Winston Churchill wird heute als einer der größten britischen Staatsmänner und eine der bedeutendsten Persönlichkeiten des vergangenen Jahrhunderts gefeiert. Dabei deutete lange Zeit nichts darauf hin, dass sich so viel mehr hinter dem einstigen Schulversager verbarg.
Hätte irgendjemand Randolph Henry Spencer-Churchill prophezeit, dass sein ältester Sohn Winston Leonard Spencer-Churchill einmal Nobelpreisträger sein und gar als wichtigster britischer Politiker seiner Zeit in die Geschichte eingehen sowie von der britischen Königin zum Ritter geschlagen würde, der britische Lord hätte diesen vermutlich als Fantasten und als nicht zurechnungsfähig abgekanzelt. Churchill Senior war selbst lange Zeit erfolgreicher Politiker, war Mitte der 1880er-Jahre Vorsitzender der Konservativen im britischen Unterhaus, stieg zum Schatzkanzler in der Regierung von Lord Salisbury auf und wurde bereits selbst als künftiger Premierminister gehandelt. Doch seine politische Karriere endete abrupt, als er im Dezember 1886 wegen Unstimmigkeiten mit der eigenen Regierung vom Amt des Finanzministers zurücktrat und trotz aller Bemühungen nie mehr eine Rückkehr in Amt und Würden schaffte. Bis 1894 blieb er einfacher Abgeordneter.
Die Schule war ihm regelrecht verhasst
Dennoch bewunderte der am 30. November 1874 geborene Winston seinen Vater und sah ihn immer als großes Vorbild. Eine Bewunderung, die beim Vater aber auf wenig Gegenliebe stieß. Im Gegenteil. Lord Randolph war regelrecht verzweifelt und desillusioniert aufgrund der schulischen Leistungen des Filius und hielt diesen schlicht für einen talentfreien Versager. Zwischen 1881 und 1892 besuchte der junge Winston im Alter zwischen sieben und 18 Jahren gleich mehrere Eliteschulen in Ascot, Brighton und Harrow, scheiterte aber jedes Mal krachend und blieb gleich mehrmals sitzen. Winston hasste das autoritäre Schulsystem jener Zeit. Für ihn war seine Schulzeit geprägt von Ängsten, Schlägen mit dem Stock und blutiger Prügel, wie er später einmal schrieb. Er galt als Sturkopf und als Lernverweigerer, er hasste das stupide Auswendiglernen und jede Art von Prüfungen. Seine schulischen Leistungen waren mit einem Wort katastrophal. Begeistern konnte sich der junge Mann nur für die Fächer Geschichte und englische Literatur, seinen Abschluss schaffte er nur mit Ach und Krach.
Nach der Schule wollte der inzwischen 18-Jährige auf die Militärschule Sandhurst wechseln und dort eine Ausbildung beginnen, rasselte aber auch hier gleich zweimal durch die Aufnahmeprüfung. Erst 1893, im dritten Anlauf, wurde er dort angenommen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sein ehrgeiziger Vater seine Pläne für seinen Sohn längst über Bord geworfen und sich enttäuscht abgewandt. Doch beim Militär blühte der bislang so unmotiviert agierende Winston plötzlich auf und wurde zu einem glühenden Verfechter des British Empire, das um diese Zeit seine territorial größte Ausdehnung erreichte. Gleichzeitig nutzte er seine Freizeit, um Bildungslücken seiner Schulzeit aufzuarbeiten. Er verschlang Buch um Buch quer durch alle Epochen und Stilrichtungen, und er ließ sich von seiner Mutter Jennie sogar regelmäßig Bücherpakte schicken, als er mit dem Militär in Indien war.
Wie sein Vater starb Winston am 24. Januar
Mit der Zeit begann Winston selbst zu schreiben und – mit Erlaubnis der Militärführung – für britische Zeitungen Artikel als Kriegsberichterstatter zu verfassen. In diesen Berichten beschrieb Churchill die britische Armee allerdings keineswegs nur als heldenhafte Truppe, sondern er skizzierte dabei auch sehr detailliert die Gräueltaten gegen die sudanesischen Muslime und kritisierte unverblümt offen die Oberbefehlshaber. 1899 veröffentlichte Churchill diese Kriegsberichte in Form eines Buches mit dem Titel „River War“, 2008 erstmals in Deutschland unter dem Titel „Kreuzzug gegen das Reich des Mahdi“ auch auf Deutsch erschienen. Am Ende seines Lebens sollten es 40 Bücher sein, die Winston Leonard Spencer-Churchill geschrieben hat.
Zwischen 1895 und 1901 nahm Churchill an fünf verschiedenen Kolonialkriegen teil, teils als Soldat, teils als Kriegsberichterstatter. Alles das bekam sein Vater Lord Randolph Henry Spencer-Churchill nicht mehr mit. Dieser starb am 24. Januar 1895 im Alter von nur 45 Jahren an den Folgen einer Syphilis-Erkrankung. Er verpasste damit auch den kometenhaften Aufstieg seines Sohnes als Politiker; dessen Weg zu den verschiedensten politischen Ämtern, unter anderem als Schatzkanzler, was die beiden verbindet, bis hin zum britischen Premierminister – jenem Amt, das dem Vater verwehrt blieb und das der Sohn sogar gleich zweimal innehatte. Dessen Rolle als erbitterter Gegner Adolf Hitlers und Retter Englands im Zweiten Weltkrieg, seine spätere Rolle als Versöhner der Völker und Vordenker der europäischen Einigung, seine Rolle als geschätzter Literat, die ihm den Nobelpreis einbrachte, und auch die Rolle als geachteter und heute hochgehandelter Hobbymaler.
Fast erscheint es einem wie Ironie des Schicksals, dass der von Winston so verehrte Vater seinen Sohn nur als Versager erlebte, während der Rest der Welt ihn als einen der bedeutendsten Köpfe seiner Zeit in Erinnerung behalten wird. Neben dem gemeinsamen politischen Amt haben Vater und Sohn übrigens noch eines gemeinsam: das Sterbedatum. Winston Leonard Spencer-Churchill starb mit 90 Jahren am 24. Januar 1965 – auf den Tag genau 70 Jahre nach seinem Vater.