In seiner fast 50-jährigen Schaffenszeit hat der US-amerikanische Regisseur Stanley Kubrick gerade einmal 13 Spielfilme fertiggestellt. Doch fast alle sind sie Meisterwerke der Kinokunst. Dieser Tage jährt sich sein Todestag zum 25. Mal.
Nach der, für den ewigen Perfektionisten typisch langen Produktionszeit von stolzen drei Jahren, hatte Stanley Kubrick am 5. März 1999 nach Beendigung der Arbeiten am Schnitt das letzte Opus seines Lebens mit dem Titel „Eyes Wide Shut“ fertiggestellt. Bei dem Film handelt es sich um ein auf der „Traumnovelle“ Arthur Schnitzlers basierendes, vom 19. ins 20. Jahrhundert transferiertes und dabei erotisch aufgeladenes Drama zwischen den Geschlechtern – mit Nicole Kidman und Tom Cruise in den Hauptrollen. Zwei Tage später erlitt der 70-jährige Filmschaffende während des Schlafs in seinem britischen Landsitz Childwickbury Manor in Hertfordshire einen tödlichen Herzinfarkt. Er wurde im Garten seines Anwesens beigesetzt.
Gerade einmal 13 Spielfilme hat der Regisseur in insgesamt 46 Schaffensjahren realisieren können. Heute werden die meisten seiner Streifen als absolute Meisterwerke eingestuft – auch wenn sie seinerzeit bei ihrer Veröffentlichung bei den Kritikern größtenteils keine Jubelstürme ausgelöst hatten. Der Film „Eyes Wide Shut“, der an den Kinokassen durchaus erfolgreich war, bildete dabei keine Ausnahme. Stanley Kubrick wurde bei diesem Film vor allem eine zu steife Erzählhaltung vorgeworfen. Im Rückblick ist es jedenfalls ziemlich überraschend, dass die in Hollywood ansässige Filmakademie Kubrick für keines seiner Werke mit dem Regie-Oscar ausgezeichnet hat. Und das, obwohl immerhin vier seiner insgesamt 13 Goldjungen-Nominierungen auf diese herausragende Kategorie entfallen waren.
Lediglich einen persönlichen Oscar konnte er 1969 einheimsen – und zwar als Auszeichnung für „Beste visuelle Spezialeffekte“ bei seinem Science-Fiction-Mega-Epos „2001: Odyssee im Weltraum“. Bei den Golden Globe Awards ging Kubrick bei sechs Nominierungen sogar gänzlich leer aus. Allerdings befindet er sich hier in guter Gesellschaft: Auch andere legendäre Regisseure wie etwa Alfred Hitchcock, Orson Welles, Robert Altman oder George Lucas erhielten nie einen Regie-Oscar.
Und doch passt er nicht so recht in diese prominente Liste der Oscar-Verschmähten hinein. In seinem filmischen Werk hat er fast alle Leinwand-Genres mit Meisterwerken bereichert und revolutioniert. Kubrick, der in einem Beitrag des „Deutschlandfunks“ mal als „Kinokünstler mit der Aura eines Malerfürsten der Renaissance“ deklariert worden war, dem das Kino über Jahrzehnte hin „einen guten Teil der Weiterentwicklung seiner Formensprache“ verdankt habe, setzte dabei in jedem Genre neue cineastische Maßstäbe.
Setzte Maßstäbe in allen Genres
Jeder Science-Fiction-Film muss sich bis heute an seinem Opus „2001: Odyssee im Weltraum“ aus dem Jahr 1968 messen lassen. Gleiches gilt für den Kriegsfilm nach dem schon 1957 gedrehten Klassiker „Wege zum Ruhm“ und dem Streifen „Full Metal Jacket“ 1987, für den Horrorfilm nach Kubricks Schocker „Shining“ aus dem Jahr 1980 oder für den Historienfilm nach Kubricks Werk „Barry Lyndon“ aus dem Jahr 1975, das als des Meisters ästhetisch ausgefeiltestes Opus gilt. „Nur mit dem Versuch, ein zeitloses Ehedrama über die von der unkontrollierbaren Begierde gefährdete Ehe zu drehen (‚Eyes Wide Shut‘), scheiterte Kubrick“, so das US-Magazin „Rolling Stone“, das in einem im Sommer 2022 veröffentlichten Beitrag Kubrick als „vielleicht größten Film-Regisseur aller Zeiten“ bezeichnet hatte. Womöglich hätte Kubrick auch noch in der Behandlung des ihn sehr interessierenden Themas Holocaust oder auch seines jahrelangen Steckenpferdes Napoleon Bonaparte neue cineastische Grenzen stecken können, wenn ihm dabei nicht andere Kollegen zuvor gekommen wären.
„Praktisch jeder wusste, dass er einfach der Beste ist – und ich finde, das ist noch eine Untertreibung“, sagte „Shining“-Hauptdarsteller Jack Nicholson einmal über den von ihm bewunderten Regisseur Stanley Kubrick. Laut Oliver Stone war Kubrick „der großartigste amerikanische Regisseur seiner Generation“, laut Steven Spielberg hätten alle Kollegen sich „bemüht, ihn zu imitieren“. Die mächtigen Filmstudio-Bosse scheinen diese hohe Wertschätzung geteilt zu haben. Denn nach dem monumentalen Auftragswerk „Spartacus“ aus dem Jahr 1960, das Kubrick wegen der strikten Vorgaben nie geliebt, sondern nur als „notwendiges Übel“ auf seinem weiteren Weg zum Spitzen-Regisseur akzeptiert hatte, hatte er allen Beteiligten mitgeteilt, dass er künftig nur noch Filme zu seinen eigenen Bedingungen vom Drehbuch bis zum Final Cut drehen werde.
Erstes Geld mit Blitzschach
Wobei die meisten seiner Werke, die oft mit reichlich satirischem Humor gewürzt sind, auf literarischen Vorlagen beruhen, bei deren Adaption zu Drehbüchern Kubrick sich allerdings viele Freiheiten gestattete. Angefangen mit dem Film „Lolita“ 1962, der wie auch alle folgenden Werke zu großen Teilen in Großbritannien gedreht wurde. Für Kubrick standen stets das audiovisuelle Erlebnis, der inszenatorische Aufwand und die Größe seiner oft beispiellos gebliebenen Bilderzählungen im Mittelpunkt. Den Schauspielern und deren Dialogen maß er in seinen Werken deutlich weniger Wert bei. „Die wichtigsten Werkzeuge, mit denen man bei einem Film arbeiten muss, sind meines Erachtens Bild, Musik, Montage und die Gefühle der Schauspieler“, sagte Kubrick 1972. „Sprache ist sicher wichtig, aber für mich kommt sie erst an fünfter Stelle. Für mich persönlich bestehen die unvergesslichen Szenen in den besten Filmen in der Hauptsache aus Bild und Musik.“
Tatsächlich ist die perfekte Synthese von Bild und Musik eines der Markenzeichen von Kubricks cineastischen Meisterwerken. Beispielsweise der Donauwalzer von Johann Strauss als Untermalung von „2001: Odyssee im Weltraum“, dem kommerziell erfolgreichsten Film von 1968, der dem Science-Fiction-Film-Genre überhaupt erst zu einem künstlerischen Ansehen verholfen hatte. Oder Beethovens 9. Sinfonie und der Song „Singin’ in the Rain“ in der Gewaltsatire „Uhrwerk Orange“ aus dem Jahr 1971. Laut der „Neuen Züricher Zeitung“ schuf Kubrick „ein Delirium des Sehens, in dem die oft überraschend eingesetzte Musik und Soundeffekte eine größere Rolle als die Dialoge spielen.“
Stanley Kubrick wurde am 26. Juli 1928 im New Yorker Stadtteil Manhattan als Sohn eines Arztes geboren und wuchs danach in der Bronx auf. Sein Vater vermittelte ihm schon in früher Jugend die Liebe zum Schachspielen. Zu seinem 13. Geburtstag bekam Stanley von seinem Vater eine professionelle Fotokamera geschenkt. Nach eigenem Bekunden war Stanley Kubrick ein lausiger Schüler, den man jedoch schon an der High School wegen seiner Bilder schätzte. Im Alter von 17 Jahren gelang es ihm, eine Anstellung beim New Yorker Magazin „Look“ als Fotograf zu erhalten.
Nachdem er 1948 seine Jugendliebe Toba Metz geheiratet hatte, beschloss er nach vierjähriger Arbeit als Fotograf, sich dem Film zuzuwenden. 1950 drehte er einen kurzen Dokumentarfilm mit dem Titel „Day of the Fight“ über einen Mittelgewichtsboxer namens Walter Cartier, dann folgten zwei weitere Dokumentarfilme „Flying Padre“ 1951 und „The Seafarers“ 1953. Obwohl Kubrick etwas Geld durch Siege bei Schach-Blitzturnieren verdiente, brauchte er für seinen ersten richtigen Spielfilm „Fear and Desire“ 1953, ein gut einstündiges Anti-Kriegs-Drama, finanzielle Unterstützung von seiner Verwandtschaft, vor allem seines Vaters, der mit einer ausgezahlten Lebensversicherung den Großteil der Produktionskosten von 10.000 Dollar abdeckte.
Kirk Douglas als Fürsprecher
Er sollte sich wegen dieses Erstlingswerks später immer schämen, wie er betonte. Doch schnell lernte der Jungfilmer das Metier im Sinne des Film Noir bei den Streifen „Killer’s Kiss“ 1955, „The Killing“ 1956 und vor allem beim Anti-Kriegs-Drama „Paths of Glory“/„Wege zum Ruhm“ 1957, bei dem Kirk Douglas die Hauptrolle spielte. Bei den Dreharbeiten lernte Kubrick auch Christiane Harlan kennen, die 1957 seine dritte Ehefrau wurde. Er hatte sich schon 1955 von seiner ersten Gattin scheiden lassen, danach hatte die Beziehung zu der österreichischen Ballett-Tänzerin Ruth Sobotka auch nur zwei Jahre gehalten. Dank der Vermittlung von Kirk Douglas bekam Kubrick in Hollywood den Regie-Job für den Film „Spartacus“, der 1960 an den Kinokassen abräumte und vier Oscars erhielt.
Wenig später verabschiedete sich Kubrick endgültig vom Hollywood-System und zog mit seiner Frau, den beiden Töchtern Anya Renata und Vivian sowie der Stieftochter Katharina nach England. Zunächst ließ er sich in der Nähe der Elstree-Filmstudios in Borehamwood in Hertfordshire nieder. Dort wurden die Innenaufnahmen seiner Werke abwechselnd mit den im Südosten der britischen Hauptstadt gelegenen Shepperton-Studios gedreht.
Der reisescheue und unter Flugangst leidende Stanley Kubrick liebte seine englische Wahlheimat und sein ländliches Anwesen, wo er bis hin zum Schneideraum alle Voraussetzungen für ein erfolgreiches Home Office geschaffen hatte. In Großbritannien entstanden alle seine Meisterwerke: „Lolita“ 1962, die Satire über den Kalten Krieg und die Gefahr eines vernichtenden Atomschlags mit dem Titel „Dr. Seltsam, oder wie ich lernte die Bombe zu lieben“ 1964, „2001: Odyssee im Weltraum“ 1968, „Uhrwerk Orange“ 1971, der opulente Kostümfilm „Barry Lyndon“ 1975, „Shining“ 1980, „Full Metal Jacket“ mit den Grauen des Vietnamkrieges 1987 und „Eyes Wide Shut“ 1999.
Übrigens: Für das Magazin „Rolling Stone“ gehört die Weltraumoper „2001“ zu den zwei Handvoll Filmen, die es wert wären, in einer Kapsel als Erbe der Menschheit ins All geschickt zu werden.