Nach der überraschend beendeten Amtszeit von Erik ten Hag soll Kasper Hjulmand den neuformierten Bayer Leverkusen wieder in die Spur bringen. In Mainz galt der Däne als Taktik-Nerd, doch bei einem schlimmen Erlebnis erwies er sich auch als emotionaler Anker.
Die Nachricht kam grundsätzlich überraschend, so ganz aus dem Nichts kam sie aber nicht mehr. Schon nach zwei Ligaspielen hatte Fußball-Vizemeister Bayer Leverkusen sich am 1. September von Erik ten Hag getrennt. Jenem Trainer, den er erst zu Saisonbeginn hoffnungsvoll als Nachfolger des zu Real Madrid abgewanderten Meistertrainers Xabi Alonso verpflichtet hatte.
Mancher hatte da schon gemunkelt, ten Hag sei schwierig und habe bei Manchester zuletzt auch schon nicht erfolgreich gearbeitet. Doch die Bayer-Verantwortlichen, insbesondere Sportchef Simon Rolfes, waren sicher, den richtigen Mann verpflichtet zu haben. Schließlich hatte ten Hag schon länger auf ihrer Liste gestanden, man hatte sich schon vor Alonso mal zu konkreten Gesprächen getroffen.
Simon Rolfes griff bei Trainer ten Hag daneben
Umso überraschter waren alle dann, als sie merkten: Es passt einfach nicht. Nicht zwischen Team und Trainer. Und nicht zwischen den Bossen und dem Trainer. Die Beurlaubung folgte trotzdem sehr, sehr schnell. So schnell wurde im deutschen Fußball noch nie ein gerade erst geholter Trainer freigestellt. Öffentlich wurden danach einige Fehler aufgelistet, die ten Hag gemacht haben soll. Doch hätten diese für sich niemals diesen Schritt begründet. Und eigentlich hätte ten Hag auch mehr als mildernde Umstände genießen müssen, schließlich hatte diese Mannschaft im Sommer mit Lukas Hradecky, Jonathan Tah, Jeremie Frimpong, Granit Xhaka und Florian Wirtz ihre komplette Achse verloren, dazu noch ebenso wichtige Spieler aus der Double-Saison 2024 wie Piero Hincapie, Amine Adli oder Victor Boniface. Rund 15 Neuzugänge kamen nach und nach und mussten eingebaut werden. Dass es da knirscht, ist mehr als normal.
Doch es war einfach das sichere Gefühl bei den Bayer-Bossen, auf dem falschen Weg zu sein, das sie zum Handeln zwang. Lieber wollten sie sich vorwerfen lassen, im Sommer komplett danebengelegen zu haben, als zuzusehen, wie zumindest die Champions-League-Qualifikation als oberstes Saisonziel verpasst wird. Es sei jedenfalls „keine Kurzschlussreaktion“ gewesen, versicherte Rolfes: „Wir hatten einfach das Gefühl, dass es in eine Richtung geht, die nicht die richtige ist. Bevor man dann am falschen Ziel ankommt, haben wir uns entschlossen, die Entscheidung zu treffen, jetzt in der Länderspielpause zu einem frühen Zeitpunkt.“
„Das gehört zum Fußball dazu“
Der Niederländer selbst, davor unter anderem bei Ajax Amsterdam sehr erfolgreich und als Trainer der 2. Mannschaft des FC Bayern auch schon in Deutschland erfahren, sah das erwartungsgemäß anders. „Sich nach nur zwei Ligaspielen von einem Trainer zu trennen, ist beispiellos“, erklärte er in einem von seinem Management SEG verbreiteten Statement: „Ich habe diese Stelle mit voller Überzeugung und Energie angetreten, aber leider war das Management nicht bereit, mir die nötige Zeit und das nötige Vertrauen zu schenken, was ich zutiefst bedauere. Ich habe das Gefühl, dass dies nie eine Beziehung war, die auf gegenseitigem Vertrauen basierte.“ Und auch wenn sich nicht zuletzt auch in den Aussagen des neuen Kapitäns Robert Andrich nach den Spielen gegen Hoffenheim (1:2) und in Bremen (3:3 nach 3:1 in Überzahl) Unmut heraushören ließ, waren natürlich nicht alle Spieler über die Nachricht erfreut. „Wir alle waren erstmal geschockt“, sagte der für zehn Millionen von AZ Alkmaar geholte Niederländer Ernest Poku zu „Voetbal International: „Dass Erik ten Hag Trainer bei Bayer Leverkusen war, spielte definitiv eine große Rolle bei meiner Entscheidung, dorthin zu wechseln. Es ist mein erstes Abenteuer im Ausland, und ich fand es angenehm, zu einem Verein zu kommen, bei dem ein komplett niederländisches Trainerteam arbeitet. Jetzt läuft alles etwas anders als erwartet. Das gehört zum Fußball dazu.“
Und deshalb wollen alle Beteiligten das Kapitel schnell hinter sich lassen und nach vorne schauen, nicht nur Rolfes und ten Hag. Als Nachfolger in Leverkusen verpflichtete Bayer dann den Dänen Kasper Hjulmand. Auch mit dem hatte Leverkusen sich schon mehrfach intensiv beschäftigt, laut Sport Bild soll er in der Vergangenheit schon dreimal auf der Liste gestanden haben. Was das Magazin zu dem Urteil brachte: „Diese Verbindung hat etwas von Elite-Partner für Zaudernde.“ Auch Journalist Matthias Dersch fand im Podcast „kicker meets DAZN“ humorige Worte. Hjulmand sei „nicht der erste Name, der mir in den Sinn gekommen wäre, aber je länger ich darüber nachdenke: Das könnte auch wieder ein smarter Move von Rolfes gewesen sein“, sagte er: „Er hat so ein bisschen Sozialkundelehrer-Vibes. Das ist kein Name, der die Leute in Leverkusen total anzündet. Aber vielleicht brauchst du gerade einfach so ein wenig gepflegte Langeweile – und das meine ich gar nicht böse.“
Geradezu logisch erscheint der Schritt für beide Seiten aufgrund der vielen Verbindungen. Hjulmands früherer Mainzer Assistent Keld Bordinggaard ist seit 2021 Leiter der Trainerakademie bei Bayer 04. Und Ismael Camenforte-Lopez, ein Co-Trainer aus Zeiten bei der dänischen Nationalmannschaft, arbeitete zunächst als Methodik-Experte für Bayer, wurde dann Assistent von Alonso und wechselte mit diesem zu Real. Das sind nicht nur persönliche Verbindungen, sondern auch wichtige für die Systematik und die Fußball-Philosophie.
„Ich kenne den Stil des Arbeitens, die Methodik, wie wir arbeiten. Das ist auch, wie ich arbeiten möchte“, sagte der neue Trainer: „Ich muss nicht erklären, wie ich jeden Tag arbeiten will, um meine Vorstellungen auf den Platz zu bekommen.“ Zudem: „Jeder, der um mich herum ist, kennt mich. Und ich weiß, in was ich mich hineinbegebe.“
Genau das könnte letztlich der große Unterschied sein zu ten Hag. Manche zeigten sich dennoch skeptisch, weil Hjulmands erstes Engagement in Deutschland nicht wirklich erfolgreich lief. 2014 war er beim FSV Mainz nach 21 Spieltagen beurlaubt worden. Bei genauem Hinsehen ist das Ganze aber nicht nur elf Jahre her, in einer Phase, in der Hjulmand nicht zuletzt mit der dänischen Nationalmannschaft Erfolge feierte. Sondern war faktisch auch kein Vollflop gewesen. Nur sieben von 21 Liga-Spielen hatten die Mainzer verloren, allerdings auch nur vier gewonnen. Vielmehr basierten die Zweifel der Mainzer Verantwortlichen darauf, dass der damals erst 42 Jahre alte Hjulmand die komplette Mainzer Philosophie vom Pressing-Fußball Klopp’scher Prägung auf Ballbesitzfußball ummodeln wollte. Und dass sie dabei – wie nun die Chefs in Leverkusen – einfach eine Entwicklung in die falsche Richtung vermuteten. „Ich habe immer gesagt: Kasper ist ein Toptrainer“, sagte der Mainzer Manager Christian Heidel auch nun dem „Kicker“: „Er war bei uns vor über zehn Jahren aber vielleicht zu früh in der Bundesliga und wollte mit uns etwas spielen, was mit Mainz 05 noch nicht möglich war.“ Schon vor zwei Jahren hatte Heidel erklärt: „Vielleicht hatte ich mit ihm zu wenig Geduld gehabt damals – da hatte ich Angst um Mainz 05.“
Hjulmand gilt als empathisch
Der Ballbesitz, den er damals einführen wollte, gehört bei Leverkusen aber zur DNA. Was demnach klar für Hjulmand spricht. Wie schnell sich das Ganze findet, wie schnell der neue Coach ohne jede Vorbereitung das im Sommer komplett neu zusammengewürfelte Team zusammenführen, Automatismen und eine Hierarchie entwickeln kann, bleibt abzuwarten. Doch auch, wenn die Situation natürlich keineswegs zu vergleichen ist, war es gerade Hjulmand, der innerhalb kürzester Zeit einen ganz besonderen Mannschaftsgeist kreierte. Bei der EM 2021 hatte Dänen-Star Christian Eriksen im Gruppenspiel gegen Finnland einen Herzstillstand auf dem Platz erlitten. Hjulmands Verhalten danach, so schrieb die „Sportschau“ nun, sei „ein Paradebeispiel an Führungsqualität und Empathie“ gewesen. Hatte Heidel Hjulmand einst noch ins Buch geschrieben, man bräuchte „neben Taktik auch viel Emotion“, so lobt Bayer-Boss Fernando Carro seinen neuen Coach nun für seinen „transparenten, kommunikativen und empathischen Stil“.
Hjulmand fing die verzweifelten Spieler auf und schuf eine Wagenburg- und Jetzt-erst-recht-Mentalität, führte die Dänen damals fast sensationell ins Halbfinale. „Die Chemie muss stimmen und die Gruppe muss geführt werden und Orientierung bekommen. Diese Eigenschaften bringt Kasper mit“, sagte Rolfes nun: „Gerade im Fall Christian Eriksen hat er außergewöhnlich agiert – als Führungsperson und auch als Mensch.“
Der europäische Fußball-Verband Uefa hatte damals getitelt: „Wie Kasper Hjulmand eine Nation vereint hat.“ Diesmal reicht es, dies einfach bei einem Verein zu schaffen.