Die Eisbären Berlin setzen bei ihrem Neuaufbau nach der Katastrophen-Saison auch auf junge Talente. Die sollen ein besseres Umfeld zum Entfalten bekommen als zuletzt. Das ist eine Lehre aus der Vergangenheit.
Die Nachricht kam nicht mehr überraschend, und doch tat sie allen in der Berliner Eishockey-Familie weh. „Frank Hördler verlässt die Eisbären“, betitelte der Rekordmeister der Deutschen Eishockey Liga (DEL) einen Artikel auf seiner Internetseite. Zum schmerzvollen, aber wohl unausweichlichen Abschied wurde der Verteidiger und Kapitän gewürdigt und gelobpreist. „Er ist eine Legende und das größte Aushängeschild der Eisbären“, sagte Geschäftsführer Thomas Bothstede: „Einen Profi mit seinen Errungenschaften wird es so schnell nicht wieder geben.“ Und Sportdirektor Stéphane Richer ließ verlauten: „Seine Laufbahn sucht ihresgleichen. Er wird definitiv eine Lücke hinterlassen.“
20 Jahre lief Hördler für die Eisbären auf, in denen er sich zum erfolgreichsten Spieler der DEL-Geschichte aufschwang. Seine neun Meistertitel sind unerreicht, hinzukommen jeweils einmal der Gewinn der European Trophy und des Deutschen Eishockey-Pokals. In der abgelaufenen Saison durchbrach der 38-Jährige zudem die 1.000-Spiele-Marke in der deutschen Eliteliga, und er erfüllte sich einen zweiten Traum: Mit Sohn Eric (18) stand er gemeinsam in Pflichtspielen auf dem Eis. Doch das waren schon die beiden positivsten Dinge, die Hördler aus der Spielzeit 2022/23 mitnehmen konnte. Seine Leistungen schwächelten, als Kapitän konnte er die Katastrophen-Saison des Titelverteidigers mit dem blamablen Hauptrunden-K.-o. nicht abwenden. Nach Saisonende war klar: Es muss eine Veränderung her – für beide Seiten.
Schwächelnde Leistungen
Hördler spielt künftig in der DEL2 für seinen Heimatclub Selber Wölfe, den er 2003 im Alter von 18 Jahren verlassen hatte, um beim Hauptstadtclub Karriere zu machen. Eine richtige Entscheidung, doch genauso richtig erscheint nun der Schritt zurück. Der Silbermedaillengewinner von Olympia 2018 kann seine Karriere in einem etwas weniger stressigen Umfeld beenden, ohne dem Leistungssport schon komplett den Rücken zu kehren. Und die Eisbären untermauern mit dieser Entscheidung ihren Willen nach einem Umbruch, der diesen Namen auch verdient. Dazu passt, dass die Clubführung bei den Neuzugängen auch auf das Alter und die Entwicklungsfähigkeit achtet.
Dazu passt der Transfer des 21-jährigen Jonas Stettmer. Der deutsche Torhüter war bei den deutschen Topclubs heiß begehrt, zumal er in der diesjährigen DEL-Finalserie für den ERC Ingolstadt gegen Meister Red Bull München überzeugende Auftritte hinlegte. Hier kam er auf eine Fangquote von 91,5 Prozent und machte auch andere Clubs auf sich aufmerksam. Doch zu dem Zeitpunkt hatten die Eisbären längst eine Zusage des Goalies, den sie schon sehr viel länger beobachtet hatten.
Stettmer erhält die Rückennummer 1 – doch die Nummer eins ist er deswegen bei den Eisbären Berlin nicht zwangsläufig sofort. Man verfolge mit dem großen Torwarttalent „einen langfristigen Plan“, erklärte Sportdirektor Richer: „Wir sind von ihm überzeugt und sehen bei ihm noch viel Potenzial.“ Das soll sich kontinuierlich entfalten, deswegen wird Stettmer auch mit einer Förderlizenz ausgestattet. Dadurch wird er auch bei Kooperationspartner Lausitzer Füchsen in der DEL2 zum Einsatz kommen und wichtige Spielpraxis sammeln. Dasselbe trifft auch auf Junioren-Nationaltorwart Nikita Quapp (20) zu. Beide sollen zwischen der Hauptstadt und der Lausitz rotieren. Als nomineller Stammtorhüter soll ein gestandener Mann kommen. Dem Vernehmen nach handelt es sich dabei um Jake Hildebrand (29), dessen Vertrag bei den Löwen Frankfurt auslief.
Die Club-Verantwortlichen wollen nicht denselben Fehler begehen wie im Vorjahr. Da hatte man sich nach dem Abgang von Meistergoalie Matthias Niederberger nach München allein auf das Talent der beiden Jung-Torhüter Tobias Ancicka (22) und Juho Markkanen (21) verlassen. Das Duo zeigte auch vielversprechende Ansätze, ließ aber Konstanz vermissen, was in dem Alter nichts Ungewöhnliches ist. Doch auf der Position des Torwarts, die im Eishockey besonders großen psychologischen Einfluss auf die Vorderleute hat, ist das ein enormes Handicap. Die Youngster Ancicka (im Schnitt 2,66 Gegentore pro Spiel) und Markkanen (3,04) haben den Club mittlerweile verlassen, die Schuld für den Eisbären-Einbruch gibt man ihnen aber zumindest öffentlich nicht. „Ich weiß, es schimpfen viele auf die Torhüter“, sagte Geschäftsführer Bothstede: „Aber wenn auch die Akteure vor dem Keeper nicht zu ihrer Form finden, ihr Potenzial nicht abrufen – wie soll dann ein 21-jähriger Torhüter sein wahres Potenzial zeigen?“
In der runderneuerten Mannschaft soll es nun für aufstrebende Talente einfacher sein, sich zu verbessern und auch schnellstmöglich zu helfen. Einer von ihnen ist Lean Bergmann. „Er wird unserer Offensive noch mehr Qualität und Tiefe verleihen“, ist sich Sportdirektor Richer sicher: „Lean ist ein harter Arbeiter sowie ein offensiv starker und körperlich präsenter Spieler, der sehr gut nach Berlin und in unser Spielsystem passt.“ Der inzwischen 24-jährige Bergmann galt einst als eines der vielversprechendsten Eishockey-Talente in ganz Deutschland, das einen ungewöhnlichen Weg ging: Schon in ganz jungen Jahren verließ er Deutschland, um im Ausland in Schweden und in die USA Erfahrungen zu sammeln. Nach einer Saison bei den Iserlohn Roosters in der DEL schaffte er sogar den Sprung in die NHL, wo er immerhin 13 Partien für die San Jose Sharks absolvierte.
Eisbären bauen auf aufstrebende Talente
Doch nach seiner Rückkehr zum Heimatclub Mannheim kamen sportliche, körperliche und private Probleme zusammen. Ein Neustart musste her. Da diesen auch die Eisbären planen, könnte es ein perfekter Match sein. „Die Verantwortlichen haben von Beginn an großes Interesse gezeigt und mich ihr Vertrauen spüren lassen, sodass wir uns schnell einig wurden“, zeigte sich Stürmer Bergmann begeistert. Diesen Vertrauensvorschuss will er auf dem Eis zurückzahlen: „Ich spiele immer mit Stolz und lasse mich ungern rumschubsen. Ich trete mit breiter Brust auf, versuche die Spiele zu gewinnen und trage das Trikot mit Stolz.“ Für ihn sei der EHC ein ganz besonderer Verein, „als ich aufgewachsen bin, haben die Eisbären gefühlt dominiert“, sagte der Angreifer, „da haben sie alles gewonnen, was es zu gewinnen gab“. Und in diese Richtung soll es mit Bergmann und den anderen Neuen wieder gehen.
Zu den „Jungen Wilden“, die in der kommenden Saison frischen Wind beim DEL-Rekordchampion bringen sollen, zählt auch Angreifer Michael Bartuli. Der gebürtige Hamburger ist 20 Jahre alt und lief in der Vorsaison beim Zweitligisten Bad Nauheim auf. „Er ist ein junger Stürmer, in dem wir viel Potenzial sehen“, sagte Richer. Bartuli wird sich vermutlich aber zunächst Spielpraxis beim Kooperationspartner Weißensee holen, auch wenn ihm Einsätze in der DEL bei Vertragsunterschrift signalisiert wurden. Die Vorbereitung startet im August, dann können sich alle Spieler zunächst im Training beweisen. Da die Eisbären sich nicht für die Champions Hockey League qualifizieren konnten, bleiben ihnen die Strapazen der Spiele und Reisen dort im Spätsommer erspart. Auch das dürfte bei der anvisierten Rückkehr auf den deutschen Eishockey-Thron ein Vorteil sein.