Sein Magazin „Der Spiegel“ verstand er als „Sturmgeschütz der Demokratie“: Der vor 100 Jahren geborene Rudolf Augstein gilt als wirkungsmächtigster Publizist der Nachkriegszeit. Er hat im Kampf um die Pressefreiheit und mit Investigativ-Journalismus die deutsche Medienlandschaft entscheidend geprägt.
Selbst seine größten Widersacher sowie politisch Andersdenkende konnten ihm den Respekt für seine fulminante publizistische Lebensleistung nicht verwehren: Es geht um Rudolf Augstein, der am 5. November 1923 in Hannover geboren wurde. Frank Schirrmacher, der langjährige Herausgeber der bürgerlich-konservativen „FAZ“, hat auf eine besondere Ehrung seines Kollegen hingewiesen: „Unter den vielen Auszeichnungen, die Rudolf Augstein erhalten hat, hat er eine mit größtem Recht empfangen: die Wahl zum Journalisten des Jahrhunderts.“ Zuständig dafür war das International Press Institute (IPI), die älteste Organisation zur Stärkung der Pressefreiheit. 100 namhafte internationale Journalisten hatten Rudolf Augstein im Jahr 2000 den Titel „World Press Freedom Hero“ verliehen – und ihn zum „Journalisten des Jahrhunderts“ gewählt.
Erziehung mit Kritik am NS-Regime
Seine spätere Karriere war anfangs jedoch in keiner Weise absehbar. Geboren wurde Augstein als zweitjüngstes von sieben Kindern, er wuchs in einem bürgerlich-katholischen Haushalt auf. Von seinem Vater Friedrich, einem selbstständigen Fotokaufmann und Anhänger der 1933 aufgelösten katholischen Deutschen Zentrumspartei, wurde er in kritischer Abgrenzung zum NS-Regime erzogen. Dies soll sich in einem Schulaufsatz aus dem Jahr 1940 niedergeschlagen haben, in dem er Zweifel am „deutschen Endsieg“ äußerte. Augstein legte später, am 23. April 1941, das Abitur am
Ratsgymnasium Hannover ab.
Vergleichsweise ungefährlicher waren da schon das Verfassen von religiösen Gedichten und der Wunsch, Germanistik zu studieren. Allerdings war absehbar, dass es mit dem Besuch der Universität so bald nichts werden würde und seine Einberufung zur Wehrmacht nur eine Frage der Zeit sein konnte. „Ich konnte doch nirgendwo hin“, so Augstein im Rückblick. „Ich konnte nicht studieren, weil ich nicht im Arbeitsdienst gewesen war. In den Arbeitsdienst wollte ich nicht. Ich konnte zu Hause rumlungern, oder ich ging zu einer Zeitung.“ Von daher absolvierte er ein Volontariat beim „Hannoverschen Anzeiger“.
Im April 1942 wurde er zum Kriegsdienst eingezogen, wurde an der Ostfront verwundet und kehrte schließlich nach kurzer amerikanischer Gefangenschaft in seine Heimatstadt zurück. Dort erhielt er gleich eine Anstellung beim als Zweiseiter erscheinenden „Hannoverschen Nachrichtenblatt der Alliierten Militärregierung“. Zudem konnte er als blutjunger und noch völlig unerfahrener Autor auch beim „Hannoverschen Anzeiger“ tätig werden. Er profitierte davon, dass die Verantwortlichen der britischen Besatzungszone beim erwünschten Aufbau einer neuen Presselandschaft auf der Suche nach politisch möglichst unbelasteten Persönlichkeiten waren. Drei hochrangige britische Militärangehörige hatten den Auftrag erhalten, ein deutsches Presse-Novum zu gestalten: ein Nachrichtenmagazin nach dem Vorbild des britischen Magazins „News Review“ und des „Time“-Magazins.
„Das Echo“ oder „Der Spiegel“?
Augstein wurde als Redaktionsmitglied für das eine Reichsmark kostende Magazin „Diese Woche“ rekrutiert. Dieses erschien am 16. November 1946 erstmals in einer sogleich ausverkauften Auflage von 15.000 Exemplaren – und überlebte gerade mal sechs Ausgaben, da die größtenteils jungen Redakteure unverblümt Kritik an den Zuständen in Nachkriegsdeutschland und sogar an der Arbeit der Besatzungsmächte erhoben. Eines der Redaktionsmitglieder, Leo Brawand, hatte die Truppe selbst als „richtige Laienspielgruppe“ in einem Artikel bezeichnet. Die fertigen Beiträge mussten daher aufwendig zensiert werden. „Augsteins Attacken hatten in kurzer Zeit dazu geführt“, so Leo Brawand, „dass es hieß: Entweder das Blatt wird eingestellt oder es erscheint unter neuem Namen und einem neuen Herausgeber.“ Mit der Weihnachts-Doppelausgabe 1946 endete das kurze Kapitel von „Diese Woche“.
In einer Blitzaktion am 4. Januar 1947 wurde vom britischen Militär die Lizenz für das Magazin übertragen. Gegen eine Zahlung von 10.000 Reichsmark ging sie an Rudolf Augstein und seine beiden Partner, den Fotografen Roman Stempka sowie den Kaufmann und Journalisten Gerhard R. Barsch. Es musste allerdings schnellstens ein neuer Magazin-Name her, wobei die Titel „Das Echo“ oder „Der Spiegel“ zur Wahl standen. Augsteins Vater riet ihm schließlich zu Letzterem. Von der ersten Ausgabe an war „Der Spiegel“ mit Augstein als Herausgeber und Chefredakteur erfolgreich. Diese erschien am 4. Januar 1947 zum Preis von einer Mark, 22 Seiten stark und in einer wegen der Papier-Rationierung auf 15.000 Exemplare beschränkten Auflage. Da zierte der charakteristisch hellrote Rand bereits die Titelseite.
Augstein verlangte von seinen Mitarbeitern den „Spürsinn eines Morddezernats“, um einen Enthüllungsjournalismus nach anglo-amerikanischem Vorbild zu etablieren. Schon früh verstand er sein Magazin als „Sturmgeschütz der Demokratie“, um Missstände in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft oder Ämtern investigativ aufzuspüren und öffentlich anzuprangern. Mit dem lobenden Herausstellen von Errungenschaften tat sich der „Spiegel“ hingegen immer sehr schwer. „Sagen, was ist“, so lautete eines der bis heute beim „Spiegel“ in Ehren gehaltenen Leitmotive Rudolf Augsteins. Das Magazin sollte bald von allen verantwortlichen Politikern jeweils montags mit zittrigen Fingern durchgeblättert werden – spätestens seit den 1950 publizierten Enthüllungen darüber, dass bei der Wahl Bonns zur Bundeshauptstadt nicht alles mit rechten Dingen zugegangen war.
Mit Augsteins persönlichen literarischen Ambitionen war nach einem gnadenlosen Verriss ausgerechnet im eigenen Magazin Schluss. Dies betraf sein Theaterstück „Die Zeit ist nahe“, das am 1. November 1947 in Hannover aufgeführt wurde. Auch spätere Sachbücher wie „Preußens Friedrich und die Deutschen“ von 1968 oder „Jesus Menschensohn“ von 1972 wurden von der Kritik nicht sonderlich wohlwollend beurteilt. In seinem Privatleben sollte Augstein wegen einer, wie er es nannte, „Bindungsschwäche“ – mit fünf Ehefrauen, drei leiblichen Kindern, einem gesetzlich anerkannten Sprössling, dessen Vater sein Freund Martin Walser war, sowie unzähligen Affären – nicht recht glücklich werden.
Adenauer war einer der Hauptgegner
Einzig im deutschen Journalismus sollte Augstein, der 1955 der FDP beigetreten war, zu einer Jahrhundertfigur aufsteigen. Dabei hatte er sich von Anfang an Bundeskanzler Konrad Adenauer als größten Gegner auserkoren, als überzeugter Anhänger des Nationalstaates alter Prägung, dessen Seele, wie die „Süddeutsche Zeitung“ einmal schrieb, „im Deutschland Bismarcks und Richard Wagners“ festhänge. Vor allem soll er die Westbindung der Bundesrepublik, ihre Wiederbewaffnung und Einbindung in die Atlantische Allianz sowie in die Europäische Gemeinschaft als gefährlich angesehen haben, da sie die vom ihm erhoffte Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten erschweren würden.
Von daher dürfte es für Augstein eine große Genugtuung gewesen sein, dass nach dem schon im Jahr 1952 erfolgten Umzug des „Spiegel“ von Hannover nach Hamburg als Folge der sogenannten Spiegel-Affäre 1962 nicht nur eine wahrscheinliche Kanzlerschaft seines Intimfeindes Franz-Josef Strauß verhindert, sondern auch das Ende der Amtszeit des greisen Rhöndorfer Patriarchen eingeläutet werden konnte.
Die Spiegel-Affäre, deren Auslöser die Titelgeschichte „Bedingt abwehrbereit“ gewesen war, machte Augstein mit einem Schlag zur Legende und zu einem weltweit gefeierten Vorkämpfer für die Pressefreiheit. Dank ihr konnte sich die heimische Presse endgültig zur vierten Gewalt im Staate etablieren. Augstein, der unter dem Vorwurf des Landesverrats 103 Tage in Untersuchungshaft hatte verbringen müssen, war laut dem deutschen Historiker Hans-Ulrich Wehler zum „ungekrönten König der deutschen Medien“ aufgestiegen und sein „Spiegel“ habe noch Jahrzehnte später von diesem „Bonus-Effekt“ profitieren können. Mit dem Verschwinden von Adenauer und Strauß von der Bonner Bühne waren Augstein die echten Gegner ausgegangen. Schon Ende 1958 hatte er die Chefredaktion seines Magazins niedergelegt. Doch bis zu seinem Tod in Hamburg am 7. November 2002 infolge einer Lungenentzündung blieb er Herausgeber und lieferte als oberste Instanz kontinuierlich Kommentare.
Kommentare als oberste Instanz
Augstein lenkte sein Magazin also zwar weiter, jedoch mit wachsender Distanz. Ausgerechnet in einer Zeit Anfang der 1970er-Jahre, als die Angestellten im eigenen Hause mehr Mitbestimmung erzwingen wollten, wagte Augstein einen Ausflug in die Politik.
1974 war es sogar zu einer Übertragung von 50 Prozent seiner Unternehmensanteile an eine Mitarbeiter-Kommanditgesellschaft gekommen, nachdem der Verlag Gruner + Jahr 1971 bereits 25 Prozent am „Spiegel“ erworben hatte.
Über die NRW-Landesliste der FDP gelang ihm im November 1972 der Einzug in den Bundestag. Doch schon im Januar 1973 legte er sein Mandat nieder, weil ihm die erhoffte Position des Fraktionsvorsitzenden verwehrt worden war – stattdessen wurde er von seiner Partei nur dem unbedeutende Medienausschuss zugewiesen.