Frederik Rönnow hat seinen Status als Nummer eins bei Union Berlin mit einer starken Rückrunde untermauert. Seine teaminterne Konkurrenz ist nicht groß. Kommt ein neuer Herausforderer von außen?
Das könnte der Start einer großen Fan-Freundschaft sein: Mit einer ungewöhnlichen Freibier-Aktion haben sich Anhänger von Union Berlin bei Fans von Werder Bremen für die Schützenhilfe ihres Clubs im Abstiegskampf der abgelaufenen Saison bedankt. Zur Erinnerung: Union musste am letzten Spieltag nicht nur gegen den SC Freiburg gewinnen, sondern war auch vom Ergebnis des VfL Bochum in Bremen abhängig. Werder gewann 4:1, die Eisernen zogen an Bochum vorbei ans „rettende Ufer“ und feierten eine große Nicht-Abstiegs-Party. Und jetzt sollten die Bremer feiern dürfen, dachte sich eine Fan-Initiative aus Berlin. Sie sammelte auf Facebook Geld, mit dem insgesamt 120 Kisten Bier gesponsort wurden. Medienberichten zufolge sollen sogar Union-Fans mit nach Bremen gereist sein, um der Bier-Übergabe am Weserstadion beizuwohnen.
Rönnow hat viele Punkte gerettet
Den Klassenerhalt haben die Köpenicker aber natürlich nicht nur Werder Bremen zu verdanken. Eigentlich müsste man auch viele Kisten Bier nach Dänemark verschiffen, denn ohne den dänischen Torhüter Frederik Rönnow hätte die sportliche Talfahrt der Unioner in der vermaledeiten Saison vermutlich im Abstieg gemündet. Bei der Wahl zum „Unioner des Jahres“ dürfte der Sieger von 2023 auch diesmal ganz weit vorne landen – so groß ist die Konkurrenz angesichts der größtenteils enttäuschenden Leistungen nicht. Auch innerhalb der Mannschaft ist der Schlussmann der große Favorit. „Für mich persönlich“, sagte Kapitän Christopher Trimmel, „ist Freddy der Spieler der Saison“. Der 31-Jährige hatte mit seinen Paraden vor allem in der Rückrunde Schlimmeres verhindert. Rönnow habe dem Team viele Punkte gerettet, meinte Trimmel, „und wenn du genau diese Punkte wegrechnest, dann würden wir nicht dort stehen, wo wir jetzt stehen“. Nämlich über dem Strich.
Bei einem Abstieg wäre Rönnow wohl nicht zu halten gewesen. Der Keeper steht auch im Aufgebot der Nationalmannschaft seines Heimatlandes für die Fußball-EM in Deutschland, bei der Dänemark in der Vorrunden-Gruppe C gegen Slowenien (16. Juni), England (20. Juni) und Serbien (25. Juni) spielt. Rönnow dürfte zwar nur als Ersatz für Kasper Schmeichel, Sohn der dänischen Torhüterlegende Peter, ins Turnier gehen. Doch immerhin durfte er im Vorbereitungsspiel Anfang Juni gegen Schweden (2:1) sein zehntes Länderspiel bestreiten und Werbung in eigener Sache betreiben.
Bei Union wissen sie ohnehin um die Qualitäten des reflexstarken Torhüters, der trotz – oder gerade wegen – seiner eher ruhigen Art dem Team sehr viel Sicherheit gibt. „Er hat bewiesen, dass er ein Toptormann in der Bundesliga ist“, sagte der im Saisonendspurt entlassene Ex-Trainer Nenad Bjelica. „Freddy hat eine unfassbar gute Form. Er hält uns immer wieder im Spiel“, meinte auch Mittelfeldspieler Rani Khedira. Auch Trimmel, der als Kapitän „nur ungern Einzelne“ herausstellt, schwärmte von seinem Schlussmann: „Ich bin froh, dass wir ihn haben, klar. Aber er ist auch ein Typ.“ Einer, der keine großen Worte schwingt, sondern mit Taten auf dem Platz vorangeht. Und einer, der sich auch von fünf Gegentreffern Mitte April gegen den FC Bayern München nicht aus dem Konzept bringen lässt und im nächsten Auswärtsspiel bei Borussia Mönchengladbach cool die Null hält. „Gegen Bayern bekommst du fünf Tore, das ist immer schwierig für einen Torwart. Aber er ist so klar und mittlerweile auch so erfahren, dass er damit gut umgehen kann“, sagte Trimmel.
Angesichts der Lobeshymnen erschien es etwas merkwürdig, dass zuletzt das Gerücht aufgekommen war, Union sei an einer Leihe des Edelreservisten Daniel Peretz vom FC Bayern interessiert. Der 23 Jahre alte israelische Nationalspieler würde – wenn überhaupt – nur als klare Nummer eins nach Berlin wechseln wollen. Doch der neue Trainer Bo Svensson und der neue Sportchef Horst Heldt dürften angesichts der starken Rückrunde von Rönnow keine Veranlassung sehen, an der Hierarchie auf der Torhüter-Position etwas Grundlegendes zu ändern. Es sei denn, Rönnow selbst würde mit dem Wunsch nach einer Veränderung auf die sportliche Führung zukommen.
„Die Atmosphäre ist großartig“
Dafür gab es zuletzt aber keine Anzeichen. Seinen Vertrag verlängerte Rönnow im vergangenen Winter aus voller Überzeugung. „Die Atmosphäre bei Union ist wirklich großartig“, sagte er. Man habe im Club zusammen in den vergangenen Jahren „Unglaubliches erreicht“, und auch er selbst habe sich bei den Köpenickern weiterentwickelt. „Ich fühle mich sehr wohl hier und werde alles dafür tun, der Mannschaft auch weiterhin ein guter Rückhalt zu sein.“ Rönnow, der 2021 von Eintracht Frankfurt verpflichtet wurde, ist seit zwei Jahren Stammtorwart von Union. In seiner Premierensaison für die Rot-Weißen musste er sich noch mit der Vertreterrolle von Andreas Luthe begnügen, doch inzwischen ist er der Platzhirsch. Sein Herausforderer ist Alexander Schwolow, der in der abgelaufenen Saison aber nur beim 2:0-Sieg Anfang Februar gegen RB Leipzig das Tor hüten durfte. „Wenn ich gebraucht werde, bin ich da“, sagte der 32-Jährige, von dem auch in der neuen Saison kein ernsthafter Angriff auf die Nummer eins zu erwarten ist: „Ich mache da jetzt auf keinen Fall eine Kampfansage. Freddie ist ein verdienter Spieler. Ich bin froh, wenn ich spielen darf. Ich gebe mein Bestes.“
Deutlich mehr Potenzial und wohl auch Motivation werden Lennart Grill zugesprochen. Allerdings: Der zuletzt an den VfL Osnabrück ausgeliehene 25-Jährige hatte in der Rückrunde seinen Stammplatz beim Zweitligisten verloren, der Abstieg mit dem VfL nagt zusätzlich am Selbstvertrauen. Die Verbannung auf die Bank hatte Osnabrücks Trainer Uwe Koschinat, der Philipp Kühn den Vorzug gab, schweren Herzens vollzogen. Denn eigentlich musste sich Grill sportlich nichts vorwerfen. „Das war die inhaltlich härteste und asozialste Entscheidung, die ein Trainer treffen kann“, sagte Koschinat: „Denn Lennart hat sich vom ersten Spieltag an als Erbe des Aufstiegs-Torwarts den Respekt der Menschen erarbeitet und eine sehr stabile Saison in einer sehr schwierigen Phase gespielt.“
Auch bei Union sind sie nach wie vor von den Qualitäten des früheren deutschen U21-Nationaltorwarts überzeugt. „Lennart ist ein sehr interessanter junger Torhüter, der über großes Potenzial verfügt“, sagte Oliver Ruhnert, der ab Juli nicht mehr als Sport-Geschäftsführer, sondern Chefscout bei Union arbeitet. Unter seiner Leitung war Grill im März 2023 fest von Bayer 04 Leverkusen verpflichtet worden, weil man ihm zutraute, auf Sicht Rönnow sogar als Nummer eins abzulösen. Doch ob die neue sportliche Führung diese Einschätzung teilt, bleibt abzuwarten. Vielleicht wird auch noch ein neuer Herausforderer für Rönnow verpflichtet. Auch Yannic Stein (19) kehrt nach einer Leihe zum VfB Lübeck vorerst wieder zurück zu Union.
Für Torhüter Jakob Busk ist das Kapitel Union dagegen seit diesem Sommer nach acht Jahren beendet. Der Däne war bei den Eisernen zwar nur auf 57 Pflichtspieleinsätze gekommen, dennoch geht er als eine kleine Vereins-Ikone. „Die Zeit bei Union war für Jakob nicht immer einfach, dennoch hat er sich nie zufrieden- oder aufgegeben“, sagte Ruhnert: „Er hat täglich hart gearbeitet, viel dazu beigetragen, neue Spieler schnell in den Verein zu integrieren und damit einen sehr wichtigen Beitrag zum Erfolg der letzten Jahre geleistet.“