Sir Bob Geldof veröffentlichte am 29. November vor 40 Jahren mit „Do They Know It’s Christmas“ den ersten globalen Charity-Song. Die BBC würdigt dieses historische Ereignis mit zwei neuen Dokumentationen. Und Geldof erzählte unserem Autor, wie er zum Polit-Aktivisten der Popmusik schlechthin wurde.
Ein schockierendes Ereignis macht Bob Geldof zum Rockstar. Während eines Radio-Interviews am 29. Januar 1979 schnappt der 27-jährige Sänger der Dubliner Band The Boomtown Rats eine Telexnachricht auf: Eine kalifornische Jugendliche namens Brenda Spencer schießt gerade mit einem halbautomatischen Gewehr aus ihrem Schlafzimmerfenster auf Lehrer und Schüler in ihrer Schule in San Diego. Die 16-Jährige begründet die Morde später mit „Ich mag keine Montage. Das belebt den Tag“. Dem am 5. Oktober 1951 im irischen Dún Laoghaire geborenen Sänger gelingt es, seine negativen Emotionen in Kreativität umzuwandeln, indem er für die Boomtown Rats „I don’t like Mondays“ schreibt. „Nicht das Mädchen interessierte mich, sondern die Wahnsinnstat und wie es dazu kommen konnte“, sagt er. „Den Songtext hatte ich in wenigen Minuten fertig, auf dem Weg von der Radiostation ins Hotel“. Die Single erscheint am 21. Juli 1979 und erobert sofort die britischen Charts. Brenda Spencer schickt ihm später einen Brief aus dem Gefängnis. Darin bedankt sie sich bei dem Sänger dafür, dass er sie mit dem Song berühmt gemacht hätte. „Mann, habe ich mich beschissen gefühlt!“, sagt er.
BBC-Doku führte zum Band-Aid-Projekt
Dieses dramatische Ereignis verändert ihn. Im Fernsehen spricht Bob Geldof ohnehin nicht gern über seine Musik, sondern lieber über Korruption innerhalb der Kirche. Über die IRA-Killer im Norden und die Regierung. „Da brach die Hölle aus“, erinnert er sich. „Aber es machte mir Spaß, eine kulturelle Revolution mit loszutreten. Elvis Presley und Little Richard wussten anfangs gar nicht, was sie da taten. Sie waren Avatare einer tiefgreifenden Wandlung. Auch Paul und John und Mick und Keith ahnten in ihrer „Fuck off!“-Unverschämtheit nichts von ihrer Symbolträchtigkeit. Aber die Sex Pistols, die Ramones, The Clash, die Talking Heads und die Boomtown Rats waren anders. Sie existierten nur aus dem Grund, weil sie das System verändern wollten, das uns keine Zukunft versprach. Und es ist uns sogar gelungen!“
Im Oktober 1984 kommt der Horror zu Bob Geldof zurück. Er sieht zufällig Michael Buerks aufrüttelnde BBC-Dokumentation über die Hungersnot in Äthiopien und beschließt spontan, etwas dagegen zu unternehmen. Gemeinsam mit Ultravox-Frontmann Midge Ure gründet er quasi über Nacht die 40-köpfige Supergroup Band Aid (unter anderem mit Bono, Phil Collins, George Michael, Sting, David Bowie, Paul McCartney). Am 25. November 1984 nehmen Geldof und Ure mit dieser Supergruppe in den Sarm West Studios in Notting Hill, London, „Do They Know It’s Christmas?“ auf. Es basiert auf einem Song, den Geldof ursprünglich für die Boomtown Rats geschrieben hat.
Die von Ure und Trevor Horn (Robbie Williams, Paul McCartney) produzierte Single erscheint am 29. November 1984 beim Label Phonogram in den Formaten 7-Inch und 12-Inch. Mit drei Millionen Exemplaren allein in den ersten fünf Wochen wird die kitschige, aber perfekte Benefiznummer zur am schnellsten verkauften Single der Musikgeschichte. Sie führt in England, Amerika, Deutschland und zehn weiteren Ländern die Charts an. Das Äthiopien-Konzert in der Royal Albert Hall am 7. Dezember 1984, organisiert vom Save the Children Fund, hat daran einen beträchtlichen Anteil. Die Platte wird später mit einem Special Brit Award und einem Ivor Novello Award ausgezeichnet.
Die BBC nimmt das runde Jubiläum zum Anlass einer neuen Radiodokumentation. Sie wird am 1. Dezember 2024 unter dem Motto „Do They Know It’s Christmas? – The Song that Changed the World“ ausgestrahlt. Moderatorin Zoe Ball hat aktuelle Interviews mit Sir Bob Geldof, Midge Ure, Bono und Sting geführt. Darüber hinaus haben BBC Four und der Video-on-Demand-Service BBC iPlayer die neue, 75-minütige Dokumentation „The Making of Do They Know It’s Christmas?“ produziert. Sie enthält bislang ungesehenes Filmmaterial, das Regisseur Nigel Dick (Oasis, Guns N’ Roses) 1984 in den Sarm Studios aufgenommen und digitalisiert hat. Es zeigt unter anderem, wie Bananarama, Boy George, Duran Duran und George Michael den Song proben.
Bob Geldof schließt Anfang 1985 rund um die Welt Non-Profit-Vereinbarungen ab und gründet die offizielle Band Aid-Stiftung, die die Überweisung der Spenden an die Afrika-Hilfe garantieren und dafür sorgen soll, dass alles seriös dokumentiert wird. Unter dem Motto „Feed the World“ stellen er und Midge Ure zudem das größte Benefizkonzert auf die Beine, das die Welt je gesehen hat. Es soll am 13. Juli 1985 in der Wembley-Arena in London und im JFK-Stadion in Philadelphia stattfinden. Rockpromoter Harvey Goldstein erinnert sich: „Ich hatte wirklich keine Chance, nein zu sagen. Bob stürmte einfach in mein Büro und sagte: ‚Wir machen das jetzt!‘ Und dann ging es auch schon los.“
Größtes Konzertevent der Musikgeschichte
„Live Aid“ erweist sich in der Musikgeschichte als beispielloser Triumph der Kooperation und macht den Organisator zum „heiligen Bob“. Die größten Rock- und Popstars der Welt erklären sich einer nach dem anderen bereit, ohne Gage für die Hungernden in Äthiopien, Eritrea und dem Sudan zu spielen. Dennoch muss Bob Geldof auf Tricks zurückgreifen, indem er zum Beispiel Elton John anruft und sagt, Queen und Bowie seien dabei, obwohl sie es zu dem Zeitpunkt noch gar nicht waren. Anschließend kontaktiert er David Bowie und sagt: „Elton John macht bereits mit – du doch sicher auch, oder?“
„Live Aid“ gilt bis heute als das größte Konzertevent der Musikgeschichte. Es spielt etwa 88 Millionen Euro ein, hat aber private Folgen für den Initiator. Die Ehe mit seiner damaligen Frau Paula Yates geht in die Brüche. Bob Geldof wird im Anschluss als ein Anwärter für den Friedensnobelpreis gesehen und 1986 zum Knight Commander des Order of the British Empire ernannt.
Sir Bob glaubt nicht, dass der Rock’n’Roll heute noch die Kraft besitzt, gesellschaftlich etwas zu verändern. „David Bowies berühmten Auftritt bei ‚Top of the Pops‘ sahen damals 17 Millionen Kids. Als er mit dem Finger auf die Kamera zeigte, fühlte sich eine ganze Generation angesprochen. Das funktioniert heute nicht mehr. Das Internet hat die Gesellschaft in Bruchstücke zerlegt. Wir leben in einer Welt der Solo-Anliegen.“
Dennoch hält der Sänger an der Rockmusik fest. Die Musik sei der einzige Weg, sich selbst zu erklären, was mit einem passiert. Er sei auf der einen Seite ein Glückskind, andererseits sei sein bisheriges Leben sehr extrem und anstrengend gewesen – sowohl privat als auch beruflich. Damit spielt Bob Geldof auf den tragischen Tod seiner zweitältesten Tochter Peaches Honeyblossom aus der Ehe mit Paula Yates an. Sie starb 2014 wahrscheinlich an einer Überdosis Heroin, genau wie ihre Mutter 14 Jahre zuvor. „Manchmal verstehe ich überhaupt nicht, warum ausgerechnet mir all diese Sachen passieren“, sinniert Sir Bob, der sich bis heute mitverantwortlich für Peaches Tod fühlt.
Das Schreiben sieht er als Therapie. Erst, wenn er einen Song fertig habe, verstehe er, wo der hergekommen ist. Auf diese Weise könne er traurige Erfahrungen verarbeiten. „Wenn mir etwas Schreckliches passiert, dann komme ich mir vor wie eine Qualle in einem Ozean der Trauer. Ich muss nur wissen, dass ich ein- und wieder auszuatmen habe. Die Alternative zum Rock’n’Roll wäre, wieder im Schlachthof in Dublin oder im Straßenbau zu arbeiten.“
Im Nachhinein ist viel Kritik an „Do They Know It’s Christmas?“ und „Live Aid“ laut geworden. Weiße Menschen würden Nicht-Weißen nur aus eigennützigen Gründen helfen. Oder: Ein einzelnes Land, in dem sich die Hungerkatastrophe ereignete, werde mit einem ganzen Kontinent gleichgesetzt. Auch ist Geldof unterstellt worden, dass er als Unternehmer von einem Steuermodell profitiert habe, das Afrika schadet.
Der Aktivist Bon Geldof weist das alles vehement zurück. Allerdings hält er „Do They Know It’s Christmas?“ rückblickend für einen der schlechtesten Songs in der Geschichte des Pop. Es sei ihm nur darum gegangen, damit Einnahmen zu generieren.