Literarisch stand der vor 75 Jahren verstorbene Heinrich Mann trotz bekannter Werke wie „Der Untertan“ oder „Professor Unrat“ fast lebenslang im Schatten seines berühmten Bruders Thomas. Doch als streitbarer Kämpfer für die Weimarer Demokratie und gegen die Nazis ist ihm ewiger Ruhm sicher.

Aus einer wohlhabenden Lübecker Kaufmannsfamilie stammte das berühmteste Brüderpaar der deutschen Literaturgeschichte. Da ist es nicht weiter verwunderlich, dass das schöpferische Werk von Heinrich Mann und das seines vier Jahre jüngeren Bruders Thomas bis zum heutigen Tag immer wieder miteinander verglichen werden. Zumal sich die beiden Protagonisten selbst als Konkurrenten empfanden, die sich zeitlebens einem meist mit harten Bandagen ausgetragenen Wettstreit um die Gunst des Publikums stellten. Zunächst hatte Heinrich Mann, der die Feder weitaus schneller und laut Bekunden seines Bruders auch „schmissiger“ zu handhaben wusste, die Nase vorn. Doch mit der Veröffentlichung der „Buddenbrooks“ im Jahr 1901 katapultierte Thomas Mann die literarische Messlatte erstmals in solch schwindelerregende Höhen, die Heinrich Mann allenfalls mit einem einzigen Werk noch streifen – oder laut einigen Kritikern sogar übertreffen – konnte. Die linksliberale Literaturzeitschrift „Neue Gesellschaft Frankfurter Hefte“ deklarierte das Werk „Der Untertan“, von dem in den ersten sechs Wochen nach seinem Erscheinen 1918 rund 100.000 Exemplare verkauft wurden, sogar als „den größten satirischen Gesellschaftsroman der deutschen Literatur“.
Aufbegehren gegen vorgezeichneten Weg
Auch der Deutschlandfunk oder die „Neue Zürcher Zeitung“ gestehen Heinrich Mann den Eingang in die deutsche Literaturgeschichte mit diesem Werk zu, in dem nicht nur die Autoritätsgläubigkeit im wilhelminischen Kaiserreich gnadenlos bloßgestellt, sondern in dessen Hauptfigur auch schon geradezu prophetisch mahnend das Bild des späteren „typischen Nazi-Deutschen“ gezeichnet wurde. Wohl einer der Gründe dafür, dass der Roman heute noch immer in einigen Bundesländern als Pflichtlektüre für das Deutsch-Abitur gilt. Auch wenn dies der frühere Literatur-Papst Marcel Reich-Ranicki kaum nachvollziehen konnte: „Die häufig unkontrollierte Lust an der Karikatur, der oft unbeherrschte Hass, die extreme Einseitigkeit und die nicht seltenen Geschmacklosigkeiten haben den ‚Untertan‘ um seine volle Wirkung gebracht – und viele andere Bücher Heinrich Manns ebenfalls.“ Für Reich-Ranicki schon 1987 Grund genug, seinen ultimativen Urteilsspruch zu fällen: „Es wird wohl Zeit, sich von Heinrich Mann zu verabschieden – mit Respekt, versteht sich, und auch mit Dank.“

Dieses fraglos nicht unumstrittene Verdikt war allerdings 2021, als in sämtlichen Feuilletons der Republik des 150. Geburtstages Heinrich Manns gedacht wurde, völlig in Vergessenheit geraten. Stattdessen wurde sogar häufig von einer „Renaissance“ gesprochen. Wobei jedoch meist weniger das umfangreiche Œuvre des Jubilars in den Mittelpunkt gerückt wurde, das laut Rowohlt-Verlag 20 Romane, sechs Novellenbände, sieben Essaybände, mehrere Dramen, Hunderte von zeitkritischen Aufsätzen sowie das späte, 1946 veröffentlichte autobiografische Memoiren-Werk „Ein Zeitalter wird besichtigt“ umfasst. Vielmehr stand sein frühes Engagement als militanter Humanist für eine friedliche Welt, für Freiheit und Demokratie in der Weimarer Republik sowie für seinen nimmermüden publizistischen Kampf gegen die NS-Diktatur im Fokus. Zumindest auf diesem Felde stellte er seinen Bruder Thomas, der 1929 als Krönung seines Lebenswerkes den Literatur-Nobelpreis erhalten hatte, weit in den Schatten.
In gesellschaftlich schwierigen Zeiten wurde Heinrich Mann als demokratisches Vorbild nun wiederentdeckt. Dabei stellte sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an die Hommage-Spitze: „Wir wollen uns einem Schriftsteller nähern, der nach seinem Tod 1950 von der DDR politisch vereinnahmt wurde, der in Westdeutschland in den Schatten seines großen kleinen Bruders geriet, der heute zwar nicht vergessen ist, aber kaum noch gelesen wird. Ich finde, einer wie er, Anhänger der Aufklärung und Verteidiger der Demokratie, sollte uns gerade heute Vorbild sein. Denn wir erleben ja wieder, wie die Demokratie verächtlich gemacht wird.“
Als ältestem Sprössling des wohlhabenden Lübecker Kaufmanns und späteren Senators für Wirtschaft und Finanzen Thomas Johann Heinrich Mann und seiner in Brasilien geborenen Ehefrau Julia da Silva-Bruhns war dem am 27. März 1871 in der Hansestadt geborenen Luiz Heinrich Mann die berufliche Laufbahn gleichsam vorbestimmt.

Doch schon im jugendlichen Alter hatte er seine Unlust zur späteren Übernahme des florierenden väterlichen Speditionsunternehmens klar zum Ausdruck gebracht. Auch mit einem ihm daraufhin angeratenen Jura-Studium konnte sich Heinrich nicht anfreunden, brach sogar das Gymnasium 1889 ohne Abiturabschluss ab, ließ sich aber als Kompromiss vom Vater zu einer Buchhändler-Lehre in Dresden überreden. Allerdings brach er diese schon nach einem Jahr ab, um von 1890 bis 1892 ein Volontariat beim Berliner S. Fischer Verlag anzutreten und zusätzlich Studien an der Friedrich-Wilhelms-Universität aufzunehmen.
Nach dem plötzlichen Tod des Vaters 1891 und der folgenden Liquidierung der Lübecker Firma verfügte Heinrich über ausreichende finanzielle Mittel, um sich nach ersten kleineren Veröffentlichungen ganz der Schriftstellerei widmen zu können. Doch vor dem Umzug der gesamten Familie nach München 1893 musste Heinrich noch eine ein Jahr zuvor ausgebrochene Lungenblutung in diversen Sanatorien auskurieren. Sein Debüt-Roman „In einer Familie“ verdankte die Veröffentlichung 1894 vor allem einem beträchtlichen finanziellen Zuschuss seiner Mutter an einen Münchner Verleger. Wenig rühmlich war sodann Heinrichs Tätigkeit als Herausgeber und Autor der reaktionären und offen antisemitischen Monatsschrift „Das zwanzigste Jahrhundert“ von März 1895 bis Juli 1896.
Vehementer Verteidiger der Weimarer Republik

Unter dem Einfluss Nietzsches wandelte sich Heinrichs politische Einstellung zu der eines sozialkritischen Demokraten, was sich erstmals ansatzweise in seinem Roman „Im Schlaraffenland“ im Jahr 1900 niederschlug, aber nach der historischen Trilogie „Die Göttinnen oder Die drei Romane der Herzogin von Assy“ (1902) so richtig erst im 1905 veröffentlichten Roman „Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen“ erkennbar wurde. Mit diesem Werk konnte er sich, ebenso wie mit seinem Roman „Die kleine Stadt“ (1909) – einem demokratischen Gesellschaftsentwurf für ein fiktives italienisches Städtchen, den er von seinen Werken selbst am liebsten mochte –, eine Fan-Gemeinde unter Anhängern der literarisch-expressionistischen Avantgarde aufbauen. Weltruhm erwarben sich „Professor Unrat“ und sein Verfasser durch die Verfilmung im Kino-Klassiker „Der blaue Engel“ mit Marlene Dietrich und Emil Jannings im Jahr 1930.
Die Veröffentlichung des Romans „Der Untertan“, bei dem Heinrich auf den Spuren seiner großen französischen Vorbilder Balzac, Flaubert, Stendhal und Zola sowie seines Landsmanns Theodor Fontane den Gesellschaftsroman endgültig zum wichtigsten Instrument der Gesellschaftskritik gemacht hatte, wurde wegen der im Ersten Weltkrieg herrschenden Zensur jahrelang hinausgezögert. Mit seinem 1915 geschriebenen Essay „Zola“ profilierte sich Mann, der ein Jahr zuvor die aus jüdischer Familie stammende Schauspielerin Maria Kanová geheiratet hatte, als strikter Kriegsgegner und erhob die französische Republik zum von ihm herbeigesehnten Gegenentwurf des wilhelminischen Reiches. Nach Kriegsende stieg Heinrich Mann durch Reden sowie als Essayist und Publizist zu einem der herausragenden Verteidiger der Weimarer Republik und einem frühen Warner vor dem Nationalsozialismus auf. Seine Berufung zum Präsidenten der Sektion Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste in Berlin 1931 konnte Heinrich nur kurz genießen. Denn spätestens mit seiner Unterschrift zum Volksfront-Zusammenschluss von KPD und SPD gegen die braune Gefahr war er zum roten Tuch für die Nazis geworden.

Flucht vor den Nazis nach Nizza und Amerika
Nach der NS-Machtergreifung flüchtete er im Februar 1933 ins französische Exil nach Nizza. Im Reich wurden seine Bücher verbrannt, und im August 1933 wurde ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt.
Am Mittelmeer, wo er 1939 die 27 Jahre jüngere ehemalige Berliner Animierdame Nelly Kröger heiratete, setzte er seinen publizistischen Kampf gegen die Nazis fort und verfasste die beiden historischen Romane „Die Jugend des Königs Henri Quatre“ (1935) und „Die Vollendung des Königs Henri Quatre“ (1939). Nach der Flucht in die USA Ende 1940 konnte Heinrich Mann dort nie richtig Fuß fassen, war auf die finanzielle Unterstützung seines auch in den Staaten gefeierten Bruders Thomas angewiesen und starb nach dem Selbstmord seiner Ehefrau Nelly im Dezember 1944 ziemlich vereinsamt am 11. März 1950 im kalifornischen Santa Monica im Alter von 78 Jahren. Die Rückkehr nach Deutschland unter die Fittiche eines Walter Ulbricht, den Heinrich als „vertracktes Polizeigehirn“ geschmäht hatte, und in die DDR, die ihm die Präsidentschaft der Deutschen Akademie der Künste in Ost-Berlin zugesagt hatte, blieb ihm durch seinen Tod versagt.