Der vor 150 Jahren geborene Albert Schweitzer wurde nicht nur für sein humanitäres Lebenswerk mit dem Friedensnobelpreis geehrt und als moralische Instanz weltweit gefeiert. Er wird auch als Künstler, Wissenschaftler und Pazifist zu den Koryphäen seiner Zeit gezählt.
Albert Einstein bezeichnete ihn als „den größten Menschen dieses Jahrhunderts“. Auch das US-amerikanische Magazin „Life“ bezeugte ihm 1947 seine Hochachtung und nannte ihn „the greatest man in the world“. Winston Churchills Ehrbekundung „Genie der Menschlichkeit“ war da schon prägnanter, weil in ihr der deutliche Hinweis auf Albert Schweitzers wichtigste Lebensleistung enthalten war, die ihn zur weltweit bewunderten moralischen Instanz – gewissermaßen zur Personifizierung des Gutmenschentums – gemacht hatte. Im Unterschied zu allen seinen Zeitgenossen formulierte er hehre humanitäre Ziele nicht nur mit wohlklingenden Worten, sondern widmete seine gesamte Existenz der tatsächlichen Umsetzung seines ethischen Grundprinzips der „Ehrfurcht vor dem Leben“. Von daher war es für ihn eigentlich nur logisch, dass er sich in seinen späten Jahren auch als strikter Warner vor den Gefahren einer atomaren Aufrüstung hervorgetan hatte, obwohl alles Politische bis dahin eigentlich nie sein Ding war.
Drei Promotionen im Alter von 38 Jahren
Bei all der globalen Inthronisierung Schweitzers zur sittlichen Symbolgestalt des 20. Jahrhunderts wurde aber häufig nicht deutlich genug die herausragende Rolle des am 14. Januar 1875 im elsässischen Kaysersberg Geborenen als Künstler und Wissenschaftler herausgestellt. Denn neben seiner jahrzehntelangen aufopferungsvollen Arbeit als praktizierender Mediziner im heutigen Gabun, was ihm den Ehrentitel „Urwalddoktor“ eingebracht hatte, war der vielseitig begabte Schweitzer laut einem 1957 veröffentlichten „Spiegel“-Artikel ein „universaler Mensch“ gewesen, der auf eine Stufe mit Geistesgrößen wie Leonardo da Vinci oder Johann Wolfgang von Goethe gestellt werden könne.
Im Alter von 38 Jahren konnte er gleich drei Promotionsurkunden in den Fächern Philosophie (1899), Theologie (1900) und Medizin (1913) vorweisen. Daneben machte er sich einen Namen durch die Veröffentlichung von damaligen Standardwerken zu theologischen und philosophischen Kernfragen. Damit nicht genug, genoss er auch als Künstler hohes Ansehen. Er galt als einer der größten Orgelpianisten seiner Zeit und dabei als wegweisender Neu-Interpret der Barockkompositionen von Johann Sebastian Bach, über den er 1905 eine hochkarätige Biografie veröffentlicht und dessen Orgelwerke er 1912/13 als Mitherausgeber einer Neuausgabe präsentiert hatte. Zu guter Letzt war Schweitzer auch noch ein Meister und Theoretiker des Orgelbaus. Die seinerzeit in Mode gekommenen Fabrikorgeln hatte er in klanglicher Hinsicht als technologischen Rückschritt eingestuft und dies 1914 auch in einer in Fachkreisen viel beachteten Publikation „Zur Diskussion über Orgelbau“ dokumentiert.
Schon wenige Monate nach der Geburt von Ludwig Philipp Albert Schweitzer zog seine Familie, in der schon seit Generationen Religion, Musik und Bildung gepflegt wurden, von Kaysersberg ins nahe Gunsbach um. „Albert Schweitzer wanderte vom ersten Lebenstag zwischen den Welten“, schrieb der „Spiegel“ einmal. Zum einen, weil sein Vater als evangelischer Pfarrer in einer katholischen Gegend tätig war. Zum anderen, weil seine Muttersprache der alemannische Dialekt war, er das Französische erst nach und nach im familiären Umfeld erlernen und des Hochdeutschen im Reichsland Elsass-Lothringen erst spät in der Schule mächtig werden konnte. Schweitzers musikalische Begabung zeigte sich schon im Kindesalter. Mit fünf Jahren erhielt er bereits Klavierunterricht, mit acht Jahren begann er, Orgel zu spielen.
Medizinstudium nach Ablehnung
Nach dem 1893 in Mühlhausen gemachten Abitur schien Schweitzer beruflich in die Fußstapfen seines Vaters treten zu wollen. Er nahm an der Universität Straßburg ein intensives Studium der Theologie auf, schloss dieses mit einer Dissertation über die Problematik des historischen Jesus und die geschichtliche Überlieferung des Abendmahls ab, bekleidete danach zwischen 1901 bis 1912 verschiedene hochrangige Verwaltungsposten, beispielsweise eine Tätigkeit als Vikar am Straßburger Theologischen Kolleg, und wurde nach seiner Habilitation 1902 zum Professor für das Neue Testament an der Theologischen Fakultät der Universität Straßburg berufen. Mit seinem schon 1906 verfassten religiösen Hauptopus „Geschichte der Leben-Jesu-Forschung“ schuf er ein theologisches Standardwerk, auch seine 1930 veröffentlichte Untersuchung zur „Mystik des Apostels Paulus“ sorgte im Gelehrtenkreis für reichlich Diskussionsstoff.
Ein Jahr vor der Theologie-Promotion hatte er 1899 den Doktor-Titel im Fach Philosophie mit einer Dissertation über die Religionsphilosophie Kants erworben. Bei all dem Studieren nahm er sich auch noch die Zeit, um sich zwischendurch im Orgelspiel beim Pariser Virtuosen Charles-Marie Widor fortbilden zu lassen. All diese künstlerischen und wissenschaftlichen Aktivitäten mussten möglichst im Schnelldurchgang erledigt werden. Im Alter von 21 Jahren hatte er bei einem Besuch im väterlichen Pfarrhaus in Gunsbach im Sommer 1896 für sich den Entschluss gefasst, „dass ich mich bis zu meinem dreißigsten Lebensjahr für berechtigt halten wollte, der Wissenschaft und der Kunst zu leben; um mich von da an einem unmittelbaren menschlichen Dienen zu weihen.“
Als er daher im Herbst 1904 einen Personalaufruf der Pariser Missionsgesellschaft für die Region Französisch-Äquatorialafrika in die Finger bekam, meldete er sich sogleich als Freiwilliger. Da die Verantwortlichen aber hauptsächlich ausgebildete Ärzte suchten und ihnen der Bewerber wegen seiner fortschrittlichen theologischen Ansichten nicht geheuer war, erhielt Schweitzer eine Absage. Worauf Schweitzer 1905 sogleich ein Medizinstudium an der Universität Straßburg in Angriff nahm und 1913 mit der Dissertation „Die psychiatrische Beurteilung Jesu“ abschloss. Noch im gleichen Jahr machte sich Schweitzer in Begleitung seiner Ehefrau Helene, die er 1912 geheiratet hatte und die über eine Ausbildung als Krankenschwester verfügte, auf gen Französisch-Äquatorialafrika. Genauer gesagt war das heute zum Staat Gabun zählende Gelände der Pariser Missionsgesellschaft in Andende unweit des Zentrums von Lambarene am Ogowe-Fluss das Ziel der Reise. Dort begann das Ehepaar mithilfe von mitgebrachten ärztlichen Gerätschaften und Medikamenten in primitivsten Unterkünften wie einem ehemaligen Stall eine erste Krankenstation aufzubauen.
Doch nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde Schweitzer als deutschem Staatsbürger von französischer Seite die Ausübung jeglicher ärztlicher Tätigkeiten untersagt. Das erzwungene Nichtstun nutzte Schweitzer zu philosophischen Grübeleien. Wobei ihm bei einer mehrtägigen Flussfahrt im September 1915 nach eigenem Bekunden erstmals sein zentrales ethisches und kulturphilosophisches Grundprinzip der „Ehrfurcht vor dem Leben“ eingefallen war: „Wahre Philosophie muss von der unmittelbarsten und umfassendsten Tatsache des Bewusstseins ausgehen. Diese lautet: Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ Woraus sich für Schweitzer die logische Schlussfolgerung ergab: „Gut ist, Leben erhalten und Leben fördern, böse ist, Leben vernichten und Leben hemmen.“ Was Schweitzer später auch in seinen beiden bedeutendsten kulturphilosophischen Werken „Verfall und Wiederaufbau der Kultur“ und „Kultur und Ethik“ 1923 ausführlich darstellte.
1917 wurde das Ehepaar Schweitzer nach Europa zurückgeführt und in Garaison in den Pyrenäen sowie in Saint-Rémy in der Provence interniert. Später wurden sie gen Elsass entlassen, wobei Schweitzer die französische Staatsbürgerschaft erhielt und 1924 wegen der angeschlagenen Gesundheit seiner Frau infolge einer Tuberkulose ein Haus im Kurort Königsfeld im Schwarzwald erbauen ließ, wo Helene mit der 1919 geborenen Tochter Rhena wohnen sollte. Schweitzer sicherte den Lebensunterhalt der Familie durch Orgelkonzerte sowie durch ärztliche und theologische Tätigkeiten.
Mythos nach dem Friedensnobelpreis
Im Februar 1924 kehrte er nach Lambarene zurück. Bis zu seinem Tode folgten zwölf weitere Reisen nach Afrika, wobei er den Großteil seines Lebens in Lambarene verbrachte und sein 1927 komplett neu errichtetes Krankenhaus dank Spenden, Buchtantiemen und Honoraren für Vorträge oder Konzerte unter seiner wohl ziemlich autoritären Leitung auf 70 Gebäude ausbauen konnte. Anfang der 60er-Jahre konnten dort mehr als 500 Patienten gleichzeitig stationär behandelt werden. Nach einem Aufenthalt in den USA 1947 wurde er ein international gefeierter Medienstar, die Verleihung des Friedensnobelpreises für das Jahr 1952 machte ihn zu einem Mythos. Ein Status, den er auch noch durch seine weltweit über Radiosender ausgestrahlten Aufrufe zur Einstellung von Atombombenversuchen in den Jahren 1957 und 1958 festigen konnte. Gut zwei Jahre nach Abschluss des partiellen Atomteststoppvertrages 1963 starb Schweitzer am 4. September 1965 im Alter von 90 Jahren in Lambarene.