Die Neunziger sind in. Es ist das Jahrzehnt, in dem Pamela Anderson zur Ikone mit zweifelhaftem Ruf wurde. Wer 30 Jahre später noch dabei ist, sieht, was sie daraus gemacht hat.
Seit einiger Zeit herrscht – nicht nur in der Mode – eine gewisse 90er-Jahre-Nostalgie. Dr. Martens, Low-Waist-Jeans, Oversized-Shirts, schmale Sonnenbrillen, Tattoo-Halsbänder und die Songs der Backstreet Boys sind in einer etwas kruden Melange als Trends zurückgekehrt.

Die Unterhaltungslandschaft der 90er-Jahre brachte viele Formate und auch Stars hervor, die gerade wieder angesagt sind. Der Dauerbrenner „Friends“ hat den Einzug in die Hall of Fame der popkulturellen Phänomene schon längst geschafft, die Wiederauferstehung von Vampirjägerin „Buffy“ steht kurz bevor, der „Prinz von Bel-Air” ist immer noch fresh und „Die Nanny“ ist auch noch für einen Lacher gut. Zugegeben, manche Formate sind dabei besser gealtert als andere. Eine Serie wie „Baywatch“ gehört rückblickend wahrscheinlich eher zu den Formaten, die heute etwas aus der Zeit gefallen sind. Obwohl man sich heute mit Blick auf manches aktuelles Unterhaltungsformat durchaus Pamela Anderson und David Hasselhoff zurückwünscht, die in roter Badebekleidung in Zeitlupe am Strand entlanglaufen.
Dünne Augenbrauen, dünne Körper
Was sich jedenfalls nicht leugnen lässt: Die Protagonisten von damals sind heute nicht mehr 20, sondern in ihren Vierzigern, Fünfzigern und Sechzigern. Während sich einige der Celebrities verhältnismäßig solide im Rampenlicht hielten, tauchten andere ab, verschwanden gänzlich oder tauchten wieder auf. Nicht selten taten sie dies begleitet von Skandalen oder privaten Dramen, die– zur Freude der Boulevardmedien und des Publikums – öffentlich ausgefochten wurden. Man denke an das unglückliche Schicksal von Britney Spears, die in den letzten Jahren eher mit dem Vormundschaftsprozess gegen ihren Vater, ihrer geplatzten Verlobung und psychischen Problemen von sich reden machte.
Was das weibliche Körperideal der 90er-Jahre anging, waren nicht nur ultradünne Augenbrauen Trend, sondern auch ultradünne Körper. Dabei spannte sich der Bogen vom düsteren Supermodel-Look, dem „Heroin Chic“, der geprägt war von blasser Haut, tiefen Augenhöhlen und ausgemergelten Gesichtszügen, bis hin zum braungebrannten Playboy-Bunny-Äußeren. Grundsätzlich waren die 1990er-Jahre in Sachen Body Positivity keine wirklich förderliche Zeit. Schlank und möglichst makellos sollte man sein, große Abweichungen duldete diese Norm nicht.

Dennoch hielt das Jahrzehnt für Frauen auch gewisse Fortschritte bereit. Was schon in der Dekade zuvor begonnen hatte, setzte sich fort: Frauen konnten nun auch Karriere machen und in Berufen Fuß fassen, die eigentlich Männerdomänen waren. Was aber eher selten passierte, war, dass sich diese beiden Welten öffentlich vermischten. Frauen waren entweder sexy oder aber sie machten eine seriöse Karriere, beides zusammen eher nicht.
In dieser Gemengelage, in der Hochphase der Fernsehunterhaltung, in der Zeit der Makellosigkeit weiblicher Körper, in der Unbeschwertheit der bunten Unterhaltungslandschaft, in der Manege der skandalheischenden Presse hatte Pamela Anderson ihren Auftritt – erst als Covermodel, dann als Schauspielerin im knappen Badeanzug, schließlich als Skandalnudel und Busenwunder.
Pamela Anderson nahm die Möglichkeiten und den Zeitgeist der 90er-Jahre an. Sie schöpfte sie aus und stilisierte sich, zumindest in Teilen bewusst und freiwillig, zur Blondine im roten Badeanzug. Die Öffentlichkeit sprang darauf an. Ein allzu differenziertes Bild wollte niemand sehen, deshalb stand schnell fest, dass Pamela Anderson eben hauptsächlich aus einer sehr großen Oberweite bestand, die man in sehr enge Kleidung gepresst hatte. So wurde ihr Äußeres zum Phänomen. Bis heute wird Pamela Anderson dafür parodiert, ihr Look wurde zum Faschingskostüm, es gab Pamela-Anderson-Doubles. Die „deutsche Pamela“ Ina Werner wurde dafür sogar von der Grimme-Preis-Jury lobend erwähnt.
Wie viele andere ihrer Zeitgenossinnen und Zeitgenossen manövrierte sich auch Pamela Anderson durch die Neunziger und die Zeit danach, sie hatte ihre Erfolge, hatte Skandale und hatte mit zunehmendem Alter ihre Hochs und ihre Tiefs. Ernstgenommen wurde sie dabei selten. Fast immer wenn über sie berichtet wurde, klebte das Bild des blonden Dummchens, das sich durch die herablassende Oberflächlichkeit der 90er-Jahre in das kollektive Bewusstsein gebrannt hatte, an ihr, wie ein nasser Badeanzug. 2010 etwa war sie im „Spiegel“ noch die „hauptberufliche Blondine“, die ihre „Dummheit zum Markenzeichen“ gemacht hatte. Auch in anderen Medien kam kaum ein Bericht über sie ohne Zuschreibungen wie Busenwunder, Kurvenstar, Sexsymbol oder Ex-„Baywatch“-Nixe aus. Dass sie hinter diesen Äußerlichkeiten mehr zu bieten hatte, dass sie sich für ernste Themen starkmachte, dass ihr schlimme Dinge passiert waren, spielte kaum eine Rolle oder wurde dabei ins Lächerliche gezogen.
Auf einmal eine ganz normale Frau

Mit ihrem ungeschminkten Auftritt in Paris 2023 änderte sich das. Es hatte wohl niemand damit gerechnet, dass Pamela Anderson auf einmal eine ganz normale Frau war. In einer Zeit, in der die Unterhaltungsbranche mittlerweile dort angekommen ist, wo Pamela bereits vor 30 Jahren war, wo Schönheitseingriffe kein Tabu mehr darstellen, wo Künstlichkeit kultiviert wird, wo fast jedes Mittel probat ist, um jung und makellos zu erscheinen, wo Frauen aber auch erfolgreich, schlau und sexy zugleich sein können, da macht sie genau das Gegenteil von dem, was man von ihr erwartet: Sie zeigt sich, wie sie ist. Gealtert, faltig, mit grauem Haaransatz und müden Augen. Dass das einen Effekt erzielen würde, war wohl auch Pamela Anderson klar.
Man kommt an dieser Stelle allerdings nicht umhin, zu bemerken, dass heute genau die Öffentlichkeit über eine Frau jubelt, die sie jahrzehntelang nur als einfältige Blondine sehen wollte, ohne sich die Mühe zu machen, einen Blick hinter die Fassade zu werfen. Nun heißt es dort, wo vorher noch vom Busenwunder zu lesen war, Pamela Anderson altere in Würde, von ungeschönter Wahrhaftigkeit ist die Rede, sie wird zur Stilikone, während man vorher kaum eine Gelegenheit ausgelassen hatte, ihre Stillosigkeit und ihre Skandälchen in den Vordergrund zu rücken. Es ist erstaunlich, was ein wenig fehlendes Make-Up doch bewirken kann.
Die 90er-Jahre haben ein Revival gefeiert. Pamela Anderson ist dabei und macht irgendwie doch nicht mit. Der Fluch der 90er-Jahre scheint gebrochen.