Die US-Demokratie befindet sich inmitten einer feindlichen Übernahme. Ob die Vereinigten Staaten diesen beispiellosen Staatsstreich von innen überleben, ist zweifelhaft.

Donald Trump ist der neue Besitzer eines 249 Jahre alten Unternehmens. Vor dem 20. Januar 2025 war dieses Unternehmen noch ein Rechtsstaat: die Vereinigten Staaten von Amerika. Trump übernimmt ihn, baut ihn nun um, schwächt ihn. So wie ein unliebsames, aber geschwächtes Konkurrenzunternehmen nach feindlicher Übernahme durch ein Konsortium von Investoren umgebaut und zurechtgestutzt wird. Er werde die Regierung führen wie ein Unternehmen, erklärte Trump bereits 2017. Diese fundamentale Fehleinschätzung der Rolle eines Staates zog sich bereits durch seine gesamte erste Amtszeit und gipfelt nun in der Zerstückelung der US-amerikanischen Institutionen.
Der Rechtsstaat als Hindernis
Dahinter stecken keinerlei politischer Sachverstand, kein sinistrer Plan und keine Verschwörung. Trump ist kein intellektueller Stratege, kein Ideologe, kein Mann mit Überzeugungen. Außer der einen: Er muss gewinnen, immer, und wenn nicht, nun, dann muss er es so aussehen lassen, als ob. Das gilt insbesondere für sein Verhältnis zur Justiz, deren Gerichtsverfahren einen nicht unerheblichen Teil von Trumps Leben in den vergangenen Jahren ausmachten: Das geht von Verfahren wegen Schweigegeldzahlungen im Wahlkampf über die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs bis hin zu Ermittlungen wegen geheimer Regierungsunterlagen in seinem Domizil Mar-a-Lago, Wahlbetrugsverfahren in Georgia und dem angestachelten Aufstand am US-Capitol. Auch hier sieht sich Trump natürlich vor allem als Opfer. John Bolton, sein ehemaliger Nationaler Sicherheitsberater, schrieb in seinem Buch „The Room Where It Happened“: „Trumps Verhaltensmuster glich einer Behinderung der Justiz als Lebensweise.“ Die Regeln des Rechtsstaates sieht Trump als Hindernis. Belege dafür mehren sich täglich: in der Missachtung gerichtlicher Entscheidungen bei der Freigabe von Geldern, die der Kongress schon freigegeben hatte; in der Besetzung des im Normalfall unabhängigen Justizministeriums mit Loyalisten und seinen eigenen Privatanwälten; in verbalen Angriffen auf die unabhängige Justiz und im Zerschlagen eines professionellen Beamtenapparates; in seinen Äußerungen, wonach nur der Präsident für die Einhaltung des Bundesrechts stehe und kein Gericht. Letzteres ist der bislang klarste Beleg für den Angriff auf die Gewaltenteilung der USA.

Für all jene, die ihm ins Weiße Haus und die Regierung folgten, funktioniert Trumps Art, die Dinge zu regeln, wie das Räumschild eines Bulldozers: Ohne Respekt für Normen, Werte und Gesetze zerstört Trump rücksichtslos jedwede rechtsstaatliche Hürde. Dabei geht er radikaler vor als in seiner ersten Amtszeit, per Dekret wie ein Monarch, denn nun umgeben ihn nur noch Ja-Sager. Wie die USA am Ende aussehen werden, ist noch unklar. Konturen einer rechtspopulistischen Autokratie zeichnen sich ab. Nancy Pelosi warnte bereits 2023: „Die Demokratie steht zur Wahl. Alles steht auf dem Spiel.“ Als Vorbild dient zum Beispiel Viktor Orbáns ungarische „illiberale Demokratie“ – nichts anderes als eine Scheindemokratie, in der sich Orbán nach dem kompletten Staatsumbau seit nunmehr 15 Jahren an der Macht hält. Ungarn kann als bislang erfolgreicher Modellversuch gewertet werden, eine europäische Demokratie in eine Autokratie zu verwandeln. Nicht umsonst wird der ungarische Autokrat von den Rechtspopulisten in den USA frenetisch gefeiert.
Unkenntnis staatlicher Systeme
Die Demütigung des professionellen amerikanischen Beamtenapparates überlässt Trump derweil einem selbsternannten Effizienzbeauftragten, seinem Hauptinvestor Elon Musk. Als Gegenleistung beendet Trump für den reichsten Mann der Welt Diversität, Inklusion und Gleichstellung, all das, was man auch als „woke“ bezeichnen könnte. „Der Woke-Virus muss besiegt werden, sonst ist alles andere bedeutungslos“, verkündete Elon Musk einst auf Twitter, heute X, und machte damit seine absolute Fixierung auf genau dieses Thema nur allzu deutlich. Das selbsternannte Department of Government Efficiency, das aus meist sehr jungen freiwilligen Ex-Praktikanten von Musk und Palantir-CEO Peter Thiel besteht, geht dabei ganz nach Silicon-Valley-Art vor: „Move fast and break things“ („Beweg dich schnell und zerbrich dabei Dinge“). Disruption, die jähe Zerstörung alter Ordnungen, ist ihr Credo. Effizienz im Sinne eines besser funktionierenden Staates als Ziel dessen aber ist nur vorgeschoben. Der Staat soll nicht besser funktionieren. Er soll verschwinden. So hat Musks Team beispielsweise die Stelle, an der US-Bürger ihre Steuerklärung direkt an die Finanzbehörde schicken konnten, geschlossen, die US-Entwicklungshilfe und den Verbraucherschutz faktisch eingestellt, alle Behörden müssen ihre IT-Systeme für Musks Truppe öffnen. Dass nur der Kongress Behörden per Gesetz schließen kann, stört sie indes nicht. Dabei zeigt Musk eine bemerkenswerte Unkenntnis staatlicher Systeme und grundlegender demokratischer Funktionen, stellt das US-Magazin „Wired“ fest, das die Vorgänge ausführlich untersucht. Demokratie scheint für ihn ein fehlerhaftes Produkt zu sein, das abgewickelt werden muss. Einen Umbau wünschten sich auch die Autoren von „Project 2025“, dem inoffiziellen Regierungsfahrplan, entwickelt von der erzkonservativen Heritage Foundation. Präsident Kevin Roberts beschrieb dies mit klaren Worten: „Wir sprechen von einer vollständigen Umstrukturierung des Verwaltungsstaates“, den die Autoren mit dem „Deep State“ gleichsetzen. Jenes Narrativ des „tiefen Staates“, der insgeheim eine republikanische Agenda sabotiert, hat sich als Verschwörungsmythos festgesetzt. Der Plan sieht daher den Austausch von bis zu 50.000 Bundesbeamten vor – ein Vorhaben, das Musk nun umsetzt, die Zahl könnte sogar noch deutlich größer werden. Bislang haben bereits 75.000 Bundesangestellte freiwillig gekündigt.
Technolibertäre Bewegung

Musk, Thiel und viele andere mehr sehen nun ihre Chance, im Windschatten eines rücksichtlosen Präsidenten den Staat, wie wir ihn kennen, zu zerstören. Schon 2009 sagte Peter Thiel: „Ich glaube nicht länger daran, dass Freiheit und Demokratie vereinbar sind.“ Damit setzte er den Ton für die heutige technolibertäre Bewegung: Möglichst viel Technologie, möglichst kein Staat, das Sagen haben diejenigen, die viel leisten: in ihrem Verständnis fortschritts- und technologiegläubige Menschen wie Peter Thiel. Eine neue Ordnung soll entstehen. Der demokratische Staat wird als Hindernis wahrgenommen. Wahre Freiheit ist für sie die Freiheit vom Staat, der mit seinen gesetzlichen Vorgaben aus ihrer Sicht den technologischen Fortschritt bremst. Technolibertarismus ist eine Idee, die sich seit den 70er- und 80er-Jahren mehr und mehr im amerikanischen Silicon Valley festgesetzt hat. Eine politische Philosophie, die technologischen Fortschritt mit libertären Idealen wie individueller Freiheit, minimaler Staatseinmischung und freien Märkten verbindet, wobei technologische Innovationen als Schlüssel zur Selbstbestimmung und gesellschaftlichen Verbesserung gesehen werden.
Lange Zeit kreisten diese Ideen im Silicon Valley, im Internet, in obskuren Reddit-Foren und Substacks. Mittlerweile, durch die Politisierung des Valleys und der persönlichen Verbindung von Personen wie Thiel, Musk und Vizepräsident J.D. Vance, gelangen sie jedoch zu Prominenz. Einer der Vordenker einer neuen illiberalen, autoritären, technokratischen Ordnung ist Curtis Yarvin. Der ehemalige Programmierer, den Thiel einen „mächtigen“ Historiker nennt, hält Liberalismus sowie Demokratien für schwach. Wahlen lehnt er ab. Statt eines demokratisch legitimierten Staates sollen an seine Stelle technokratische Unternehmen treten, die einzelne Aspekte eines Staates übernehmen – ohne Mitspracherecht der Einwohner. Die Gesellschaft soll wie Software „gepatcht“ und optimiert werden und von einer autoritären Tech-Elite effizient regiert werden. An anderer Stelle spricht Yarvin von einem „Cäsar“ als Herrscher. Vorbild dabei: der CEO eines Unternehmens, der wie ein Monarch ohne demokratische Legitimierung regiert. „Feinde“ jener Denkweise seien all jene Institutionen, die einen bestimmten liberalen Meinungsmainstream vertreten: Laut Yarvin sind dies alle Medien, Universitäten, Kunst und die Staatsbürokratie. Teil der Lösung sei es, alle Staatsbediensteten zu entlassen.
Gespickt sind Yarvins oftmals zynische und sehr distanziert wirkende Gedankenspiele mit allerlei popkulturellen Anspielungen und fragwürdigem Humor: Die Welt teilt er in produktive und unproduktive Menschen ein. Die Unproduktiven, sagt Yarvin spöttisch, hätten aber dennoch einen Nutzen, „wenn man sie zu Biodiesel verarbeitet“.
Auch außenpolitisch hat Yarvin Ideen. So sei es notwendig, den Russen Europa zu überlassen, um somit ein Exempel zu statuieren, schreibt er in seinem Blog: „Trump sollte Russland vielmehr freie Hand lassen, nicht nur in russischsprachigen Gebieten – sondern bis hin zum Ärmelkanal. Das Ziel einer trumpistischen Außenpolitik in Europa ist es, den amerikanischen Einfluss aus Europa zurückzuziehen. Dies wird die Niederlage des Liberalismus auf dem Kontinent garantieren. Hier in Amerika wird dies Liberalen und Konservativen gleichermaßen zeigen, dass der Liberalismus tödlich ist – mit gigantischen Auswirkungen auf die Moral beider. Und wie Clausewitz (deutscher Militärstratege, Anm. d. Red.) sagte, geht es bei allen Konflikten in erster Linie um die Moral.“
Yarvin: „freie Hand für Russland“
Yarvins tatsächlicher Einfluss auf die derzeitige Trump-Administration ist schwer abschätzbar. Es gibt jedoch Hinweise: Nach Berichten von „Politico“ gab es Treffen zwischen Yarvin und Trump-Beratern, Vizepräsident Vance kennt Yarvin über seine geschäftliche Verbindung zu Palantir-CEO Thiel. Auch Trump-Berater und Tech-Investor Marc Andreessen kennt und schätzt die Aufsätze Yarvins. Ob Musk selbst Sympathien für jenes Gedankengut hegt, ist unklar. Grundzüge dieser Ideologie sind jedoch in den ersten Entscheidungen der Trump-Administration zu erkennen: ein angeblicher „Deep State“, Massenentlassungen aus Behörden, ein Präsident, der wie ein König per Dekret ohne parlamentarische Kontrolle agieren will u,nd ein milliardenschwerer Technokrat, der den Staatsapparat abbaut. Die extreme Polarisierung und die Schwierigkeiten, die Politiker der Demokraten und der Republikaner mittlerweile im Kongress haben, um Gesetzesvorhaben gegen die andere Partei durchzusetzen, lassen die US-Demokratie tatsächlich schwach und dysfunktional wirken. Ideologien wie die von Yarvin scheinen hier einen neuen, einen disruptiven Ansatz zu bieten.

Wohin aber führt dies? Der entscheidende Denkfehler bei alldem: Der Staat ist kein Unternehmen und kein Start-up, das mal eben getrimmt werden kann. Während Unternehmen vor allem nach Gewinnen streben und ihre Erfolge in finanziellen Kennzahlen erfassen, hat der Staat oft konkurrierende Ziele: Wohlstand, Sicherheit, Gerechtigkeit, Bildung und Gesundheit. Die „Rendite“ staatlichen Handelns ist oft nicht monetär messbar, etwa der Wert von Bildung, sauberer Luft oder innerer Sicherheit. Auch muss der Staat, im Gegensatz zu Unternehmen, unrentable Leistungen erbringen, weil diese gesellschaftlich notwendig sind: die Infrastruktur, mit deren Hilfe auch die Wirtschaft floriert, oder Sozialleistungen. Unternehmen werden durch Marktkräfte diszipliniert und können scheitern, Staaten aber können nicht liquidiert werden. Sie haben die Hoheit über Geldpolitik und Steuern, der Siegeszug von Kryptowährungen während der US-Wahlen könnte der Startschuss sein für den Versuch, auch dieses Staatsmonopol zu privatisieren.
Der Endpunkt? Eine hypertechnologisierte, autoritäre Monarchie. Aber diese Zeit, sagte Yarvin in einem kürzlich in der „New York Times“ veröffentlichten Interview, sei noch nicht gekommen. Noch nicht.