Dem aus dem oberfränkischen Buttenheim stammenden Levi Strauss gelang in seiner amerikanischen Wahlheimat der Aufstieg vom kleinen jüdischen Hausierer zu einem der reichsten Männer des Landes. Grund dafür war eine unverwüstliche, ursprünglich für Goldgräber entworfene Hose, die später als Jeans zu Weltruhm gelangte.
Das gravierende Erdbeben und die daraus resultierende verheerende Feuersbrunst vom April 1906 zerstörten große Teile der kalifornischen Metropole San Francisco. Auch der Hauptsitz einer der erfolgreichsten Firmen des Landes, der 1853 gegründeten Handelsgesellschaft Levi Strauss & Co., in der Battery Street wurde ein Opfer der Flammen. Der Unternehmensgründer Levi Strauss musste diesen schweren, aber für die Firma keineswegs existenziell bedrohlichen Verlust nicht mehr miterleben. Bereits vier Jahre zuvor war er am 26. September 1902 völlig überraschend im Alter von 73 Jahren in seinem Haus in der Leavenworth Street gestorben.
Zu diesem Zeitpunkt war Strauss einer der angesehensten und sicherlich auch vermögendsten Bürger seiner Wahlheimatstadt San Francisco. Der gebürtige Oberfranke, der zeitlebens kinderlos geblieben war, hatte gemeinsam mit der Familie seiner Schwester Fanny und seinem schon 1875 verstorbenen Schwager David Stern gewohnt. Seine vier Neffen Jacob, Sigmund, Louis und Abraham Stern, die Levi schon früh in die Firma eingebunden und denen er wohl schon um 1890 die Geschäftsleitung des zum Zeitpunkt seines Todes auf stolze sechs Millionen Dollar geschätzten Unternehmens übertragen hatte, ließen das Firmengebäude nach der Feuersbrunst recht schnell wieder aufbauen. Die Mauern konnten problemlos ersetzt werden, was allerdings nicht für das gesamte Archivmaterial galt, das in der Zentrale deponiert gewesen war. Nahezu alle Infos, die die frühe Geschichte des Unternehmens und seines Gründers betrafen, waren unwiederbringlich verloren gegangen. Insofern beruht vieles von dem, was heute darüber bekannt ist, letztlich auf Spekulationen und Interpretationen.
Infos über Kindheit und frühe Jugend gibt es kaum
Vor diesem Hintergrund dürfte es wenig verwundern, dass bis zum Jahr 1983 nicht einmal der genaue Geburtsort von Levi Strauss feststand. Als der Bürgermeister des im Landkreis Bamberg gelegenen oberfränkischen Dörfchens Buttenheim damals einen Brief einer Frau aus Milwaukee erhalten hatte, die für ein von ihr geplantes „German Fest" Informationen über berühmte Einwanderer aus Deutschland erbeten und dabei auf Buttenheim als Geburtsort von Levi Strauss verwiesen hatte, war der Ortsvorsteher aus allen Wolken gefallen. Bis dahin hatte niemand geahnt, dass aus der winzigen Gemeinde eine solch berühmte Persönlichkeit hätte stammen können.
Nach flugs eingeleiteten Nachforschungen in erhaltenen Geburtsmatrikeln der Judengemeinschaft, die in den 1820er-Jahren fast ein Viertel der 800 Seelen gestellt hatte, und nachdem eine Auswanderungsurkunde im Stadtarchiv Bamberg entdeckt wurde, herrschte Gewissheit, dass Löb Strauss, der legendäre Urvater der Jeans, tatsächlich am 26. Februar 1829 in Buttenheim das Licht der Welt erblickt hatte. Welch ein Glück, dass ausgerechnet das aus Fachwerk erbaute Geburtshaus von Strauss als eines der ältesten denkmalgeschützten Gebäude des Dörfchens noch erhalten war. Dieses 1987 zu erwerben und nach aufwendiger Restaurierung ab dem Jahr 2000 als Levi Strauss-Museum einem stetig wachsenden Touristenstrom zugänglich zu machen, war für die Gemeinde-Verantwortlichen daher Ehrensache.
Fakten über Kindheit und frühe Jugendjahre von Levi Strauss sind nicht überliefert, aber immerhin konnte der familiäre Background ermittelt werden. Er war der jüngste Sohn einer neunköpfigen Familie. Sein Vater Hirsch Strauss hatte nach dem Tod seiner ersten Ehefrau Madel, die ihm die vier Kinder Jacob, Rosla, Jonas und Lippman geschenkt hatte, die Tochter seines Nachbarn Rebecca geheiratet und mit ihr weitere drei Nachkommen gezeugt – neben Levi die beiden Töchter Mathilde und Voegela.
Auch wenn die jüdische Gemeinde damals sehr vital gewesen war, es sowohl eine Synagoge, eine Religionsschule, ein rituelles Bad und einen jüdischen Friedhof gegeben hatte, so waren die beruflichen Verdienstmöglichkeiten für die jüdische Landbevölkerung doch durch diverse Diskriminierungen, etwa dem Aufnahmeverbot durch die Handwerkerzunft, sehr eingeschränkt gewesen. Hirsch Strauss konnte als von Ort zu Ort ziehender Hausierer mit Tuch- und Kurzwaren seine Angehörigen kaum über Wasser halten. Als er 1846 an Tuberkulose verstarb, stand seine Familie praktisch vor dem Nichts. Immerhin hatten Levis ältere Halbbrüder Jonas und Louis einige Jahre zuvor schon den Absprung über den großen Teich in die USA geschafft, wo sie in New York in den Fußstapfen ihres Vaters zunächst ebenfalls als Hausierer gearbeitet hatten und schließlich ein kleines Textilwaren-Geschäft gründeten. Da sie Rebecca Strauss dadurch eine Anlaufstelle in der Neuen Welt bieten konnten, entschloss sich die Mutter in Begleitung von Levi und dessen beiden leiblichen Schwestern 1847 in Bremerhaven ein Segelschiff in Richtung Amerika zu besteigen.
Erstmals verkauft als Waist Overalls
In New York stieg Levi zunächst in das brüderliche Geschäft ein, dessen Waren er auf den Straßen des Big Apple als Hausierer feilbot. Wenig später änderte er seinen Vornamen in Levi und reichte einen Antrag auf Erwerb der amerikanischen Staatsbürgerschaft ein, der 1853 bewilligt wurde. Als die Strauss-Brüder im Zuge des kalifornischen Goldrausches die Chance witterten, ihr Sortiment im fernen Westen des Landes für wesentlich mehr Geld an den Mann, sprich die Nuggetsucher, bringen zu können, entschlossen sie sich kurzerhand zur Eröffnung einer Filiale in San Francisco. Sie entsandten Levi Strauss in die aus allen Nähten platzende Stadt, wo Levi gemeinsam mit Louis und seinem schon vor Ort ansässigen Schwager David Stern 1853 das auf den Handel mit Stoffen und Kurzwaren spezialisierte Unternehmen Levi Strauss & Co. gründeten. Anfangs lieferte Levi Strauss den Goldsuchern so ziemlich alles, was diese für den Alltag brauchten – von Zahnbürsten bis hin zu Zeltplanen. Bald schon hatte er die Erkenntnis gewonnen, dass den Diggern ein ganz spezielles Bedürfnis dringend unter den schmutzigen Nägeln brannte, nämlich Kleidung, die die beschwerliche Arbeit des Goldschürfens möglichst unbeschadet überstehen konnte. Da er jede Menge bräunliches Baumwoll-Segeltuch in seinem Warensortiment hatte, ließ er kurzerhand von Schneidern daraus Hosen fertigen, die als sogenannte Duck Pants schnell zu einem Bestseller wurden. Aber auch diese Hosen hatten noch einen Schwachpunkt, weil ihre Taschen einfach nicht robust genug waren, um alle Utensilien schadlos aufnehmen zu können, die die Goldgräber ständig darin hineinzustopfen pflegten.
Die Lösung des Problems verdankte Levi schließlich dem aus Litauen stammenden Jacob Davis, der als Schneider in Reno im Bundesstaat Nevada tätig war, regelmäßig Tuchlieferungen von Levi bezogen hatte und nach Experimentieren mit den Duck Pants auf die Königsidee gekommen war, die besonders strapazierten Hosenstellen rund um die Taschenecken oder den geknöpften Latz mit Metallnieten zu verstärken.
Da Davis das nötige Kleingeld für ein Patentierungsverfahren fehlte, nahm er Kontakt zu Levi auf, der ganz begeistert das Patent über genietete Hosen am 20. Mai 1873 in trockene Tücher brachte und Davis sogleich zum Produktionsleiter der anlaufenden Hosenherstellung unter der Bezeichnung „Waist Overalls" nach San Francisco berief. Wann genau die Materialumstellung vom braunen Segeltuch auf den indigoblauen Baumwollstoff Denim erfolgt war, lässt sich nicht mehr exakt ermitteln. Auch über den Ursprung des Baumwollstoffes streiten sich die Gelehrten zwischen Genua und Nîmes. Wobei die italienische Stadt durch ihre französische Umwandlung in „Gênes" den allerdings erst ab den 1920er-Jahren in Zusammenhang mit „Blue Jeans", den „Bleu de Gênes", populär gewordenen amerikanischen Begriff „Jeans" hervorgebracht haben könnte, während die französische Hafenstadt ganz direkt mit ihrem dort produzierten Baumwollstoff „Serge de Nîmes" zur Bezeichnung „Denim" beigetragen hatte.
Früh anderen Aufgaben gewidmet
Die riesige Nachfrage an der amerikanischen Westküste nach den „Waist Overalls", die unverkennbar mit frühen Logos wie einer geschwungenen Ziernaht auf den Gesäßtaschen oder einem Lederaufnäher mit zwei an der damals noch Hosenträger und einen wenig figurbetonten Schnitt aufweisenden Levis ziehenden Pferden ausgestattet und charakteristisch mit orangenen und gelben Kontrastnähten versehen waren, konnte nach 1873 nicht mehr in Schneider-Heimarbeit bewältigt werden. Levi musste zwei Fabriken eröffnen, aus denen nach der Umwandlung des Unternehmens 1890 in eine Kapitalgesellschaft im gleichen Jahr auch das legendäre Modell „501" aus der Taufe gehoben wurde.
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Levi Strauss schon längst nahezu komplett aus der Firmenleitung zurückgezogen, um sich neuen Aufgaben zu widmen. Beispielsweise als Schatzmeister der Handelskammer von San Francisco, als Mitbegründer der Eisenbahngesellschaft Valley Railroad oder als Aufsichtsratsmitglied der Nevada Bank, der Liverpool London and Globe Insurance Company oder der San Francisco Gas and Eletric Company. Daneben unterstützte er finanziell verschiedene jüdische Wohlfahrtsorganisationen und stiftete 28 Stipendien für die University of California in Berkeley.