Beim BFC Dynamo reagiert man auf den Fehlstart in der Regionalliga Nordost – als Mann mit Vergangenheit im Verein kehrt Angelo Vier zurück in die sportliche Leitung.
Einen wie ihn könnten sie aktuell in Hohenschönhausen auf dem Platz gut gebrauchen: Schließlich war Angelo Vier zu seinen aktiven Zeiten eine echte „Tormaschine". So brachte es der heute 50-Jährige in 156 Zweitligaspielen auf 58 Treffer und hielt damit lange Zeit alleine den Rekord im Unterhaus, in zwei aufeinanderfolgenden Saisons Torschützenkönig geworden zu sein – bis kein Geringerer als Simon Terodde zumindest mit ihm gleichzog.
Aufbruchstimmung soll geschürt werden
Das Kunststück gelang Vier sogar bei zwei verschiedenen Vereinen: 1996/97 erzielte er für Rot-Weiß Essen ebenso 18 Tore (die den Verein kurioserweise dennoch nicht vor dem Abstieg bewahren konnten) wie im Folgejahr beim FC Gütersloh. Nun aber hat die aktuelle Torflaute des BFC Dynamo Angelo Vier in anderer Funktion an seine alte Ausbildungsstätte zurückgeführt: als Sportdirektor. Diese Tätigkeit lag dort bereits von 2015 bis 2017 in seiner Verantwortung – jetzt tritt er die Position also wieder an, nachdem er in den vergangenen vier Jahren als Spielerberater tätig war.
Vier Partien war der Staffelsieger der vergangenen Saison da bereits ohne Torerfolg in der Regionalliga Nordost und bis auf Platz 14 abgesackt. Doch Vier bog gleich mal etwaige journalistische Spitzfindigkeiten ab, in dem er sich zitieren ließ: „Ich bin nicht der Aufpasser von Trainer Heiner Backhaus" („Berliner Kurier"). Der Coach ist neu in Hohenschönhausen und hat im Sommer den dort nicht unbeliebten Christian Benbennek abgelöst – der hatte zwar den BFC gerade zum Staffelsieg geführt, aber in den Aufstiegsspielen gegen den VfB Oldenburg den heiß ersehnten Sprung in die 3. Liga knapp verpasst. Die Verantwortlichen bei Dynamo hatten sich im Anschluss zur Trennung von Benbennek entschlossen, was nicht überall auf Verständnis stieß. Eine gewisse Hypothek also für den neuen Trainer – gerade, wenn sich die erfolgreiche Zusammenarbeit nicht auf Anhieb einstellen will.
Backhaus versucht dabei die Aufbruchstimmung zu schüren, indem er einen Haken unter die spezielle Negativerfahrung der vergangenen Spielzeit setzt. Die Nachwirkungen des bitteren Scheiterns nach eigentlich erfolgreicher Saison sitzen bei Dynamo aber offenbar tiefer als gedacht. Zudem ist das Gerüst der Mannschaft umgebaut worden: Neben einem Angreifer wie Andor Bolyki (15 Tore 2021/22), der zum Halleschen FC in die 3. Liga wechselte, sind auch langjährige Stützen wie Torwart Dumitru Stajila, Sebastian Hertner, Matthias Steinborn oder Marcel Stutter sowie der ehemalige Zweitligaprofi Andreas Wiegel aussortiert worden. Der BFC stellte vergangene Saison allerdings auch den ältesten Kader der Liga, eine Verjüngung war sicherlich angezeigt.
Allerdings ist die veränderte Hierarchie im Kader nicht nur dem Abgeben von erfahrenen Kräften geschuldet – Kapitän Andreas Pollasch oder Alexander Siebeck etwa, vergangene Saison absolute Stammspieler, waren unter Backhaus zumindest zu Beginn nicht vor Auswechslungen sicher. Dazu ist Außenbahnspieler Darryl Geurts wegen Knieproblemen noch gar nicht zum Einsatz gekommen. Sind aber zentrale Stützen nicht mehr da beziehungsweise keine Konstanten mehr im Team und der Erfolg bleibt aus, kann im anspruchsvollen Umfeld eines Traditionsclubs die Unruhe schon mal schneller ausbrechen als sonst.
Insofern ist die Rückkehr des „verlorenen Sohns" Angelo Vier ins Sportforum sicher nicht als Warnsignal an den Trainer zu verstehen, sondern hat eher begleitenden Charakter. „Es geht ja auch darum, den Trainer und sein Team zu unterstützen", erklärt der Ex-Profi, „gesamtheitlich zu schauen, Strukturen aufzubauen oder zu verbessern, wo sich etwas eingeschliffen hat." Dazu spricht Vier auch von einer mit seiner Personalie verbundenen Entlastung des Präsidenten Peter Meyer und des Vorsitzenden des Wirtschaftsrats, Norbert Uhlig. Als „Ur-BFCer" dürfte er die nötige Reputation genießen, um zur Ruhe zu mahnen und auch mal einen Finger in die Wunde zu legen: „Wenn wir die gesamte letzte Saison betrachten, dann war am Ende eben schon nicht mehr alles so klar wie in der Hinrunde", analysiert Vier etwa in aller Offenheit, „da täuschte das Bild in der Tabelle über manches hinweg."
Wer die Karrierestationen von Angelo Vier schon zu seiner aktiven Zeit verfolgte, der konnte dabei nicht unbedingt auf die Idee kommen, dass der Profi seinen Ursprung im ostdeutschen, genauer genommen Ost-Berliner Fußball haben könnte. Neben drei Jahren zu Beginn der Laufbahn in Frankreich (nach seinem Debütjahr bei Stahl Brandenburg) und einer Spielzeit bei Rapid Wien (1998/99) lag der Schwerpunkt seiner Tätigkeit schließlich vor allem im westdeutschen Raum: Verl (zweimal), Bielefeld, Essen, Gütersloh, Oberhausen, Osnabrück – und 1995 noch bei Werder Bremen, wo er in elf Bundesligaeinsätzen seinen einzigen Treffer im Oberhaus bejubeln durfte. Im September 1995 traf er als „Joker" zwei Minuten nach seiner Einwechslung nach Vorarbeit von Mario Basler zum 2:0-Endstand gegen 1860 München.
Anwesenheit alleine löst Blockade nicht
Geboren wurde Vier 1972 in Ost-Berlin, und das Fußballspielen lernte er bei der ersten Adresse am Ort: in der Jugend des BFC Dynamo. Mit dem Mauerfall jedoch zog es ihn in die Ferne, erst zum Antritt seiner ersten Amtszeit bei Dynamo erfuhren viele von seiner „Vorgeschichte" in Hohenschönhausen: Zweimal in Folge gewann der BFC in dieser Phase den Berliner Pokal und nahm dadurch jeweils auch am nationalen Wettbewerb teil. So wurde offenbar der FC Ingolstadt auf Vier aufmerksam und holte den Ex-Profi als Sportlichen Leiter zum damaligen Zweitligisten – wo es allerdings ein Jahr darauf nach einem schlechten Saisonstart wieder zur Trennung kam.
Dass seine bloße Anwesenheit die Torblockade des BFC nicht lösen kann – das musste er bei seiner Premiere als Verantwortlicher feststellen, als Dynamo gegen Hertha BSC II im heimischen Sportforum nicht über ein 0:0 hinauskam. Nun also ist seine Expertise gefragt mit einer Mischung aus Erfahrungen im Profifußball sowie Führungsqualitäten, die sich aus Kompetenz als Kenner des Geschäfts und seinem BFC-Stallgeruch ergeben.
Wenn einer wie Angelo Vier das „fehlende Quäntchen Glück" beklagt, die Schwierigkeit des aktuellen Umbruchs ins Feld führt, aber auch die Einstellung der Mannschaft lobt oder einfach mal „Ich bin da zuversichtlich" sagt – dann findet das bei Spielern und Anhängern des BFC Dynamo eben gleich ein ganz anderes Gehör.