Bereits der Titel seines ersten Albums wurde zum Schlachtruf einer Generation: „Freak Out!“. Der Gitarrist, Sänger und Songschreiber Frank Zappa starb vor 30 Jahren am 4. Dezember. Ein umfangreiches Boxset mit Aufnahmen von 1973 erinnert an einen der originellsten, kreativsten und begabtesten Musiker.
Frank Zappa soff nicht, nahm keine harten Drogen und hatte auch nicht Sex mit 5.000 Frauen – aber er wollte unbedingt für das Amt des US-Präsidenten kandidieren. Für die konservativen Kräfte Amerikas war das wie ein Stich in eine offene Wunde. Kein Künstler war bei ihnen so sehr verhasst wie der Polit-Rebell aus dem US-Bundesstaat Baltimore. Von seinen Fans wurde der am 21. Dezember 1940 in Baltimore/Maryland geborene Zappa hingegen als „Obermutter aller Freaks“ gefeiert. „Kein Akkord ist hässlich genug, all die Scheußlichkeiten zu dokumentieren, die von der Regierung in unserem Namen verübt werden“, sagte er einmal. Lästereien wie diese gehörten zum Standardrepertoire des Gitarristen, Sängers, Satirikers und hintergründigen Chronisten seiner Zeit.
Ab 1962 arbeitete Zappa im „Studio Z“ in Cucamonga, Kalifornien als Musiker, Komponist, Tontechniker und Produzent mit Künstlern wie The Penguins, Bobby Ray and the Ferns, The Hollywood Persuaders oder Mr. Clean zusammen. 1963 präsentierte er in der „Steve Allen Show“ seine dadaistische Performance „Concerto for Two Bicycles“. Zu Lebzeiten brachte er es auf 62 Einfach-, Doppel- und Dreifachalben zwischen Jazz, Rock, Pop und avantgardistischer E-Musik.
Mit dem Debüt „Freak Out!“ legten Frank Zappa und seine legendäre Gruppe The Mothers of Invention das erste Konzeptalbum der Rockgeschichte vor. Der musikalische Seitenhieb auf die kalifornischen Blumenkinder offenbarte schon 1965 all jene Einflüsse, die die späte Phase des großen Experimentators dominieren sollten. Sinfonische Spinnereien zwischen Varèse, Schönberg, Bartók und Strawinsky verschmelzen mit minimalistischen Avantgarde-Ansätzen und verwirrenden Rock-Breaks. Auf der Bühne präsentierten die angsteinflößenden Freaks um den zottelhaarigen Zeremonienmeister ein provozierendes und obszönes Rocktheater, immer am Rande des musikalischen Wahnsinns. Ein aufmüpfiger und überdrehter Sound, der seine Lust am Happening offen auslebte. Neben den Mothers of Invention wirkten selbst die Rolling Stones wie brave Schuljungen.
Er las selbst nur äußerst ungern
Schon in den frühen Siebzigern gründete Zappa das Label „DiscReet Records“, um seine Unabhängigkeit zu wahren. Manchmal verwertete er sogar den musikalischen Schrott, den seine Zeit hervorbrachte, um damit gezielt Angriffe gegen das verhasste Spießbürgertum zu fahren. Eines seiner erfolgreichsten Projekte, die Albumtrilogie „Joe’s Garage“, erzählt die Geschichte eines Musikers, der mit dem Gesetz in Konflikt gerät, nur weil er zu laut Gitarre spielt. In diesem Sinne auch die bekannteste Fotografie des Amerikaners griechisch-italienischer Abstammung: Sie zeigt ihn mit heruntergelassener Hose auf einer Toilette.
Ausgerechnet in einem Ex-Beatle sollte Zappa einen Gleichgesinnten finden. 1971 wirkte er als Gitarrist bei den legendären Konzerten von John Lennon und Yoko Ono in New York mit. Zuvor hatte er die satirische LP „We’re Only in It for the Money“ veröffentlicht. Für das Cover – eine schrille Karikatur der „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ – musste er sich die Erlaubnis der Beatles holen. Erstaunlich allerdings das Geständnis, dass der wohl größte Provokateur der Rockwelt fast niemals ein Buch in die Hand genommen hat. „Ich kann Bücher nicht ertragen“, gestand er in einem Interview. „Ich werde immer gebeten, Vorworte zu schreiben. Aber wenn ich dann anfange, ein Buch zu lesen, gebe ich meist nach drei Absätzen auf.“ Anregungen und Informationen pflegte sich der klassisch geschulte Perfektionist aus dem Fernsehen zu holen. Bei seinem allabendlichen „Nachrichten-Bad“ lief stets der Videorekorder mit. Zappa bevorzugte die „überlegenere Lebensform eines Silberfisches“: tagsüber schlafen, nachts leuchten.
Mit ständig wechselnden Musikern entstaubte der Gitarrist und Pianist den konventionellen Rocksound, brach mit allen Klischees und blieb dabei fast immer ein Außenseiter. So unterschiedlich das musikalische Œuvre des Allroundgenies, umso deutlicher die Kritik des Bürgerschrecks an den gesellschaftlichen Verhältnissen in den USA. Wegen seiner oftmals derben Texte wurden sogar Prozesse gegen ihn erwirkt. Wohl kein anderer Rockautor hat mit so vielen sexuellen Tabus gebrochen. Die laut Zappa prüden Moralvorstellungen des Bürgertums durchziehen das bis heute einzigartige Werk.
Am erfolgreichsten war er ausgerechnet zu einer Zeit, als der Punk explodierte und die Helden der 1960er- und 1970er-Jahre als langweilige alte Fürze abgetan wurden. Mit seinem wohl kommerziellsten Album „Sheik Yerbouti“ (1979) erreichte der Neutöner dank des Diskothekenrenners „Bobby Brown“ unverhofft ein Massenpublikum. Der ungewohnt populäre Sound war allerdings nur Mittel zum Zweck. In bitterbösen Worten geißelte Zappa die gestylten Jungkonsumenten der ausklingenden 1970er als „Dancin’ Fool“ – Tanztrottel.
Mitte der Achtziger hatte sich seine ordinäre Anarcho-Sprache endgültig überlebt und seine Gitarre rückte wieder mehr in den Vordergrund. Die energischen und melodischen Improvisationen, die nie etwas von ihrer Faszination eingebüßt haben, ließen nun auch die offiziellen Rockbeauftragten aufhorchen. Bezeichnenderweise erhielt er seine Grammys jeweils „nur“ für Instrumentalplatten. Obwohl er Zeit seines Lebens an einer unverwechselbaren Klangsprache arbeitete, wurde der Gitarrist Zappa niemals so einflussreich wie etwa Jimi Hendrix. Dafür war sein Stil einfach zu individuell.
Als Gitarrist nie sehr einflussreich
Die erwachsene Phase des Maestros stand vor allem im Zeichen der Verschmelzung von E- und U-Musik. Kooperationen mit den Stardirigenten Pierre Boulez und Kent Nagano zeugen von einem nach allen Seiten offenen System. Letztgenannter äußerte sich über Zappa: „Der Sound, den er mit seiner Band kreierte, war revolutionär. Nie hatte man so etwas gehört: Äußerst kultiviert und äußerst raffiniert.“ Für sein letztes Projekt zog sich der ewige Rebell schließlich doch noch den Frack an, über den er sich 30 Jahre lang mokiert hatte.
Die klassische Suite „The Yellow Shark“ im Geiste von Kurt Weill und Pierre Boulez wurde 1991 gemeinsam mit dem „Ensemble Modern“ aus Frankfurt auf die Bühne gebracht. Bei der Premiere war der Maestro bereits so sehr vom Krebs gezeichnet, dass er den Taktstock an seine Tochter Moon Unit übergeben musste. Am 4. Dezember 1993 starb Francis Vincent Zappa im Alter von 52 Jahren in seinem Haus im kalifornischen Laurel Canyon.
Seitdem hat der Zappa Family Trust mehr als 70 Alben beziehungsweise BoxSets mit zumeist hochwertigem Material aus dem Nachlass veröffentlicht. Zappas Sohn Ahmet und dessen Schwester Diva Magika besitzen die Mehrheit an der Stiftung und hindern ihren älteren Bruder Dweezil immer wieder daran, die Musik des Vaters live zu interpretieren. Dazu Dweezil: „Für mich ist es ganz klar: Das Vermächtnis meines Vaters wird am besten durch Zusammenarbeit auf gleicher Augenhöhe innerhalb der Familie bewahrt.“
Vier Wochen vor Frank Zappas 30. Todestag erschien der Klassiker „Over-Nite Sensation“ in einer Super Deluxe Edition. Das Box-Set enthält das Originalalbum im frischen Gewand. Als Bonus gibt es 57 bisher unveröffentlichte Studioaufnahmen und alternative Versionen. Dazu kommen Konzertmitschnitte aus dem Hollywood Palladium in Los Angeles und der Cobo Hall in Detroit von 1973. Bei vier Titeln der ursprünglichen Platte wollte Zappa Backgroundsängerinnen einsetzen, und sein Roadmanager schlug Tina Turner und The Ikettes vor. Der herrische Ike Turner bestand darauf, dass Zappa den vier Sängerinnen nicht mehr als 25 Dollar pro Song zahlte. Aus einer Rechnung geht jedoch hervor, dass sie tatsächlich 25 Dollar pro Stunde und insgesamt 187,50 Dollar pro Person für siebeneinhalb Stunden Arbeit erhielten. Aufgrund der vielen sexuellen Anspielungen in den Texten verlangte Ike, dass Zappa die Ikettes nicht auf dem Albumcover erwähnt.
Der Agent Provocateur der Rockmusik erwog, als Präsident der USA zu kandidieren, und hielt Politik für die Unterhaltungsabteilung der Industrie: „Die gewählten Vertreter sind nur Possenreißer, die man im TV sehen kann. Die wahre Action läuft hinter den Szenen ab“, ätzte Frank Zappa. „Multinationales Big-Business ist die wahre Regierung, und der Rest, den man im TV sieht, ist Politik. Das ist wie eine Show.“