Mit einer der größten Militär-Operationen der Geschichte wurde die Invasion der Alliierten an der Normandieküste am 6. Juni 1944 der Auftakt zur Befreiung Frankreichs. Der sogenannte D-Day läutete zugleich die endgültige Niederlage Nazi-Deutschlands im Zweiten Weltkrieg ein.
Es war an der Küste des Départements Calvados ein für die Jahreszeit untypisch kalter und grauer Tagesbeginn, von Sommer keine Spur. Das Meer war aufgewühlt, hohe Wellen brachen sich entlang eines rund 100 Kilometer breiten und flachen Strandabschnitts zwischen Cherbourg im Westen und Caen im Osten. Das alliierte Oberkommando mit seinem europäischen Oberbefehlshaber und späteren US-Präsidenten, dem General Dwight D. Eisenhower, hätte sich für den Start der riskanten Invasion in der Normandie sicherlich bessere klimatische Bedingungen gewünscht. Aber da Eisenhower den Termin für das alliierte Landemanöver kurzfristig schon wegen zu schlechtem Wetter hatte verschieben müssen und ihm von seinen Meteorologen ein für den Angriff unabdingbares Gutwetterfenster für den 6. Juni 1944 prognostiziert worden war, hatte er am frühen Morgen des 5. Juni 1944 mit dem saloppen Spruch „Ok, let’s go!“ grünes Licht für den Beginn einer der gewaltigsten Militäraktionen der Weltgeschichte gegeben.
An der „Operation Neptune“ waren unter der Führung der USA und Großbritanniens insgesamt 14 Nationen beteiligt, wobei auch Polen und Kanada starke Einheiten zur Verfügung gestellt hatten. Der Angriff sollte als entscheidender erster Schritt die übergeordnete „Operation Warlord“ zum erhofften Ziel führen: die Befreiung Frankreichs von der Nazi-Besatzung und die Errichtung einer zweiten Front zum Sturz des Dritten Reiches. Spätestens seit Ende 1943 hatten die NS-Verantwortlichen mit einer drohenden Invasion der Alliierten in Westeuropa gerechnet. Zwar konnten sie deren Zeitpunkt nicht voraussehen, wohl aber gingen sie fest davon aus, dass der Angriff eigentlich nur an der schmalsten Stelle des Ärmelkanals bei Calais, dem kürzesten Weg vom britischen Dover aus, erfolgen würde.
Fehleinschätzung Rommels
Von daher hatte man genau dort den Anfang Juni 1944 noch keineswegs komplett fertiggestellten sogenannten Atlantikwall mit seinen Bunkeranlagen, Festungen, Geschützstellungen, Panzersperren, Strandbarrikaden und Minen am stärksten gesichert und dort auch den Großteil der Divisionen des Westheeres stationiert. In dem mehr als 200 Kilometer weiter westlich gelegenen Strandabschnitt, an dem die Invasion am sogenannten D-Day tatsächlich stattfinden sollte, war der Atlantikwall hingegen noch ziemlich lückenhaft und gerade mal von rund 50.000 Infanteristen, einer kaum mehr nennenswerten Luftwaffe sowie zwei bei Caen positionierten Panzer-Divisionen gesichert.
Das Kürzel „D-Day“ war im Englischen schon länger für den Beginn einer größeren militärischen Operation gebräuchlich gewesen. Wobei bis heute unklar geblieben ist, ob der Buchstabe D als Abkürzung für „Decision“ (= Entscheidung) oder „Debarcation“ (= Landung) anzusehen ist. „Der D-Day“, sagt der renommierte deutsche Militärhistoriker Dr. Peter Lieb, der mit seinem Titel „Unternehmen Overlord“ ein Standardwerk über die Invasion vorgelegt hat, im Interview mit der „Zeit“, „ist der Decision Day, also der Entscheidungstag, manchmal heißt es auch Day Day. Letztlich ist es immer der Tag X, auf den hin geplant wird, der aber noch nicht terminiert ist. Decision Day erscheint mir am wahrscheinlichsten.“
Hierzulande hat sich als Alternative für D-Day aber auch die Formulierung „der längste Tag“ eingebürgert. Diese Bezeichnung ging nicht etwa auf den gleichnamigen Film, sondern auf eine Bemerkung des seinerzeit populärsten deutschen Generalfeldmarschalls und dem für die Verteidigung in Nordfrankreich als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B Hauptverantwortlichen Erwin Rommel zurück, der im Frühjahr 1944 mit Blick auf eine mögliche Invasion sagte: „Für die Alliierten und für Deutschland wird es der längste Tag sein.“
Nach Angaben des Historikers Dr. Peter Lieb im „Zeit“-Interview war es Rommels Entscheidung gewesen, beim Schutz der Normandieküste ganz auf das starre System des Atlantikwalls zu setzen. Andere Generäle hatten demnach eher auf eine mobile Kriegsführung mit Panzern gesetzt, doch Rommel stufte diese Variante wegen der alliierten Lufthoheit als nicht praktikabel ein. Ausgerechnet am D-Day war Rommel allerdings auf Heimaturlaub. Sämtliche deutschen Meteorologie-Prognosen sagten schlechtes Wetter für den 6. Juni 1944 vorher. Ein Angriff erschien der deutschen Führung daher vollkommen unwahrscheinlich.
Den Alliierten wiederum war klar, dass die ersten Stunden der „Operation Neptune“ über Erfolg oder Misserfolg entscheiden würden. Sie rechneten nach Angaben des Historikers mit hohen Verlusten von bis zu 10.000 Toten und waren keineswegs siegessicher. Dies lässt sich im Nachhinein auch aus einer prophylaktisch für den Fall eines Desasters ausgearbeiteten Pressemeldung ablesen, in der Eisenhower die alleinige Verantwortung für ein etwaiges Versagen übernahm.
Hohe Verluste am Omaha Beach
Trotz aller Zweifel war die Operation selbst strategisch gut geplant und vorbereitet. Bereits einige Wochen vor dem eigentlichen Invasionstag hatten die amerikanische und die britische Luftwaffe das Hinterland des projektierten Landungsabschnitts systematisch bombardiert, um Routen für etwaigen deutschen Nachschub zu zerstören. Zudem wurden ab April 1944 im Ärmelkanal Seeminen verlegt, um deutschen Schiffe Störungen der „Operation Neptune“ unmöglich zu machen. Am Morgen und Spätnachmittag des 5. Juni 1944 machte sich die größte Armada der Kriegsgeschichte mit rund 7.000 Seefahrzeugen, darunter mehr als 3.000 Landungsboote und gut 1.200 Kriegsschiffe, von fünf britischen Häfen aus auf den Weg zur größten Landeoperation der Weltgeschichte. Rund 7.500 Flugzeuge gaben der Flotte sicheres Geleit. Laut statista.com waren sogar knapp 14.700 alliierte Luftfahrzeuge an der Operation beteiligt, die demnach rund 11.600 Angriffe auf deutsche Stellungen geflogen haben sollen.
Ab Mitternacht machten sich rund 23.000 amerikanische und britische Fallschirmjäger auf den Weg gen Normandie, um im Küstenhinterland wichtige Infrastrukturen wie Brücken abzusichern oder deutsche Batterien anzugreifen. Zu ersten Pannen kam es, als viele Fallschirmjäger in einem viel größeren Radius als geplant zu Boden gingen und damit eine Kooperation erschwert wurde. Gegen 2.30 Uhr und gegen 2.50 Uhr in der Nacht warf die Vorhut in Gestalt zweier US-Kriegsschiffe den Anker vor der normannischen Küste, gegen 4 Uhr in der Früh hatte die gesamte Invasionsflotte ihre vorgesehenen Positionen eingenommen. Die Schlachtschiffe hatten etwa zehn Kilometer vor dem Strand und die Zerstörer etwa 4,5 Kilometer davor angehalten. Wenig später wurden die deutschen Bunkeranlagen von der Schiffsartillerie unter Dauerbeschuss genommen, gleichzeitig warfen amerikanische und britische Bomber ihre tödliche Last über den deutschen Befestigungen ab.
Um 4.15 Uhr bestiegen die ersten Truppen die Landungsboote und eine Viertelstunde später waren diese auf dem Weg zum Strand. Dort verteilten sie sich bei auflaufendem Wasser, um verminten Holzkonstruktionen ausweichen zu können, auf die fünf mit Codenamen belegten Abschnitte zwischen Sainte-Mère-Église auf der Halbinsel Cotentin im Westen und Ouistreham im Osten. Im westlichen Bereich steuerten die US-Amerikaner mit drei Infanterie-Divisionen Utah Beach und Omaha Beach an, zu den östlich angrenzenden Abschnitten Gold Beach, Juno Beach (Kanadier) und Sword Beach machten sich zwei britische und eine kanadische Division auf den Weg. Insgesamt zählte das Invasionsheer, das auch rund 1.500 Panzer mit sich führte, rund 156.000 Köpfe. Nicht wenige von ihnen landeten nach der stundenlangen Überfahrt durch das raue Meer seekrank an.
Alle Abschnitte eingenommen
An vier von fünf Abschnitten gelang es den Invasionstruppen, in einem unvorstellbaren Inferno von deutscher Artillerie, Mörsern und Maschinengewehrfeuer die Brückenköpfe einzunehmen – viele alliierte Soldaten starben, noch bevor sie den Strand erreichten. Am Omaha Beach drohte den Angreifern ein schwerer Rückschlag, weil die Luftstreitkräfte wegen einer plötzlich aufgezogenen Wolkendecke die deutschen Stellungen nur unzureichend getroffen hatten. Entsprechend war dort die deutsche Gegenwehr am stärksten. Hollywood thematisierte das Gemetzel mehr als ein halbes Jahrhundert später im Oscar-gekrönten Spielberg-Film „Der Soldat James Ryan“ mit Tom Hanks in der Hauptrolle eindrucksvoll und mit teils drastischen Bildern, die nur schwer zu ertragen sind. Laut der historischen Abteilung des Mémorial von Caen starben am D-Day 8.453 alliierte Soldaten. Dr. Lieb hielt im Gespräch mit der „Zeit“ Schätzungen der Verluste für schwierig. „Man geht davon aus, dass es am Omaha Beach etwa 2.000 Tote auf Seiten der Alliierten gab, an den anderen Abschnitten deutlich weniger, jeweils einige Hundert.“ Auch die Zahlen über Verluste auf deutscher Seite schwanken erheblich; die „Welt“ beispielsweise schrieb von 4.000 bis 9.000 Verwundeten, Vermissten und Gefallenen.
Die deutschen Militär-Verantwortlichen wurden nicht nur von der Invasion vollkommen überrascht, sondern hatten auch den Ernst der Lage völlig verkannt. Obwohl man bereits erste Meldungen von der Operation kurz nach 1 Uhr in der Nacht erhalten hatte, wurde der alliierte Angriff als Scheinmanöver zur Vorbereitung eines echten Landemanövers in Calais abgetan. Sogar als General Eisenhower die Landung der Alliierten um 9.30 Uhr in der BBC offiziell bekannt gab, wagte niemand in Berchtesgaden den bis gegen 11 Uhr schlafenden Adolf Hitler zu wecken. Er allein hätte den Marschbefehl für im Landesinnern stationierte Panzerverbände geben können. Am Abend des 6. Juni 1944 war es dafür längst zu spät.
Alle fünf geplanten Brückenköpfe waren von den Alliierten erfolgreich erobert worden. Die Briten und Kanadier waren dabei auf einer Frontbreite von rund 32 Kilometer im Schnitt neun Kilometer tief ins Landesinnere vorgedrungen. Die US-Amerikaner mussten sich im Abschnitt Omaha Beach dagegen mit einem gerade mal sechs Kilometer breiten und nur 2,5 Kilometer tiefen Landekopf begnügen. Auch im Abschnitt Utah Beach war der Flächengewinn mit einer Breite von vier Kilometern und einer Tiefe von sechs Kilometern vergleichsweise bescheiden ausgefallen.