In diesen Tagen wäre George Harrison 80 Jahre alt geworden. Vielen bleibt er als stiller und jüngster Beatle in Erinnerung, dabei hatte der gebürtige Liverpooler musikalisch weitaus mehr zu bieten.
Als George Harrison am 29. November 2001 im kalifornischen Beverly Hills im Alter von gerade einmal 58 Jahren starb, veröffentlichte seine Familie ein Statement, das den früheren Beatle perfekt charakterisierte: „Er hat die Welt verlassen, wie er in ihr gelebt hat – mit Vertrauen in Gott, ohne Angst vor dem Tod, mit sich selbst im Frieden und umgeben von seiner Familie und seinen Freunden." Drei Jahre zuvor hatte der Musiker öffentlich gemacht, dass er an Kehlkopfkrebs erkrankt sei – Folge der unzähligen Zigaretten, die ihn sein ganzes Leben begleitet hatten. Sechs Monate vor seinem Tod hatte er sich noch in einer Operation Gewebe der ebenfalls vom Krebs befallenen Lunge entfernen lassen, kurze Zeit später musste er wegen eines Hirntumors in der Schweiz behandelt werden. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Krebs aber bereits zu stark gestreut, sodass ihm auch eine anschließende Behandlung in New York nicht mehr helfen konnte.
Gut zwei Wochen vor seinem Tod kamen die nach der Ermordung von John Lennon 1980 verbliebenen Beatles Paul McCartney und Ringo Starr an Harrisons Krankenbett im University Hospital in New York ein letztes Mal zusammen, um sich von ihrem Freund zu verabschieden. Danach begab sich der Todkranke nach Beverly Hills in McCartneys Anwesen, wo er am 29. November starb.
Geboren wurde George Harrison am 25. Februar 1943 im Arnold Grove Nr. 12 in der nordenglischen Hafenstadt Liverpool als jüngstes von vier Kindern. Er hatte zwei Brüder, Pete und Harold, und eine Schwester, Louise, die bei Georges Geburt bereits zwölf Jahre alt war und das Elternhaus mit 17 verließ, um auf ein Lehrercollege zu gehen. Seine Mutter war eine katholische Irin, sein Vater Matrose, der aber als Busfahrer für sieben Pfund und zehn Shilling die Woche arbeitete, um die Familie über die Runden zu bringen. „Unser Haus war sehr klein. Zwei Räume oben und zwei unten – vom Gehweg aus war man sofort drinnen, vom Hinterzimmer aus gleich wieder draußen", erinnert sich Harrison in „The Beatles Anthology", einem fast 370 Seiten umfassenden Nachschlagewerk über die Geschichte der Beatles, in dem nicht etwa andere Autoren über die Fab Four schreiben, sondern diese ihre Geschichte selbst erzählen.
Folgenschwere Begegnung im Bus
„Das vordere Zimmer wurde nie benutzt. Es war mit feinem Linoleum ausgelegt, hatte eine dreiteilige Sitzgarnitur und war eiskalt, niemand hat es je benutzt. Wir drängten uns lieber in der Küche, wo ein Feuer im Ofen brannte, auf dem ein Kessel stand, und wo es einen kleinen Herd aus Eisen gab." Auf diesem wurde am Badetag das Wasser erhitzt, denn ein Badezimmer gab es nicht. Die Toilette war hinten im Garten, und an der Mauer des Hinterhofs hing eine Zinkwanne, die gelegentlich ins Haus getragen und mit heißem Wasser vom Küchenofen für ein Bad befüllt wurde.
Schon früh wurde die Musik sein wichtigster Begleiter – und der Weg aus der Armut. Er saugte jede Art von Musik wie ein Schwamm auf, lernte früh Gitarre spielen und versuchte sogar, sich selbst eine Gitarre zu bauen. „Ich muss eine Ewigkeit daran herumgebastelt haben", erzählt Harrison. „Dann, als ich die Saiten anzog, riss es die Gitarre einfach auseinander. Enttäuscht warf ich sie in den Schuppen und redete nie mehr davon."
Auf einer Fahrt im Bus von der Schule nach Hause lernte er irgendwann den ein Jahr älteren Paul McCartney kennen und über diesen dann John Lennon. Der Rest ist Musikgeschichte. In seiner Zeit bei den Beatles stand Harrison allerdings immer im Schatten der beiden Alphatiere John Lennon und Paul McCartney. Der stille und eher introvertierte Musiker fühlte sich von beiden über viele Jahre nicht ernst genommen und als Songwriter und Arrangeur unterschätzt. Dabei stammen einige der Meilensteine der Fab Four aus der Feder von George Harrison. Die renommierte US-amerikanische Musikzeitschrift „Rolling Stone" zählt Harrison zu den 100 besten Songwritern der Geschichte – wenngleich mit Platz 65 weit hinter McCartney und Lennon, die unmittelbar nach Bob Dylan auf den Plätzen zwei und drei gelistet sind. Dennoch.
Beatles-Produzent George Martin sagt in „The Beatles Anthology" über Harrison: „Ich glaube, das Problem mit George war, dass niemand – weder John, noch Paul oder ich – ihn als gleichwertigen Songwriter behandelt hat." Wenn er mit einem Song um die Ecke kam, sagte Martin in eher herablassendem Ton: „Na schön, wenn er einen Song hat, dann nehmen wir ihn halt aufs Album." – Ohne wirklich an den Erfolg zu glauben.
„Just zu dem Zeitpunkt, als es mit den Beatles bergab ging, taute George geradezu auf", sagte Schlagzeuger Ringo Starr später einmal und meinte damit vor allem die Titel „Something" und „Here comes the sun", die beide im September 1969 veröffentlicht wurden. „Something" bezeichnete John Lennon sogar als den besten Song des Albums „Abbey Road" – geradezu eine Sensation aus Lennons Munde, der in George Harrison nie mehr als einen einfachen Gitarristen sah. Auch McCartney war begeistert: „Meiner Meinung nach war ,Something‘ Georges größter Song – zusammen mit ,Here comes the sun‘ und ,While my guitar gently weeps‘."
Harrison hatte den Titel bereits 1968 geschrieben, doch irgendwie hatte er den Eindruck, ihn so oder so ähnlich schon woanders gehört zu haben. Tatsächlich stammte die erste Zeile „Something in the way she moves" von James Taylor, von dem er den Satz aufgeschnappt hatte. „Ich legte ihn (den Song) sechs Monate auf Eis, weil ich dachte: „Das geht viel zu einfach!" Tatsächlich bot er den Song damals sogar Joe Cocker an, der ihn 1969 zuerst aufnahm und veröffentlichte. Erst danach nahmen ihn die Beatles auf, feilten kräftig daran, und zum ersten Mal war Harrison plötzlich der musikalische Direktor, der McCartney sagte, wie dieser den Bass spielen sollte. Nie zuvor hätte er sich das gewagt, wie der langjährige Tontechniker der Beatles, Geoff Emerick, sich später erinnerte. In den USA schaffte es „Something" bis auf Platz drei der Billboard Charts und ist bis heute nach „Yesterday" von Paul McCartney der am häufigsten gecoverte Beatles-Song.
Dabei hatte Harrison weitaus mehr Einfluss auf die musikalische Entwicklung der Beatles, als viele denken. Sein Song „Taxman" von 1966 – eine bitterböse Abrechnung mit dem britischen Steuersystem – stellt den Übergang vom bisherigen klassischen Beatles-Sound hin zu indischen Einflüssen dar, mit denen vor allem Harrison in den Folgejahren experimentierte und die eine immer größere Rolle für die Band spielen sollten.
Anfänglich große Solo-Erfolge
Am 10. April 1970 verkündete Paul McCartney schließlich seinen Ausstieg aus den Beatles und die Fab Four gingen fortan getrennte Wege. Gründe dafür gab es viele – Lennons Ehefrau Yoko Ono (siehe Thema der Woche), die häufig als Trennungsgrund genannt wird, war allenfalls einer von vielen. Ein Wendepunkt war zweifelsohne der Tod des Beatles-Managers Brian Epstein drei Jahre zuvor. Als der 1967 an einer Überdosis starb, begann es innerhalb der Band bereits stark zu bröckeln. Sie waren erwachsen geworden, alle verheiratet und verfolgten zunehmend unterschiedliche Interessen.
Lange vor McCartney hatte George Harrison bereits mit einem Bandausstieg geliebäugelt. Bei den Arbeiten zum „White Album", das zwischen Mai und Oktober 1968 aufgenommen wurde, hatte sich Harrison frustriert mehrere Wochen von der Band zurückgezogen, weil er sich künstlerisch unterfordert fühlte und seine Ideen nicht wertgeschätzt wurden. Dabei hatte er jede Menge musikalisches Material in der Hinterhand. Kein Wunder also, dass er kurze Zeit nach der Trennung der Beatles bereits das viel beachtete Triple-Album „All things must pass" herausbrachte – mit jeder Menge Lieder, die er ursprünglich für die Beatles geschrieben hatte. Sein größter Solo-Erfolg „My sweet Lord" ist ebenfalls darauf zu finden. Bei diesem musste er sich allerdings den Vorwurf eines „unbewussten Plagiats" gefallen lassen, da „My sweet Lord" sehr stark an „He’s so fine" von The Chiffons aus dem Jahr 1963 erinnert.
Bei Messer-Attentat schwer verletzt
In den Folgejahren konnte Harrison allerdings nicht wirklich an seine Anfangserfolge als Solokünstler anknüpfen, seine Karriere war ein ständiges Auf und Ab. Nach einer schöpferischen Pause blieb sein 1982 veröffentlichtes Album „Gone Troppo" nahezu unbeachtet, es gilt als sein größter Flop. 1987 gelang ihm allerdings mit „I got my mind set on you" ein Riesen-Erfolg, der unter anderem in den USA auf Platz eins der Charts landete. Harrison war überraschend wieder da und produzierte im gleichen Jahr gemeinsam mit Jeff Lynne von ELO das kommerziell erfolgreiche Album „Cloud Nine", aus dem die Single-Auskopplung „When we was Fab" stammt, in der Harrison auf die Zeit mit den Beatles zurückblickt. 1988 schloss er sich mit den Musikgrößen Bob Dylan, Roy Orbison, Tom Petty und wiederum Jeff Lynne zu den Traveling Wilburys zusammen. Doch nach zwei Alben trennten sich auch deren Wege wieder. Roy Orbison hatte schon die Veröffentlichung des ersten Albums nicht mehr erlebt, da er kurz zuvor im Alter von nur 52 Jahren einem Herzinfarkt erlag.
1993 schließlich zog sich George Harrison von der vordersten Front des Musikgeschäfts zurück und arbeitete nur noch im Hintergrund für andere Künstler. Aufsehen erregte 1999 ein Einbruch in sein Anwesen Friar Park westlich von London, als er fast von einem geistesgestörten Mann getötet worden wäre wie John Lennon 19 Jahre zuvor. Harrison überlebte schwer verletzt mehrere Messerstiche in die Brust, konnte aber den Angreifer gemeinsam mit seiner Frau überwältigen. Auch wenn er sich von dieser Attacke vollständig erholte, ließ ihm der Krebs nicht mehr viel Zeit.