Nach einigen prominenten Abgängen hat sich teamintern einiges verändert bei Alba Berlin. Der größte Spieler des Clubs und der gesamten Liga spielt nun eine deutlich wichtigere Rolle.
Michael Körner ist ein erfahrener Sport-Kommentator, doch was er beim Basketball-Bundesligaspiel zwischen Alba Berlin und den Tigers Tübingen sah, verwunderte auch ihn. „Es gibt doch keinen Spieler, der ihm in die Augen piksen könnte. Was soll das eigentlich?“, fragte der Dyn-Kommentator ins Mikrofon. Die Sportbrille, die Albas 2,21-Meter-Riese beim Tipp-off trug, hatte allerdings ihren Grund. Koumadje hatte im EuroLeague-Spiel zuvor in Valencia tatsächlich den Finger eines Gegenspielers ins Auge bekommen, zudem war er vom harten Ball im Gesicht getroffen worden. Die Brille sollte ihn schützen, doch so ganz wohl fühlte er sich damit offensichtlich nicht. Nach ein paar Spielsekunden legte er den Augenschutz wieder ab – und drehte dann auf. Mit 14 Punkten und vor allem zehn Rebounds lieferte der längste Spieler der Basketball-Bundesliga BBL erneut eine glänzende Leistung ab. Sich selbst loben wollte er aber nicht, stattdessen meinte der Center aus dem Tschad: „Die erste Halbzeit war etwas schwach von uns, aber dann hat sich jeder gesteigert, und deswegen ist es am Ende gut gegangen.“
14 Punkte und zehn Rebounds
Ein ähnliches Fazit könnte man auch über sein Schaffen bei Alba Berlin sagen. Nach einem Start mit Anlauf-Schwierigkeiten ist Koumadje inzwischen zu einem absoluten Leistungsträger bei Alba Berlin aufgestiegen. Das lässt sich auch mit Zahlen belegen. Mit im Schnitt 12,3 Punkten in der Liga ist er die teaminterne Nummer 3, mit einer Quote aus dem Feld von 88 Prozent überragt er sogar alle seine Teamkollegen. Dass er sowohl bei den offensiven (2,8) als auch defensiven (4) Rebounds das interne Ranking anführt, ist fast schon nicht mehr erwähnenswert. Die Stärke unter dem Korb wird von Koumadje aufgrund seiner Körperlänge erwartet. „Zu Hause im Tschad, da, wo ich herkomme, gibt es viele sehr große Menschen, das ist dort nichts Außergewöhnliches“, verriet er einmal: „Auch wenn natürlich nicht alle so groß sind wie ich.“
Seine enorme Körperlänge bringt einige Einschränkungen im Alltag mit. „Ich muss mich bei jeder Tür ducken. Da tut einem schnell der Nacken weh“, berichtete Koumadje. Ein weiteres Problem seien die Hotelbetten bei Auswärtsreisen und Trainingslagern. „Viele von denen sind einfach viel zu klein, besonders in Europa. In manche Betten passe ich nicht mal diagonal rein. Dann liegt man einfach irgendwie da und hofft, dass man schnell einschläft.“ Doch ein Mann von 2,21 Meter zu sein, habe auch seine Vorteile, bekräftigte der Alba-Profi: „Ich komme immer ans oberste Regal, ob zu Hause oder in einem Geschäft. Ich muss nicht warten, bis irgendjemand eine Leiter holt.“ Er sei generell jemand, der seine physischen Voraussetzungen so annimmt, wie sie nun einmal sind. „Ich lasse mir durch meine Größe keine Grenzen setzen. Was ich machen will, das mache ich auch“, sagte Koumadje. Es sei für ihn auch kein großes Problem, dass er auf der Straße nicht selten angestarrt wird. „Davon lasse ich mich nicht aufhalten.“
Koumadje als Basketball-Profi aber nur auf seine körperlichen Vorteile und Stärken unter dem Korb zu beschränken, würde ihm nicht gerecht werden. Der Center hat sich auch spielerisch weiterentwickelt. „Viele Fans denken, dass man es mit meiner Länge einfach hat im Basketball“, sagte Koumadje: „Sie verstehen nicht, dass traditionelle Center nicht mehr gefragt sind. Wir können nicht am Korb rumhängen und dunken, wie wir wollen. Wir müssen vom Korb weggehen und werfen können.“ Und das kann Koumadje. Albas Cheftrainer Israel Gonzalez, der wie sein Vorgänger und Lehrmeister Aito Garcia Reneses sehr viel Wert auf Spielintelligenz bei den Profis legt, hat eine große Meinung von Koumadje. Doch ihm und allen im Club war im Winter 2021, als der Afrikaner als damaliger Ergänzungsspieler beim russischen Club Awtodor Saratow nach Berlin gekommen war, klar, dass es „ein langfristiges Projekt werden würde“, wie Albas Individualtrainer Carlos Frade verriet: „Als Christ kam, musste er sich körperlich entwickeln, und er musste sich technisch entwickeln. Für ihn und für uns bedeutete das, dass wir lange und geduldig arbeiten würden.“
Mehr Verantwortung im Team
Es hat sich gelohnt. Spätestens in dieser Saison, in der Koumadje auch aufgrund zahlreicher Abgänge von Leistungsträgern mehr Verantwortung übernehmen muss, läuft es für den Center nach anfänglichen Problemen wegen Knieschmerzen gut. Sein Aktionsradius ist sowohl offensiv wie defensiv größer geworden, das Selbstvertrauen ist entsprechend auch gewachsen. Chefcoach Gonzalez schickt ihn auch in entscheidenden Momenten aufs Parkett – das war in der Vergangenheit nicht immer so. Öffentlich beschwert hat sich der Profi deswegen nie. „Für mich geht es immer darum, was das Team von mir braucht und was der Coach von mir will“, sagte Koumadje: „Ich probiere, immer bereit zu sein, wenn ich gebraucht werde. Da ist es egal, ob ich zehn, zwölf oder 15 Minuten spiele.“
Aufbauspieler Tamir Blatt, der die Berliner im vergangenen Sommer Richtung Maccabi Tel Aviv verlassen hat, weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig der Mann aus dem Tschad für das Team aus der Hauptstadt ist: „Einen Typen von mehr als 2,20 Meter im Team zu haben, ist ein Riesenfaktor.“ Gegenspieler hätten unter dem Korb „einfach Angst zu werfen, weil er sie so leicht blocken kann“. Der für seine enorme Körpergröße erstaunlich bewegliche Koumadje habe zudem „eine riesige Präsenz auf dem Feld“ und sei immer anspielbar. Beim jüngsten 92:64-Heimerfolg gegen die Löwen Braunschweig war er zwar nicht so sehr ins Offensivspiel eingebunden, defensiv aber wusste er zu überzeugen. Der sechste Sieg im siebten Spiel verdeutlicht, was Tübingen-Coach Danny Jansson zuletzt voller Hochachtung gesagt hat: „Alba ist eine Maschine, die wirklich schwer zu stoppen ist.“ In der Liga wird am kommenden Sonntag (17 Uhr) der Mitteldeutsche BC versuchen, die Berliner zu bezwingen. Koumadje wird die Weißenfelser sicher vor Herausforderungen stellen.
Die Alba-Verantwortlichen haben ihm diese Entwicklung schon länger zugetraut, die Vertragsverlängerung im vergangenen Juli bis 2026 spricht Bände. Mit seiner Verpflichtung sei man damals „ein Wagnis eingegangen“, gab Sportdirektor Himar Ojeda zu, „denn zuvor hatte es für ihn in kurzer Zeit bei zwei Teams nicht gepasst“. Weder in Saratow noch beim spanischen Erstligisten Estudiantes Madrid hatte sich Koumadje durchsetzen können. Zuvor hatte er in den USA sein Glück versucht, in Florida durfte er zuerst an der High School und dann an der Universität Basketball spielen und so die Talente-Scouts auf sich aufmerksam machen. Im Sommer 2019 spielte er für die Philadelphia 76ers in der NBA Summer League und nahm sogar am Preseason-Trainingscamp der Sixers teil. Für einen NBA-Einsatz reichte es zwar nicht, aber im Sixers-Farmteam Delaware Blue Coats wusste Koumadje absolut zu überzeugen. Nachdem seine ersten Stationen in Europa von wenig Erfolg gekrönt waren, nahm er einen Neustart in Berlin vor. Es stellte sich als richtige Entscheidung heraus – für beide Seiten. „Wir haben Christs Potenzial gesehen und haben an ihn geglaubt“, sagte Ojeda: „Unser Vertrauen wurde belohnt.“ Koumadje könne inzwischen „ein großer Faktor in unserem Spiel sein“, aber er müsse auch weiter „an seinen Fähigkeiten arbeiten“.