Lasse Wilhelm hatte beim 1. FC Saarbrücken im Sommer kaum jemand auf der Rechnung. Nun spielt sich der 22-jährige Verteidiger fest.
Wenn Lasse Wilhelm über Fußball spricht, wählt er seine Worte mit Bedacht. Der Innenverteidiger des 1. FC Saarbrücken ist keiner, der laute Töne anschlägt oder markige Sprüche klopft. Vielmehr überzeugt er durch eine ruhige Präsenz – auf dem Platz wie daneben. Es gibt Leute, die sagen, Wilhelm sei zu ruhig. Und doch hat sich der 22-Jährige binnen weniger Wochen vom Notnagel zum festen Bestandteil der Abwehrreihe entwickelt. „Am Ende zählt, was ich auf dem Rasen zeige“, sagt er. Ein Satz, der viel über ihn verrät.
Geboren und aufgewachsen in Taunusstein bei Mainz, begann Wilhelm schon als Dreijähriger, die ersten Bälle zu treten. Früh erkannte man sein Talent, und so wechselte er bereits mit sieben Jahren ins Nachwuchsleistungszentrum von Mainz 05. Dort durchlief er die klassischen Stationen eines NLZ-Spielers: U15, U17, U19. Immer war er gesetzt, immer dabei. Doch der große Sprung zu den Profis blieb ihm verwehrt. „Es war eine gute, lehrreiche Zeit, auch wenn am Ende der letzte Schritt nicht geklappt hat. Trainerwechsel, andere Prioritäten, vielleicht auch eigene Fehler“, erinnert er sich.
„Musste mich erst zurechtfinden“
Als der Kontakt nach Saarbrücken entstand, musste er nicht lange überlegen. Ein Gespräch mit dem damaligen Coach Rüdiger Ziel überzeugte ihn sofort. Allerdings verlief der Start alles andere als reibungslos. Sein erstes Testspiel in Quierschied kommentierte Ziehl später mit den Worten, er habe Wilhelm zunächst für eine Fehlverpflichtung gehalten. Der junge Verteidiger lacht, wenn er diese Episode erzählt: „Ich musste mich erst zurechtfinden. Neuer Verein, neue Umgebung – das war nicht einfach. Und jeder Mensch hat auch mal einen schlechten Tag.“
Mittlerweile hat sich Wilhelm als Abwehrspieler etabliert. Athletik, Übersicht und Spielaufbau gehören zu seinen Stärken. Der jetzige Trainer Alois Schwartz lobt ihn gar als „komplettesten Innenverteidiger im Kader“. Doch Wilhelm wiegelt ab: „Das ist eine schöne Anerkennung, aber ich weiß, dass ich noch viel Potenzial habe.“ Er arbeitet an seiner Fitness, will Kopfballstärke und Offensivgefahr bei Standards weiter ausbauen. Dass er dabei nicht den Lautsprecher gibt, sieht er nicht als Nachteil. „Ich bin eher ein höflicher, ruhiger Typ. Manche sagen, man müsse lauter sein, um sich durchzusetzen. Aber ich finde, es ist kein Nachteil, wenn man gut erzogen ist.“
Einen zentralen Stellenwert in Wilhelms Leben nimmt sein Glaube ein. Er spricht darüber offen, ohne Pathos, aber mit tiefer Überzeugung. „Mein Glaube ist das Wichtigste in meinem Leben. Er gibt mir Halt, auch wenn es sportlich mal nicht läuft.“ Tägliches Bibellesen, Beten vor Spielen, der Besuch einer Gemeinde in Saarbrücken – für ihn ist das selbstverständlich. Geprägt wurde er von Freunden und Wegbegleitern, weniger von seinem Elternhaus: „Meine Mutter ist gläubig, mein Vater weniger. Aber mein Weg hat sich durch Begegnungen entwickelt.“ Gerade in schwierigen Phasen sei dieser Halt entscheidend gewesen. „Ich weiß, dass ich nicht allein bin. Das gibt mir Kraft.“
Abseits des Fußballs sucht Wilhelm bewusst Ausgleich. Er studiert Mathematik an der Universität des Saarlandes –nicht als konkrete Berufsvorbereitung, sondern als geistige Herausforderung. „Als Fußballer hat man Zeitfenster, die man sinnvoll nutzen kann. Mathematik fordert mich, gibt mir Struktur.“ Dabei hat er gelernt, sich selbst zu disziplinieren: „Manchmal fällt es schwer, nach einem intensiven Training noch eine Vorlesung nachzuarbeiten. Aber ich sehe es als wertvoll an, dranzubleiben.“
Seine Freizeit verbringt er gern mit Freunden aus der Mannschaft, geht Kaffee trinken oder essen. Kartenrunden gehören ebenso dazu wie Kochabende in seiner Wohnung in St. Arnual. Dabei legt er Wert auf gesunde Ernährung, steht selbst am Herd. Am liebsten bereitet er ein perfekt gebratenes Steak zu. Saarländische Spezialitäten wie „Dippelabbes“ hat er dagegen noch nicht probiert – ein offenes Kapitel für den Wahl-Saarbrücker, dessen Eltern sich übrigens an der Saarbrücker Uni kennengelernt hatten. „Sie sind viel rumgekommen, haben aber schon einen Teil ihrer Jugend im Saarland verbracht“, erzählt der 22-Jährige.
Sprachen spielen in seinem Leben ebenfalls eine Rolle. Dank einer französischen Nanny lernte er früh Französisch und nutzt dies gern im Austausch mit Teamkollegen wie Amine Naifi. Italienisch spricht er auch ein paar Worte, auch weil er seine Urlaube oft mit Freunden in Italien verbringt. Die Kultur, das Essen, die Sprache – all das begeistert ihn. Erst kürzlich reiste er in der Länderspielpause nach Nordmazedonien, um einen Fußball-Kumpel zu besuchen: „Das war ein besonderes Erlebnis.“ Solche Reisen, sagt er, erweitern den Horizont und machen ihn dankbar für das, was er im Fußball erleben darf.
In der Mannschaft fühlt er sich wohl. Mit Spielern wie Elijah Krahn, Joel Bichsel, Luca Wollschläger oder Till Schuhmacher geht er ab und zu aus, bevorzugt allerdings ruhige Orte. „Ich bin kein Partygänger. Ich genieße es, wenn man in Ruhe reden kann.“ Für Restaurantbesuche empfiehlt er die „Bar Central“ in Saarbrücken. Besonders imponiert ihm das Gemeinschaftsgefühl innerhalb des Teams: „Wir haben eine gute Mischung. Jeder hat seinen Charakter, aber wir ziehen an einem Strang.“
Die Verbindung zwischen Stadt und Verein beeindruckt ihn ebenfalls. „Man spürt, wie sehr die Menschen hier mit dem FCS verbunden sind. Siege und Niederlagen sind Gesprächsthema in der ganzen Stadt. Das ist einzigartig.“ Im Ludwigspark vor Tausenden Fans aufzulaufen, empfindet er jedes Mal als Privileg. Die Atmosphäre, das Singen, die Farben – für Wilhelm sind es Bilder, die bleiben. „Es motiviert dich, alles zu geben, wenn du siehst, wie sehr der Verein Teil des Alltags der Menschen ist.“
Und die Zukunft? Sportlich möchte er das Maximum aus seinen Möglichkeiten herausholen – gern beim 1. FC Saarbrücken, aber auch offen für kommende Aufgaben. „Ich bin dankbar, hier die Chance bekommen zu haben. Jetzt liegt es an mir, sie zu nutzen.“ Für ihn zählt dabei nicht nur der kurzfristige Erfolg, sondern auch, den Menschen etwas zurückzugeben. „Wenn Fans nach dem Spiel ein Lächeln haben, dann weißt du, dass du etwas richtig gemacht hast.“
Lasse Wilhelm ist ein eher nachdenklicher junger Mann, der im oft schrillen Fußballbetrieb eine wohltuende Ausnahme ist. Einer, der nicht den großen Auftritt sucht. Und einer, der zeigt: Im Fußball kann man auch ohne große Worte zum festen Rückhalt werden.