Die Autoindustrie Deutschlands ist in der Krise. Lahmender E-Auto-Absatz und internationaler Konkurrenzkampf verschärfen diese noch. Darunter leiden nicht nur die großen Marken, sondern auch deren Zulieferer.
Stellenabbau bei Volkswagen: jetzt sollen die Mitarbeiter auch mithilfe von Abfindungen gehen. In der Verwaltung soll der Personalbestand um 20 Prozent sinken, sonst gibt es offenbar keine konkreten Ziele. Derzeit arbeiten 116.000 Menschen für den Konzern, einige sollen nun durch attraktive Altersteilzeitprogramme ausscheiden, manche Stellen nicht nachbesetzt werden. VW will sich verschlanken, effizienter werden, wie es im offiziellen Sprachgebrauch des Unternehmens heißt.
Doch VW ist nur ein Konzern unter vielen, der intern an allen Schrauben dreht, um die derzeitige Krise der Autobauer und Zulieferer abzuwettern. Die Autoindustrie insgesamt sieht angesichts hoher Energiepreise und überbordender Bürokratie die Produktion in Deutschland in Gefahr. „Teilweise können Werke nur hierzulande gehalten werden, weil Geld an Standorten im Ausland verdient wird. Wir haben ein gravierendes Standortproblem“, sagte die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller, der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.
Stattdessen begebe sich die EU etwa mit dem Lieferkettengesetz auf Sonderwege und türme neue Bürokratie-Hürden auf. Berlin müsse deutlich mehr Druck auf Brüssel machen, Energiepartnerschaften mit Afrika, dem Nahen Osten und Lateinamerika sowie Handelsabkommen abschließen. „Wir werden nicht daran scheitern, dass wir keine guten Autos mehr bauen. Es geht allein um die Rahmenbedingungen“, so Müller.
Dass der Verband ein Standortproblem sieht, zieht auch eine entscheidende Konsequenz nach sich: die ausländischen Niederlassungen brauchen positive Bedingungen, und somit sind die EU-Strafzölle auf chinesische E-Autos – und diese gelten auch für Autos, die von europäischen Konzernen in China gebaut und nach Europa importiert werden – der Industrie ein Dorn im Auge. Der VDA sieht die Gefahr chinesischer Vergeltungsmaßnahmen. Deutsche Hersteller verkauften in China etwa 100-mal so viele Pkw wie chinesische Marken in Deutschland, betonte Müller im Interview. Die Sorge vor einer E-Auto-Schwemme aus Fernost sei aktuell übertrieben.
Zumal der E-Auto-Markt in Europa schwächelt. Im Juli wurden insgesamt 45.600 Pkw mit Elektroantrieb (batterieelektrisch oder mit Hybridantrieb) neu zugelassen. Dies waren knapp 28 Prozent weniger als noch ein Jahr zuvor. In sieben Monaten des laufenden Jahres wurden insgesamt rund 319.300 Neuzulassungen von Elektro-Pkw registriert. Damit liegt der Absatz von Elektrofahrzeugen zwölf Prozent unter dem Vorjahresniveau. Halbleiterzulieferer gelten derzeit trotzdem an den Finanzmärkten als die profitabelsten Zulieferer in der Autoindustrie. Viele Zulieferer suchen ihre Rolle oder bauen sich entsprechend um, darunter Continental, Schaeffler und ZF.
Zulieferer weniger erfolgreich
So plant Continental die Aufspaltung des Konzerns, um sich von seiner schwachen Autozuliefersparte zu trennen. Vom einstigen Börsenwert von zeitweise über 45 Milliarden Euro in den Jahren bis 2018 sind derzeit nur noch rund zehn Milliarden geblieben. „In den vergangenen Monaten haben sich die Märkte und unsere Kunden insbesondere in der Automobilindustrie sehr dynamisch weiterentwickelt“, sagte Conti-Vorstandschef Setzer laut Pressemitteilung. Regional stark schwankende Entwicklungen der Märkte sowie der softwaregetriebene Technologieumbau erforderten künftig mehr Flexibilität und weitreichenden unternehmerischen Handlungsspielraum, sagte er. „Vor diesem Hintergrund streben wir eine Aufteilung von Continental an.“ Für die Automobilsparte von Continental arbeiten derzeit 100.000 Menschen.
Angedacht ist nun eine Abspaltung und separate Börsennotierung des Autozuliefergeschäfts im Rahmen eines sogenannten Spin-Offs, wie der Dax-Konzern mitteilt. Man prüfe die erforderlichen Schritte für eine solche Maßnahme. Die Aktionäre würden damit Eigentümer von zwei getrennten Konzernen: Der eine Teil würde weiter die profitable Reifensparte und die Kunststofftechnik enthalten. Der andere bestünde aus den Geschäften mit Bremsen, Elektronik, Displays und sonstigen Teilen für die Autoindustrie. Über eine Trennung der Konzernteile wird angesichts der schwächelnden Autozuliefersparte schon lange spekuliert. Letztlich entschieden wird über das Spin-Off im vierten Quartal des Jahres. Im Fall der Zustimmung ist ein Abschluss der Transaktion bis Ende 2025 geplant.
Contis Reifengeschäft ist seit vielen Jahren der Gewinnbringer, vom Umsatz bleibt regelmäßig ein zweistelliger Prozentsatz als operativer Gewinn hängen. Das Autozuliefergeschäft ist zwar größer, doch vor allem in den vergangenen Jahren wenig erfolgreich. Vergangenes Jahr schrieb der Bereich erstmals seit 2019 überhaupt wieder schwarze Zahlen. Verantwortlich dafür sind hohe Investitionskosten, hohe Energiepreise und die notwendige Logistik. Daher hatte der Konzern auch dort den Rotstift angesetzt: Rund 7.150 Stellen stehen zur Disposition, davon 5.400 in der Verwaltung, der Rest trifft die Forschung und Entwicklung. Bis 2025 sollen die jährlichen Kosten der Sparte um 400 Millionen Euro sinken.
Vor Jahren schon hatte Conti die Geschäfte um den Antriebsstrang in die Firma Vitesco ausgegliedert und ebenfalls per Spin-off an die Börse gebracht. Mittlerweile hat der fränkische Autozulieferer Schaeffler – mit 46 Prozent der Anteile auch Großaktionär von Conti – die Mehrheit an Vitesco übernommen und will den Antriebsspezialisten dieses Jahr noch mit dem eigenen Konzern verschmelzen.
Schaeffler selbst steckt zwar nicht in der Krise, kommt aber auch nicht vom Fleck. Das Unternehmen aus Herzogenaurach mit weltweit knapp 84.000 Beschäftigten meldete für das erste Halbjahr nur ein geringes Umsatzwachstum von 0,8 Prozent auf knapp 8,3 Milliarden Euro, wobei das zweite Quartal besser lief als das erste. Der Nettogewinn ging leicht um ein Prozent auf 263 Millionen Euro zurück. Zum 1. Oktober soll nun Vitesco bei Schaeffler voll integriert werden. Größe zählt, vor allem für Zulieferer, die damit ihre Verhandlungsposition gegenüber den Automobilkonzernen stärken und bessere Margen verhandeln können. Das so vergrößerte Unternehmen soll mit dann 120.000 Mitarbeitern in die Riege der zehn weltgrößten Zulieferer aufsteigen.
Dort angekommen ist längst ZF aus Friedrichshafen. Doch auch der Zuliefer-Multi durchläuft gerade einen schmerzhaften Wandlungsprozess. Vor Jahren bereits begonnen, stellt man sich auf die Elektromobilität ein. Ohne Arbeitsplatzverluste funktioniert dies offenbar auch in diesem Unternehmen nicht. Die Standorte des Unternehmens sollen kleiner, effizienter werden. Zumindest bei ZF sind genaue Stellenzahlen bekannt, die dafür wegfallen sollen: bis zu 14.000 bis 2028. Derzeit beschäftigt das Unternehmen etwa 170.000 Menschen, Platz vier im weltweiten Ranking der Automobilzulieferer. Grund für die Krise ist wiederum die Konsolidierung der Branche, durch Zukäufe hatte ZF in den vergangenen Jahren Schulden in Milliardenhöhe angehäuft und musste gleichzeitig in den konzerninternen Technologieumbau investieren.
Weniger Verbrenner in China verkauft
Und auch auf Platz eins der Zulieferer ist Sparen angesagt: Bosch stellt deutlich weniger Leute ein. Das meldete unter anderem die „Wirtschaftswoche“. Gesucht werden demnach vor allem hochqualifizierte Fachkräfte wie Ingenieure. Zuletzt hatte das Unternehmen durch den größten Zukauf der Firmengeschichte von sich reden gemacht. Allerdings ging es nicht um die Automotive-Sparte, sondern um Wärmepumpentechnologie.
„Die wirtschaftliche Situation hat sich für viele Zulieferer deutlich verschlechtert und bringt einige Unternehmen zunehmend in Bedrängnis“, sagt Frank Göller, Partner und Automotive-Experte bei der Unternehmensberatung Horváth. Diese hat 50 meist weltweit tätige Zulieferer untersucht. Der Kostendruck sei höher denn je, was sich in immer robusteren Verhandlungen mit den Autoherstellern zeigt. Zudem habe die aktuell geringe Nachfrage nach Elektrofahrzeugen immer stärkere Folgen für die Autozulieferer. Zum Teil würden aktuell, je nach Fahrzeugtyp und Komponente, bis zu 50 Prozent weniger Teile abgenommen als in Aussicht gestellt. „Die Umstellung auf die Module und Bauteile für E-Fahrzeuge erfordert erhebliche Investitionen und viele Zulieferern haben aufgrund der reduzierten Nachfrage hohe Einbußen bei Umsatz und Ertrag“, so Göller. Hohe Investitionskosten bei gleichzeitig reduzierter Nachfrage –Schwierigkeiten sind also vorprogrammiert, und das auch in den kommenden Monaten. Laut Horvath wird das Festhalten am Verbrenner diesen Prozess noch weiter in die Länge ziehen.
Und nun auch noch Horrormeldungen aus China: Der Absatz von Verbrennern geht dort massiv zurück zugunsten von Elektrofahrzeugen. Im Juli übertraf die Zahl neu zugelassener E-Autos erstmals die Zahl der neu zugelassenen Verbrenner. Ein wichtiger Auslandsmarkt für die deutschen Automobilhersteller wendet sich damit von ihnen mehr und mehr ab, denn die meisten zugelassenen rein elektrisch betriebenen, Brennstoffzellen- und Hybridfahrzeuge stammen aus chinesischen Eigenproduktionen. Mittlerweile dominieren chinesische Hersteller den Markt mit einem Anteil von knapp über 50 Prozent.
Eine Konsolidierung der Zuliefererlandschaft ist schon längere Zeit im Gange und weitere Zusammenschlüsse oder Übernahmen sind wahrscheinlich, mutmaßt Göller. „Es ist zweifellos aber im Interesse der Automobilhersteller, dass die Zulieferer als wesentliche Triebfeder für Innovationen auch langfristig wirtschaftlich tragfähig agieren können“. Die aktuelle Markt- und Wettbewerbssituation sei ein Weckruf. Dabei sind sowohl hohe Investitionen in neue Produkte und Technologien sowie Kosteneinsparungen erforderlich. Weitere Arbeitsplatzverluste? Nicht ausgeschlossen.