Mit seinem „Manifest der Kommunistischen Partei“ ließ der vor 140 Jahren verstorbene Karl Marx ein zur Revolution aufrufendes Gespenst über Europa aufsteigen. Um später in seinem „Kapital“ das umstürzlerische Gedankengut wissenschaftlich fundiert zu Papier zu bringen.
Obwohl sich der Verstorbene selbst ausdrücklich eine Trauerfeier im engsten Kreis gewünscht hatte, war es dennoch befremdlich, dass sich am 17. März 1883 gerade einmal elf Personen auf dem Londoner Friedhof Highgate eingefunden hatten, um dem drei Tage zuvor an den Folgen einer Kehlkopfentzündung verstorbenen Karl Marx die letzte Ehre zu erweisen. Friedrich Engels hielt dabei eine bewegende Rede, in der er die Verdienste des Verstorbenen würdigte und mit seinem Schlusssatz geradezu prophetische Fähigkeiten offenbarte: „Sein Name wird durch die Jahrhunderte fortleben und so auch sein Werk.“
Als er starb, war Marx dank seines gigantischen Konvoluts von Publikationen zwar schon bekannt. Dennoch war er weit davon entfernt, eine Epochengestalt, geschweige denn ein Denkmal oder eine Ikone zu sein. Dazu wurde er erst durch Friedrich Engels gemacht. Dieser gab als literarischer Nachlassverwalter nicht nur den zweiten und dritten Band von Marx‘ Hauptwerk „Das Kapital“ heraus, sondern fügte bei Neuauflagen früherer Schriften clever zuspitzende Vorworte bei, um so das Opus seines Meisters zu popularisieren und teils sogar mit klaren politischen Absichten neu zu interpretieren, wie es der renommierte deutsche Sozialhistoriker Prof. Dr. Jürgen Kocka im „Tagesspiegel“ einmal trefflich formulierte.
„Wenn Marxismus bedeutet, aus dem Riesentorso der Marx’schen Schriften eine zusammenhängende und umfassende wissenschaftliche Theorie zu entwickeln, die zugleich den Schlüssel zur dauerhaften Umgestaltung der Gesellschaft bieten soll, dann war Engels der erste Marxist“, so Prof. Kocka.
Analyst der Zustände seiner Zeit
Vom ersten 1867 erschienenen Band des „Kapital“ wurden bis 1871 lediglich 1.000 Exemplare verkauft. Dennoch war diese bescheidene Auflage im Vergleich zu allen anderen bis dahin erschienenen Büchern von Marx der klare Bestseller. Dies war allein Engels zu verdanken, der als bürgerlicher Kritiker getarnt, wohlformulierte Rezensionen an diverse deutschsprachige Zeitungen zur Veröffentlichung schickte und dadurch auch den ersten Nachdruck 1873 ermöglichte.
Bis heute wurde immer wieder die Frage nach der Aktualität des marxistischen Gedankenguts in den Raum gestellt – beispielsweise nach dem Mauerfall und dem Zusammenbruch des sozialistischen Ostblocks, im Zusammenhang mit der Finanzkrise nach 2007 oder auch im Rahmen der das gesamte kapitalistische System bedrohenden Globalisierung. Dabei wird meist überprüft, welche Voraussagen von Marx richtig waren und bei welchen er völlig danebenlag. Ein völlig falscher und ahistorischer Ansatz.
Marx konnte nur ein Analyst der gesellschaftlich-ökonomischen Zustände seiner Zeit sein. Er war kein Prophet und konnte daher nicht voraussehen, dass die von ihm beobachtete, zunehmende Verarmung der vom ihm als Proletarier bezeichneten Arbeiterschaft im Zuge der aufziehenden Industriellen Revolution nicht weiter fortschreiten würde. Noch weniger konnte er sich den späteren Wohlfahrtsstaat oder die Ausbildung einer modernen Konsumgesellschaft vorstellen. Allerdings hatte er mit seiner Theorie vom tendenziellen Fall der Profitraten des Kapitals und der zunehmenden Konzentration des Kapitalismus in weltumspannenden Großkonzernen durchaus hellseherische Fähigkeiten bewiesen.
Auch die weit verbreitete Verteufelung von Karl Marx als vermeintlichem Vordenker der Gräueltaten eines Kommunismus sowjetischer Machart nach 1917 wird der historischen Person nicht gerecht. Sein Gedankengut ist in den diversen Diktaturen des 20. und 21. Jahrhunderts durch Verwandlung in eine Ideologie letztlich nur für eigene Zwecke instrumentalisierend missbraucht worden. Marx hatte eindeutige Anleitungen dafür, wie die Revolution hin zu einer völlig neuen, klassenlosen Gesellschaftsordnung konkret verlaufen sollte, niemals niedergeschrieben. Nicht einmal der Begriff „Kommunismus“ ist auf Marx Mist gewachsen, sondern war 1840 erstmals in Frankreich aufgetaucht. Dank des von ihm gemeinsam mit Engels 1848 verfassten „Manifests der Kommunistischen Partei“ war er dann aber in aller Munde.
Bis zu seinem Tod ein Staatenloser
In diesem programmatischen Text wurde die Entwicklung einer kommunistischen Gesellschaft aus dem Kapitalismus heraufbeschworen. Womit er die Utopie einer egalitären Gesellschaft, die seit Thomas Morus (1478–1535) häufiger beschrieben worden war, in ein realistisches Ziel verwandelt hat. Dem vorausgegangen war Mitte der 1840er-Jahre eine Verbindung der Kritik des Bewusstseins – Stichworte Dialektischer Materialismus und Historischer Materialismus –, demzufolge die Geschichte der Menschheit von Produktionsverhältnissen bestimmt wird, und der Absage an die Religion als „Opium des Volkes“ mit der Kritik der bestehenden politischen Ökonomie. Marx wurde befähigt, als erster Nationalökonom die Dynamik des Kapitalismus richtig analysieren zu können. Er beschrieb das Proletariat als Opfer der Kapitalisten, die allein das Eigentum an für alle Menschen notwendigen Produktionsmitteln besaßen und fremde Arbeitskraft zur Profit-Optimierung einkauften. Diese ungerechte Gesellschaftsform galt es für das Proletariat durch seine Organisation in einer revolutionären Klasse zu überwinden.
Karl Marx, ursprünglich laut Geburtsurkunde Carl Marx, wurde am 5. Mai 1818 im damals preußischen Trier geboren. Er entstammte einer klassischen Bildungsbürgerfamilie mit Rabbiner-Vorfahren und sollte nach seinem Abitur als Rechtsanwalt in die Fußstapfen seines zum Christentum konvertierten Vaters treten. Das Jurastudium gab Marx, der schon früh wegen seines dunklen Teints und seiner schwarzen Haare den Spitznamen „Mohr“ erhalten hatte, jedoch zugunsten der Philosophie auf. In diesem Fach legte er 1841 die Promotion ab.
Nachdem ihm die erhoffte akademische Laufbahn als bekennendem Linkshegelianer verwehrt wurde, wandte er sich dem Journalismus zu. Doch auch seine Arbeit bei der „Rheinischen Zeitung“ in Köln musste er nach eineinhalb Jahren im Frühjahr 1843 wegen des Verbots durch die Presse-Zensurbehörde aufgeben. Mit seiner Ehefrau Jenny von Westphalen, mit der er sieben Kinder hatte, von denen jedoch nur drei Töchter das Erwachsenenalter erreichten, wanderte er nach Paris aus. Dort pflegte er nicht nur Umgang mit Heinrich Heine, sondern legte auch den Grundstein für seine lebenslange Freundschaft mit Friedrich Engels, der ihn im Sommer 1844 zehn Tage lang besuchen sollte.
Auf preußischen Druck hin wurde Marx aus Frankreich ausgewiesen und ließ sich 1845 nach Verzicht auf seine preußische Staatsbürgerschaft in Brüssel nieder. Bis zu seinem Tod blieb er staatenlos. Im Verlauf der 1848er-Revolution kehrte er nach Deutschland zurück, gab in Köln die „Neue Rheinische Zeitung“ heraus, die für eine einheitliche deutsche Republik eintrat, und wurde nach der Niederschlagung des Aufstands im Mai 1849 erneut aus Deutschland ausgewiesen. Wenige Monate später ließ er sich in London nieder. Trotz umtriebiger Schreiberei für diverse internationale Blätter wie die „New York Daily Tribune“ oder das Londoner „The Peoples Paper“ war Marx mit seiner Familie finanziell meist klamm und konnte sich nur durch ständige Geldzuweisungen durch Friedrich Engels über Wasser halten. Dank zweier Erbschaften in den Jahren 1856 und 1863 entspannte sich die finanzielle Lage aber.
Stets ein Mann des geschriebenen Worts
Erst nachdem der inzwischen hoch vermögende Fabrikanten-Erbe Engels 1868 alle aufgelaufenen Schulden gedeckt und die gesamte Finanzierung von Marx Haushalt übernommen hatte, konnte sich dieser der Beschäftigung mit dem zweiten und dritten Band des „Kapital“ zuwenden. An diesem hat er mehr als 15 Jahre gearbeitet. Fast bis zuletzt unterstützte ihn seine gebildete Ehefrau Jenny, die allerdings Ende 1881 verstarb und ihm in der Zeit zuvor offenbar auch seine Liebschaft mit der Hausangestellten Helena Demuth verziehen hatte.
Marx, der durchaus die bourgeoisen Annehmlichkeiten des Lebens zu schätzen wusste, blieb immer nur ein Mann des geschriebenen Wortes, war kein großer Redner und schon gar kein Polit-Agitator. Von daher beschränkte sich seine führende Mitarbeit bei der 1864 in London gegründeten „Internationalen Arbeiterorganisation“, auch als „Erste Internationale“ bekannt, im Wesentlichen auf die Ausarbeitung der Statuten. Mit der sich herausbildenden deutschen Arbeiterbewegung stand er hauptsächlich über persönliche oder briefliche Kontakte in Verbindung. Seine angeschlagene Gesundheit versuchte er 1882 vergeblich durch Kur-Aufenthalte in mondänen Seebädern unter anderem an der Côte d’Azur wieder in den Griff zu bekommen.