Vor zehn Jahren starb Dieter Hildebrandt, für viele der Großmeister des politischen Kabaretts. Das verdankt er seinem Duktus mit bewusstem Verhaspeln und dem Verschießen giftiger Spott-Pfeile. Diese schoss er unter anderem bei der Münchener Lach- und Schießgesellschaft ab – und im „Scheibenwischer“.
Kalauer zählten nicht gerade zu Dieter Hildebrandts Spezialitäten. Doch ausgerechnet bei einem sprichwörtlich todernsten Thema hatte er sich kurz vor seinem Ableben eine Ausnahme erlaubt. Denn auf seiner Homepage hatte er im Sommer 2013 diese Mitteilung eingestellt: „Ich muss mal zur Reparatur!“ Wie ernst es um seinen Gesundheitszustand beschaffen war, schien dem damals 86-Jährigen gar nicht so recht bewusst gewesen zu sein. Immerhin hatte der Kabarettist noch bis August fast jeden Abend auf der Bühne gestanden und war vorher mit jährlich bis zu 180 Solo-Auftritten oder Lesungen durch die Republik gereist. Aber letztendlich war seine Prostatakrebs-Erkrankung trotz einer Operation in einem so fortgeschrittenen Stadium, dass er am 20. November 2013 in München starb.
Moralist und Streiter
Laut „Der Spiegel“ wurde er in einer „heiteren Zeremonie“ zur letzten Ruhe geleitet – in Anwesenheit der Kabarett-Elite sei er auf dem Neuen Südfriedhof in einem bunt bemalten und mit launigen Zitaten verzierten Sarg bestattet worden. In sämtlichen Würdigungen wurde Dieter Hildebrandt als größter politischer Kabarettist Deutschlands bezeichnet. Der „Spiegel“ ging sogar einen Schritt weiter: „Er war nicht der ‚Nestor‘, der ‚Urvater‘ oder der ‚Begründer‘ des Kabaretts. Er war das Kabarett, sein Inbegriff und seine Verkörperung. Wer beim Wort Kabarettist nicht sofort an Dieter Hildebrandt denkt, im Guten oder Schlechten, der ist für diese Kunstform verloren.“
Diese Bewunderung habe auch an seinem unnachahmlichen Duktus gelegen: „Die hohe Kunst des Daherplapperns, Verhaspelns und Verschluckens giftiger Pointen beherrschte keiner wie Dieter Hildebrandt. Wie ein Jazzmusiker variierte er die Themen der Zeit, prägte damit Generationen von Satirikern – und das politische Klima des Landes.“ Zusätzlich wurde auch Hildebrandts klare, politisch links verortete Haltung gelobt: als standhafter Sympathisant der SPD, als Moralist sowie als Streiter für Demokratie, Gerechtigkeit und gegen Politiker-Unsinn. Dem im Kollegenkreis ehrfurchtsvoll mit Titeln wie „Pointen-Papst“, „(hinter)listiger Stotterspötter“ oder „spitzzüngiger Old Shattermouth“ bedachten Hildebrandt wurde von konservativer Seite immer wieder politische Einseitigkeit vorgeworfen.
Das hatte die „Süddeutsche Zeitung“ durchaus eingeräumt: „Er hatte seine Überzeugungen und stand öffentlich für sie ein. Weshalb ihm Kritiker vorwarfen, einseitiges Kabarett zugunsten der SPD zu machen.“ Aber selbst das könne seine Leistungen kaum abwerten: „Das Hauptthema seines Lebens war die deutsche Politik – und wie sie die Menschen prägt.“ Hildebrandt sei ein „Getriebener“ gewesen. „Aber er wirkte dabei nie gehetzt“, so die „SZ“, „Das war es auch, was ihn für viele so verbindlich machte, was den scharfzüngigen Meister des geschriebenen und den stotternden Volksvertreter des auf der Bühne gesprochenen Wortes so sympathisch und für alle Bevölkerungsschichten verständlich erscheinen ließ.“ Mit seinem gediegenen, von Brille, Anzug und schlichter Frisur geprägten Äußeren habe er beim Publikum immer Vertrauen aufbauen können, „während er seine Attentate auf die bürgerlichen Überzeugungen mit einem sprachlichen Feingefühl schärfte, das seine Gegner machtlos erscheinen ließ. Er führe ein Leben ‚mit den Tugenden eines ordentlichen Bürgers‘, sagte Hildebrandt einst, Tennisspieler und Fußballfan, wobei ihn vom Spießbürger ein ‚gehöriges Maß an Toleranz‘ trenne“.
Erste Erfolge ab den Fünfzigern
Dieter Hildebrandt erblickte am 23. Mai 1927 im niederschlesischen Bunzlau in einem gutbürgerlichen, national gesinnten Elternhaus das Licht der Welt. Der Vater trug den Titel eines Oberlandwirtschaftsrats, war als Lehrer an einer Landwirtschaftsschule tätig und legte sich zusätzlich auch noch einen kleinen Bauernhof zu. In einem Interview mit Günter Gaus aus dem Jahr 1996 hatte Hildebrandt ausgeplaudert, dass er bis 1942 davon geträumt hatte, den Berufsweg eines Schifffahrtkapitäns einzuschlagen. Doch ein Jahr später habe ihn ein Freund zu einer Spielschar der Hitlerjugend mitgenommen. „Von dem Moment an hatte ich das stille Bedürfnis, irgendwann mal Schauspieler zu werden.“
Doch zunächst wurde er Flakhelfer und kurz vor Kriegsende noch zur Wehrmacht eingezogen. Nach kurzer Kriegsgefangenschaft konnte er seine aus der Heimat vertriebenen Eltern in der Oberpfalz wieder in die Arme schließen und 1947 in Weiden das Abitur nachholen. 1950 nahm er an der Ludwig-Maximilians-Universität München ein Studium der Theaterwissenschaften, der Literatur und der Kunstgeschichte auf. In der irrigen Annahme, „wenn ich Theaterwissenschaft studiere, komme ich dem Theater näher“, so Hildebrandt. Als ihm der Denkfehler bewusst wurde, versuchte er vergeblich, die Aufnahmeprüfung an der Otto Falckenberg Schule abzulegen, einer Fachakademie für darstellende Kunst. Stattdessen nahm er privaten Schauspielunterricht und konnte 1953 am Münchener Residenztheater die Prüfung der Schauspieler-Genossenschaft erfolgreich absolvieren.
Sein Studentenleben sollte er 1955 ohne akademischen Abschluss an der Universität beenden. Denn in der Zwischenzeit hatte er erste Erfolge mit dem Studentenkabarett „Die Seminarren“ verbuchen können. Zudem war er als Platzanweiser im Theater Kleine Freiheit in München mit Erich Kästner in Kontakt gekommen – und mit dem legendären Kabarettisten Werner Finck, von dem er sich seine Sprechweise hatte abgucken können, die später so charakteristisch für ihn selbst werden sollte. Finck war für seine nicht zu Ende gesprochenen Sätze und inhaltlichen Doppeldeutigkeiten sowie für ein entlarvendes Wortwörtlichnehmen berühmt.
1955 gründete Hildebrandt in Schwabing zunächst das Studentenkabarett „Die Namenlosen“, das er aber schon im Folgejahr zugunsten der „Münchner Lach- und Schießgesellschaft“ wieder auflöste. Dieses hatte er mit dem bayerischen Sportreporter Sammy Drechsel aus der Taufe gehoben. Mit Drechsel als Regisseur sowie Hildebrandt als Star-Solist entwickelte sich das Ensemble der „Lach- und Schießgesellschaft“ bis zu seiner Auflösung im Dezember 1972 zu einem der bedeutendsten Kabaretts der Bundesrepublik. Und es machte Hildebrandt dank Übertragungen in Hörfunk und Fernsehen bundesweit bekannt, wobei besonders das Silvesterprogramm „Schimpf vor zwölf“ hervorsticht, das von der ARD regelmäßig ausgestrahlt wurde. In dem Österreicher Werner Schneyder fand Hildebrandt zudem einen kongenialen Partner, mit dem er zwischen 1974 und 1981 mit sechs Kabarett-Programmen durch Deutschland und Österreich auf Tournee ging.
Süffisanter Kommentator
Doch auch dem Fernsehen sollte Hildebrandt treu bleiben. Schließlich hatte er sich dort gelegentlich als Drehbuch-Autor, beispielsweise 1960 für die Filmkomödie „Mein Mann, das Wirtschaftswunder“, oder als auch als Hauptdarsteller, etwa 1964 in „Doktor Murkes gesammeltes Schweigen“, einen Namen gemacht. 1973 erhielt er dann beim ZDF eine eigene politische Satire-Sendereihe: „Notizen aus der Provinz“ brachte es bis 1979 auf insgesamt 66 Folgen. Unter der Studioregie von Sammy Drechsel fungierte Hildebrandt als ebenso unterhaltsamer wie angriffslustiger Moderator, der die Mischung aus dokumentarischem Material und gestellten Szenen süffisant kommentierte und dadurch laut der Medienwissenschaftlerin Ricarda Strobel seinen „Ruf als kritischer Querdenker“ endgültig zementieren konnte. Als dem ZDF der Spott Hildebrandts offenbar zu heftig wurde und zwei der nicht live gesendeten Produktionen gestoppt worden waren, verpasste der Sender dem Kabarettisten eine „Denkpause“.
Das nahm Hildebrandt zum Anlass, zur ARD zu wechseln, wo ihm vom Sender Freies Berlin eine unzensierte und höchste Aktualität erlaubende Live-Show mit größtmöglichen inhaltlichen Freiheiten angeboten wurde. Mit dem „Scheibenwischer“, der es nach seiner Erstausstrahlung am 12. Juni 1980 bis zum Ausscheiden Hildebrandts 2003 auf 144 Folgen brachte, konnte der Kabarettist ein Stück Fernsehgeschichte schreiben. Hildebrandt betätigte sich meist als eine Art Conférencier, der die Übergänge zu den Beiträgen der Gastkabarettisten mit von schlagendem Wortwitz und scheinbaren Versprechern nur so sprühenden Kommentaren begleitete. Oft sehr zum Missfallen der bayerischen CSU-Granden. Das sollte sich 1982 in heftigen Protesten gegen einen als sinnloses „Monsterbauwerk“ bezeichneten Rhein-Donau-Kanal-Beitrag und 1986 sogar durch Ausblendung des Bayerischen Rundfunks aus einer Themensendung zur Reaktorkatastrophe von Tschernobyl dokumentieren.
In Serien und Filmen mitgewirkt
Hildebrandt war im Münchener Stadtteil Waldperlach heimisch geworden und war zweimal verheiratet: von 1951 bis 1985 mit Irene Mendler und nach ihrem Tod ab 1992 mit der Kabarettistin Renate Küster. Gelegentlich hatte er als Schauspieler in TV-Serien wie „Kir Royal“ (1986) oder bei Kinofilmen wie „Zettl“ (2012) mitgewirkt. Nach dem Abschied vom „Scheibenwischer“ betätigte er sich hauptsächlich als Buchautor. Auf diesem Feld hatte er schon 1986 mit seinem Erstling „Was bleibt mir übrig“ mit 200.000 verkauften Exemplaren einen Bestseller erzielen können und ging auf satirische Lese-Tourneen – als „Reisender in Texten“, wie er das selbst formuliert hatte.