Mitten in der sportlichen Krise in der letzten Saison musste Borussia Mönchengladbach die Position des Sportdirektors neu besetzen. „Der Neue" heißt Roland Virkus und war selbst für Brancheninsider ein Nobody. Doch seine ersten Bewährungsproben hat er bravourös gemeistert.
Mit Ablauf der sommerlichen Transfer-Periode am 1. September hatte Gladbachs neuer Sportdirektor Roland Virkus die erste große Herausforderung gut hinter sich gebracht. Denn der von vielen Experten, Fans und sogar den Verantwortlichen der Borussia befürchtete große Kader-Umbruch konnte vermieden werden. Von den Stammkräften hatte sich lediglich der bullige, technisch nicht brillante Schweizer Stoßstürmer Breel Embolo für geschätzte zwölf Millionen Euro zu Monaco verabschiedet. Dahingegen war der wochenlang im Raum stehende Abgang von Weltklasse-Goalie Yann Sommer, vom algerischen Defensiv-Strategen Ramy Bensebaini und des französischen Sturmtanks Marcus Thuram letztlich doch nicht über die Bühne gegangen. Zwar konnte Virkus die drei Spieler bislang noch nicht zu einer Verlängerung ihrer im Sommer 2023 auslaufenden Verträge überreden. Das war ihm aber lobenswerterweise bei Nationalspieler Jonas Hoffmann und dem meist im linken Sturmzentrum agierenden Franzosen Alassane Pléa gelungen. Aber womöglich wird Virkus in den kommenden Monaten auch noch diese Aufgabe erfolgreich im Sinne der Borussia zum Abschluss bringen können, um einen ablösefreien Wechsel der Kicker Ende der Saison zu vermeiden.
Ablösefreien Wechsel vermeiden
Auch mit der Verpflichtung von Daniel Farke als neuem Trainer hat Virkus offenbar ein glückliches Händchen bewiesen. Dies konnte unter anderem deswegen gelingen, weil der von Gladbach heiß umworbene Ex-Coach Lucien Favre absagte. Farkes stärker auf Spielkontrolle und Ballbesitz abzielendes System scheint den größtenteils nicht sehr laufschnellen Borussen offenbar wesentlich mehr entgegenzukommen als das von den beiden letzten Trainern präferierte Offensiv-Pressing. Der Saisonstart war jedenfalls vielversprechend. Zumal dafür personell nahezu das gleiche Team verantwortlich zeichnete, das in der vergangenen Spielzeit mit dem zehnten Platz und zeitweiligem Mitmischen im Abstiegskampf arg enttäuscht hatte.
Nur der von Manchester City verpflichtete Japaner Ko Itakura schaffte direkt den Sprung in die Startelf. Mit dem jungen Dänen Oscar Luigi Fraulo, der vom FC Midtjylland gekommen war, schienen die durch die Corona-Pandemie etwas klamm gewordenen Borussen ihre Transfer-Aktivitäten für die Saison 2022/2023 auch schon beendet zu haben. Doch kurz vor Toresschluss konnte Virkus noch den Zugang des jungen französischen Offensiv-Allrounders Nathan Ngoumou und des deutschen Nationalspielers Julian Weigl vermelden. Ngoumou kam vom FC Toulouse, wo er an der Seite des inzwischen bei Gladbach zum absoluten Leistungsträger und Juwel auf der Sechserposition gereiften Manu Koné gekickt hatte. Weigl hatte es von Benfica Lissabon auf Leihbasis bis Saisonende an den Niederrhein gezogen. Nach dem bestätigten Engagement des bei Gladbach nur beurlaubten Max Eberl als neuer Sportdirektor bei RB Leipzig könnten nun zusätzlich bald einige Millionen Euro Ablöse Richtung Gladbach fließen.
Die Borussia scheint jedenfalls für die aktuelle Saison dank der Arbeit von Roland Virkus bestens gerüstet zu sein. Dass er so schnell die großen Fußstapfen seines beliebten Vorgängers Eberl ausfüllen könnte, hatten ihm wohl nur die wenigsten zugetraut. Denn rund um die Pressekonferenz vom 15. Februar mit seiner offiziellen Präsentation war durchgesickert, dass Virkus eigentlich nur die vierte Wahl gewesen war. So wird es aus dem Umfeld von Gladbachs Verantwortlichen rund um den erfolgreichen Unternehmer und Präsidenten Rolf Königs berichtet.
Das konnte durchaus als schwere Hypothek für seine Nachfolge in den Fußstapfen von Max Eberl angesehen werden, der drei Wochen zuvor aus gesundheitlichen Gründen überraschend zurückgetreten war. Denn die Borussia hatte zunächst hinter verschlossenen Türen ihren Scouting-Chef Steffen Korell befördern wollen. Der gebürtige Zweibrücker hatte seine Kicker-Laufbahn beim damaligen Zweitligisten FC 08 Homburg begonnen. Das schien auf den ersten Blick eine sinnvolle und naheliegende hausinterne Lösung zu sein. Schließlich hatte sich Korell in den zurückliegenden Jahren zur rechten Hand der Vereinsikone Max Eberl gearbeitet und hatte außerdem seinen ganz persönlichen Anteil an den teils verblüffenden Transfer-Coups der Borussia.
Mitteilung sorgte für wilde Spekulationen
Nachdem Korell verzichtet hatte, hatte Borussias Big Boss Rolf Königs öffentlich mitgeteilt, dass man sich zu einer externen Lösung mit einem bereits hinlänglich erfahrenen Fachmann entschieden habe. Das hatte in der Presse natürlich gleich zu wilden Spekulationen geführt. Wolfsburgs Jörg Schmadtke, Bielefelds Samir Arabi, Schalkes Rouven Schröder, Nürnbergs Dieter Hecking, Christoph Spycher von Young Boys Bern oder auch der Technische Direktor des französischen Fußballverbandes Hubert Fournier wurden als heiße Kandidaten gehandelt. Mit zwei Herren aus diesem Personenkreis hatte die Borussia eigenem Bekunden nach ernsthafte Gespräche geführt, ohne konkrete Namen zu nennen, aber vermutlich waren es Rouven Schröder und Samir Arabi, die jedoch nicht dazu bereit waren, zugunsten der Borussia aus ihren Verpflichtungen auszusteigen.
Was nun folgte, war gewissermaßen eine Rolle rückwärts, da man sich wieder zu einer hausinternen Besetzung des Postens durchrang. Dabei wurde eine zunächst in der Öffentlichkeit diskutierte Doppelspitze mit Korell als zweitem Mann nicht ernsthaft in Erwägung gezogen und die zuvor als Maxime genannte Erfahrung im Bundesliga-Profigeschäft spielte keine Rolle mehr. Denn Roland Virkus war bislang nur im Jugendbereich des niederrheinischen Traditionsclubs tätig. Und mit seinem Namen konnte eigentlich niemand in der Szene oder in der interessierten Medienlandschaft etwas anfangen.
Das war den Borussia-Verantwortlichen natürlich bewusst, weshalb sie auf die Schnelle eine Kurzvita verfassen ließen. Demnach handelte es sich um einen 55-jährigen gebürtigen Mönchengladbacher (geboren am 3. Dezember 1966), der schon als Fan in seiner Jugend Spiele auf dem legendären Bökelberg verfolgt hatte und seit 1990 bei der Borussia tätig ist. Zunächst von seinem Heimatverein SpVg Odenkirchen kommend, trainierte er später bei Mönchengladbach die U15, U17 und U19 und ist mit der Uefa-A-Lizenz ausgestattet. Dabei arbeitete er mit Talenten wie Marcell Jansen oder Marc-André ter Stegen. Später wurde er Leiter des Internats Fohlen-Stall, um schließlich im November 2008 als studierter Sozialpädagoge die Nachfolge von Max Eberl als Direktor des Nachwuchsleistungszentrums der Borussia anzutreten. Auch über sein familiäres Umfeld wurde informiert: Demnach ist er verheiratet und hat drei Söhne. Er ist im Jüchener Ortsteil Schaan im Rhein-Kreis Neuss wohnhaft, seine Söhne heißen Moritz (20 Jahre), Paul und Luis (beide 17 Jahre). Als aktiver Kicker kam er beim VfL Jüchen-Garzweiler kaum über Kreisliga-Format hinaus, und zu Beginn seiner Laufbahn hatte er bei der Borussia noch halbtags in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung in Hemmerden gearbeitet.
Festhalten an Hütter sorgte für Druck
32 Jahre in Diensten der Borussia – mehr Stallgeruch geht wohl kaum. Und doch wurde die Installierung von Virkus zum neuen Sportchef im Kreise der Gladbach-Fans größtenteils mit Enttäuschung und teils offener Ablehnung zur Kenntnis genommen. Denn an die Seite des unpopulären Trainers Adi Hütter sollte nun noch ein Sportdirektor treten, dessen Befähigung zur Bewältigung der damaligen sportlichen Krise und der anstehenden Neuformation des Profi-Kaders man skeptisch gegenüberstand. Roland Virkus zeigte sich von der Reaktion der Borussia-Fans ziemlich betroffen, weil man ihn doch bitteschön erst einmal seine Arbeit machen lassen und erst danach ein Urteil fällen sollte. Von Vereinsseite wurde ihm hingegen der Rücken gestärkt und ein langfristiger Vertrag bis 2025 angeboten.
Rolf Königs sagte dazu: „Am erfolgreichen Weg der vergangenen Jahre haben viele Köpfe mitgewirkt, wir haben eine starke Struktur und ein starkes Team, und ich freue mich, dass in Roland Virkus einer aus diesem Team die Arbeit von Max Eberl fortsetzt." Noch euphorischer gab sich Vize-Präsident Rainer Bonhof. Virkus bringe „alles mit, was man für die Position des Sportdirektors braucht. Er hat Erfahrung in der Führung eines Fußballbetriebs, in der Kaderplanung, Erfahrung im Umgang mit Trainern und Spielern, Erfahrung im Umgang mit Spielerberatern und ein großes Netzwerk. Er ist der richtige Mann für diesen Job." Alles damals recht kühne Behauptungen, aber auch aus der großen Borussia-Familie hat Virkus prominente Fürsprecher gefunden. So bescheinigte Marc-André ter Stegen ihm aus Barcelona einen entscheidenden Anteil an seiner großen Karriere.
In der nationalen Sport-Presse waren zunächst keinerlei kritische Kommentare zur Entscheidung der Borussia oder Zweifel an der Befähigung von Virkus laut geworden. Wohl eingedenk der leidvollen Erfahrungen aus Eberls Manager-Frühzeit, als man sich schon mal mit negativen Kritiken in die Brennnesseln gesetzt hatte, bevor dieser den Königstransfer Marco Reus in die Wege geleitet, den drohenden Abstieg durch die Verpflichtung von Trainer Lucien Favre vermieden und Gladbach direkt danach in die Play-offs der Champions League geführt hatte.
Doch im Zuge des Abstiegskampfes geriet auch Virkus nicht zuletzt wegen seines Bekenntnisses zu Trainer Hütter unter wachsenden medialen Druck. Daher konnte die Trennung vom erfolglosen Hütter im Sommer 2022 als Riesenüberraschung gewertet werden. Künftig möchte Virkus wieder stärker auf das Gladbacher Erfolgsmodell der Einbindung eigener Jungkicker wie dem hoffnungsvollen luxemburgischen Linksaußen Yvandro Borges Sanches in den Profikader setzen; „Borussia stand immer für das Drei-Säulen-Modell aus Jugendspielern, externen Toptalenten und gestandenen Spielern. Die ersten beiden Säulen haben wir zuletzt nicht mehr so bedient."