos lebt.
Große Herausforderungen
Baumann, der seine aktive Spielerkarriere beim 1. FC Nürnberg und später bei Werder Bremen verbrachte, gilt als Vertreter des besonnenen, strategisch denkenden Funktionärstyps. In Würzburg geboren, wirkte er jahrelang als Sportchef in Bremen, bevor er im Sommer 2023 seinen Abschied vom Weserstadion verkündete. Dass nun ausgerechnet er, der stille Stratege aus dem Norden, beim oft als unruhig beschriebenen FC Schalke 04 andockt, ist ein deutliches Signal: Der Club sucht Ruhe, Verlässlichkeit – und einen Plan. Vielleicht auch ein Stück Seriosität nach Jahren der permanenten Umbrüche.
Tatsächlich ist Baumanns Verpflichtung nicht das Ergebnis öffentlicher Kandidatendebatten. Während Namen wie Jörg Schmadtke oder Jonas Boldt durch die Medien geisterten, hatte Baumann längst mit den Verantwortlichen gesprochen. In enger Abstimmung mit Youri Mulder (Direktor Profifußball) und Ben Manga (Direktor Kaderplanung) wurde ein Fundament für die künftige Zusammenarbeit gelegt. Dass diese Gespräche unter dem Radar blieben, erfüllt die Verantwortlichen mit Stolz. Baumann selbst hob die Vertraulichkeit hervor und gestand ein, dass ihn diese Diskretion auf Schalke überrascht habe.
Dass Baumann vor großen Herausforderungen steht, liegt auf der Hand. Die Liste seiner Vorgänger ist lang – und wenig ermutigend. Seit dem Abgang von Horst Heldt im Jahr 2016 konnte sich kein Sportvorstand dauerhaft etablieren. Jochen Schneider, Michael Reschke, Rouven Schröder, Peter Knäbel, André Hechelmann und Marc Wilmots kamen und gingen, häufig ohne nachhaltige Wirkung. Der Club trat auf der Stelle – oder bewegte sich rückwärts.
Ein besonders kostspieliges Beispiel für vergangene Fehlentscheidungen liefert der Fall Sebastian Rudy, verpflichtet unter Christian Heidel im Sommer 2018 für eine stolze Summe. Die Transfersumme zahlte Schalke bis ins vergangene Jahr in Raten an den FC Bayern – zu einem Zeitpunkt, als Rudy längst kein Bundesligaprofi mehr war, sondern Teilnehmer am Zillertaler Steinbockmarsch oder Freizeitkicker in der Kreisklasse A Heidelberg.
Vor diesem Hintergrund ist Baumanns eigener Anspruch beachtlich. In seinem ersten Interview sagte er, er gehe seine Aufgabe mit doppeltem Respekt an: „Respekt vor dem Verein mit seinem verrückten, treuen Publikum – und Respekt vor den Herausforderungen, die vor uns liegen.“ Diese Herausforderungen sind gewaltig, vor allem in finanzieller Hinsicht. Schalke muss nicht nur Altlasten tilgen, darunter offene Corona-Darlehen, sondern auch den wirtschaftlichen Anforderungen der DFL gerecht werden.
Der Verein ist gezwungen, Einnahmen zu generieren. Leistungsträger wie Moussa Sylla, Taylan Bulut und möglicherweise auch Kapitän Kenan Karaman stehen auf der Verkaufsliste. Eine Kontinuität in der Kaderentwicklung ist unter diesen Bedingungen schwer zu gewährleisten. Dennoch wird von Baumann, Mulder und Manga erwartet, dass Schalke in der kommenden Saison um den Aufstieg mitspielt. Wie das gelingen soll, bleibt unklar.
Ein Blick in den Konzernzwischenbericht vom Winter verdeutlicht die Schwere der Aufgabe: 149,83 Millionen Euro Schulden lasten auf dem Verein. Zwar waren es im Sommer zuvor noch über 162 Millionen Euro, doch selbst der zwischenzeitliche Rückgang ist nicht sportlichem Erfolg zu verdanken, sondern außergewöhnlichen Einnahmen: Konzerte von AC/DC, Rammstein und vor allem Taylor Swift spülten Millionen in die Kassen.
Angesichts dieser Schulden stellte sich auch auf Schalke die Frage nach einer Ausgliederung der Lizenzspielerabteilung. Doch anders als viele Bundesligisten entschied sich der Club für einen eigenen Weg: Im Januar wurde die Genossenschaft „Auf Schalke“ gegründet. Jedes Mitglied kann Anteile für 250 Euro erwerben. Innerhalb der ersten drei Tage kamen 3,5 Millionen Euro zusammen – ein beachtlicher Start, doch weit entfernt vom anvisierten Ziel von 48 Millionen Euro. Bislang haben lediglich rund 7.000 der mehr als 190.000 Mitglieder gezeichnet.
Vorstandschef Matthias Tillmann erklärte gegenüber dem Fachmagazin „Spobis“, dass es kein konkretes Finanzziel gebe: „Wir haben nie behauptet, dass 50 Millionen Euro unser konkretes Ziel sind. Was wir gesagt haben, ist, dass diese Summe notwendig wäre, um von einem finanziellen Befreiungsschlag zu sprechen.“ Zugleich betonte er, dass bei Projekten dieser Größenordnung eine realistische Erwartungssteuerung entscheidend sei: „Mit fünf Millionen Euro ist ein Befreiungsschlag eben nicht möglich.“
Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Gelsenkirchen sind dabei nicht zu unterschätzen. Im Vergleich zum FC St. Pauli, der mit 49.000 Mitgliedern über 27 Millionen Euro einsammelte, hinkt Schalke deutlich hinterher. In Hamburg lag das jährliche Durchschnittseinkommen pro Steuerpflichtigem 2020 bei 48.000 Euro. In Gelsenkirchen hingegen betrug das verfügbare Einkommen pro Haushalt 2022 nur rund 18.500 Euro. 250 Euro sind nicht in jeder Stadt gleich viel Geld.
Wunschkandidat Kwasniok?
Während der finanzielle Spielraum also eng bleibt, rückt eine der ersten großen Entscheidungen für Baumann näher: die Trainerfrage. Zwar ist Kees van Wonderen weiterhin im Amt und innerhalb des Vereins geschätzt, doch sein sportlicher Ertrag ist umstritten. Baumann hat nun das letzte Wort. Ein Trainerwechsel noch vor seinem ersten offiziellen Arbeitstag wäre unglücklich – ebenso wie die Aussicht, im Herbst handeln zu müssen.

Im Hintergrund kursieren daher bereits alternative Namen. Der langjährige Wunschkandidat Raúl, einst selbst Spieler auf Schalke, geistert seit Monaten durch die Gerüchteküche. Doch angesichts seiner Ansprüche und Schalkes finanzieller Lage scheint eine Verpflichtung unrealistisch. Wahrscheinlicher ist eine pragmatischere Lösung. Lukas Kwasniok vom SC Paderborn gilt als Baumanns Wunschkandidat. Der 43-Jährige bringt Zweitliga-Erfahrung mit und stand bereits mehrfach vor einem Wechsel zu größeren Vereinen. Laut „Sport Bild“ bevorzugt Baumann eine bodenständige Lösung mit Aufstiegsperspektive.
Eine weitere Option ist U23-Coach Jakob Fimpel. Baumann hat in Bremen bereits gezeigt, dass er keine Scheu hat, Jugendtrainern Vertrauen zu schenken. Sowohl Alexander Nouri als auch Florian Kohfeldt wurden unter seiner Ägide aus dem Nachwuchs in die Chefrolle befördert.
Wie auch immer sich Baumann entscheidet – die Erwartungen auf Schalke sind hoch, der Handlungsspielraum jedoch klein. Baumann bringt Erfahrung, Ruhe und ein Gespür für nachhaltige Kaderplanung mit. Ob das reicht, um Schalke aus der Dauerkrise zu führen, wird sich zeigen. Sicher ist: Er wird nicht nur an Transfers, sondern vor allem an seiner Fähigkeit gemessen werden, Vertrauen aufzubauen, Strukturen zu schaffen und den Glauben an eine Rückkehr in die Bundesliga neu zu entfachen. Schalke steht vor einem weiteren Versuch – und diesmal soll alles anders werden.