Seit Langem verbinden Menschen den Wald mit tiefen Sehnsüchten ebenso wie mit Ängsten: Als heilsam für Körper und Seele, aber auch als wild-obskures Dickicht voll Gefahren und alptraumhafter Fantasien zeigen ihn Künstlerinnen und Künstler.
Wenn du lange in den Wald blickst, blickt der Wald auch in dich hinein“, so könnte man in Abwandlung eines Nietzsche-Zitats sagen. Der Wald wäre damit ganz richtig beschrieben in seinem psychologischen Aspekt als ein Spiegel der inneren Realität. Von Künstlern und Künstlerinnen aller Epochen wurde die Naturmetapher Wald in allen Schattierungen ausgemalt. Und nicht nur in zeitgenössischen Werken wird er als Projektionsfläche für den bedrohten Naturraum gezeigt. Der Raubbau an ihm durch den Menschen ist künstlerisch schon lange ein Thema, wenn auch mitunter nur subtil zu entziffern. So war etwa die Romantik vielleicht gar nicht so „romantisch“ im heutigen Verständnis, sondern ihre Ausdrucksformen bildeten ein Gegenstück zur damaligen Realität:
Während der Holzabbau Anfang des 19. Jahrhunderts durch die beginnende Industrialisierung in Deutschland immer stärker gefördert wurde, machte Caspar David Friedrich sich seinen Namen als der Sehnsuchtsmaler der Romantik. Im dargestellten Verlangen nach unberührter Natur schwingen Melancholie und Kümmernis über die Vergänglichkeit mit. „Ich fühlte, wie ein gewaltiger, endloser Schrei durch die Natur ging“, soll wenig später der norwegische Maler Edvard Munch zu seinem – meist anders interpretierten – Bild „Der Schrei“ von 1895 gesagt haben. Gemeint hatte er den alles durchdringenden Schmerz der Natur über ihre Ausbeutung. Auch in seiner Heimat Norwegen war Holz im frühen 20. Jahrhundert das wichtigste Exportgut. Munchs Waldmotive und seine wellenförmig aufgewühlt wirkenden Landschaftsbilder sind wie Seismografen bedrohter Lebenskreisläufe. Mit kräftigen Farbakzenten und zellenartigen Strukturen übertünchte er den Schmerz über die Zerstörung, der sich die Figur im Bild trotz Zuhaltens der Ohren nicht entziehen kann.
Eco Art weist auf den Klimwandel hin
Eco Art – so „grün“ ist Kunst. Beim Sprung in unsere Gegenwart werden immer mehr Künstler und Künstlerinnen zu Aktivisten und Aktivistinnen. „Eco Art“ wird eine Kunstform genannt, die auf den immer bedrohlicheren Klimawandel hinweist. Vorläufer dieser Kunstbewegung war die „Land Art“ oder „Environmental Art“ aus den frühen 1970er-Jahren, die maßgeblich aus Inszenierungen ortsspezifischer Objekte in Naturräumen bestand.
So zeigt die in Brandenburg lebende, in Polen geborene Fotografin Halina Hildebrand in ihrer Arbeit „Mehrfachbelichtung“ die verheerenden Schäden durch hitzebedingte Waldbrände, die sich direkt vor ihrer Tür ereigneten. Für eine Ausstellung in der Berliner Konzeptgalerie Zagreus im Juni 2023 hatte sie verbranntes Holz im Forst gesammelt und im Raum inszeniert. „Durch die Technik der Mehrfachbelichtungen kann das real Sichtbare und das unbewusst Erlebte zu einem Bildmotiv gerinnen“, so beschreibt Hildebrand ihre Arbeiten von ambivalenter Schönheit.
Auch Antje Majewski lebt in Brandenburg. Sie widmete sich 2019 einem aus der Klimakrise geborenen „Baumparasiten“ – dem Borkenkäfer – und malt nach einer Fotovorlage eine von ihm befallene Baumrinde. Mit den filigran verästelten Haupt- und Nebengängen könnten die Spuren des Käfers eine ästhetische Grafik sein. Auf der Biennale Gherdeina in den Dolomiten realisiert Majewski das Kunstprojekt „Sculpture Forest Sanctuary“. Sie plädiert für die Heiligsprechung der Wälder wie in Westafrika und Südchina. Wald solle nur eingeschränkt betretbar sein. Nur auf einem schmalen Pfad können Besucher neben einer Hütte ihre Wächterskulpturen aus Holz betrachten, bis diese eines Tages verfallen und wieder Teil des Waldes werden. Der Hüttenbesitzer erhält die Kunstwerke geschenkt und muss dafür den Wald für mindestens 100 Jahre unberührt lassen. Parallel dazu soll wissenschaftlich untersucht werden, wie sich der Waldabschnitt an den Klimawandel anpasst.
Eine digitale Forst-Kartografie erstellt der Künstler Andreas Greiner in seiner Videoinstallation „Jungle Memory“. Aus Tausenden von Fotos von drei verschiedenen Wäldern generiert er mithilfe von Künstlicher Intelligenz neue Waldlandschaften, die auf den ersten Blick zwar echt aussehen, aber auf befremdende Art doch unwirklich sind. Er fragt sich, ob diese Form der KI-Bilder als vierte Dimension bleiben wird, wenn es irgendwann keinen Wald mehr geben wird.
Im urbanen Naturraum ist vieles essbar
Der Engländer Andy Holden benutzt in „Natural Selection“ das Bild der Vögel als erste Vorboten der Wälder und auch des nahenden Unheils – des Artensterbens. Der niederländische Künstler Hans Op de Beecks schenkt seinem schutzlos wirkenden Roe Deer (Reh) als Teil seiner „Quiet Parade“ eine utopisch wirkende Inselparzelle, auf der es sich ängstlich umschaut – sind die Bäume noch da?
Die in Berlin lebende finnische Künstlerin, Performerin und Kuratorin Nina Backman wird oft die Frage gestellt, ob Joseph Beuys mit seiner Baumpflanzaktion „7.000 Eichen“ ihr Vorbild gewesen sei. Beuys wollte im Rahmen der Documenta 1.982 Pflanzen und Tieren ein eigenes Rechtssystem geben und plädierte dafür, Bäume lieber zu pflanzen als zu malen. Für Backman ist Beuys’ erweiterter Kunstbegriff, der Aktionen im öffentlichen Raum als „soziale Plastik“ definierte, sicher auch eine Vorlage. Backman betrachtet ihre Baumpflanzungsaktion „A Million Trees to Finland“ als Zusammenspiel von zeitgenössischer Kunstpraxis und gemeinschaftlichem Einsatz für den Klimaschutz. Seit 2019 wurden so bereits 50.000 Bäume in finnischen Städten gepflanzt. Die Aktion ist Teil ihres mehrfach ausgezeichneten „Silence-Projekts“. „Meine Heimat hat die Natur in der DNA. Ich will dieses nordische Forest Thinking in andere europäische Städte tragen,“ so die Wahlberlinerin. In Finnland existiere ein sogenanntes Jedermannsrecht auf Raum, Natur und Stille, für die der Wald stehe. Ihr neuestes Projekt sind die „Minimetsä“ – von Backman kunstvoll angelegte „Miniwälder“, die sie mithilfe der Stadtkommunen aus Bäumen, Pflanzen, morschem Holz und Blumen gestaltet. Als „grün designte“ Stadtinseln sollen sie mehr Ruhe ins Urbane bringen, zum Erhalt der Artenvielfalt beitragen und Menschen in Aktion bringen. Backmans „Minimetsä“ sind ab diesem Jahr auch in Städten wie Barcelona, Verona und Amsterdam geplant. Auch Obstbäume, Beeren und Kräuter wachsen in den offenen Waldgärten, die Pflanzenwissen, Umweltschutz und Kunst vereinen und zum Ernten und Verzehren freigegeben sind.
Einen ähnlichen Ansatz hat Anja Fiedler – sie organisiert in ihrem Projekt „Stadt macht satt“ Food-Performances und individuell buchbare Gruppen-führungen durch Parks und Stadtwälder und zeigt dabei, dass im urbanen Naturraum vieles essbar ist. Die Umweltkünstlerin und Aktivistin erntet direkt von Strauch und Baum und serviert in ihren Park- und Wald-Snacks ein ganzes Menü wild wachsender Superfoods. Seit Jahren experimentiert sie mit deren genüsslicher Verwertung. Beim Stadtbaum-Flanieren entdeckt man so, wie knackig Ulmen- oder Ahornsamen sind, man nascht Käsewürfel mit Tannenaschensenf oder genießt ein Topping aus geräucherten Fichtennadeln auf Flechtenbutter. Zu trinken gibt es Fichtenspitzensirup oder Eichenkaffee zu Lindenblätter-Gebäck. Auch Fiedler war für ihr Future-Food Projekt „Der Erde langsamstes Telegramm“ in Finnlands Wäldern unterwegs und hat Birkenholz zu Suppe ausgekocht, mit erdig-süßem Torf eine Mousse au Chocolat kreiert und aus gesammeltem Schnee und feinem Essig „Saure Regentropfen“-Perlen hergestellt.
„Beim ‚Bäume-Essen‘ möchte ich daran erinnern, wie verbunden wir mit allem sind. Schon ein einziger Atemzug verbindet uns mit den Sauerstoffproduzenten, unseren Bäumen. Wir dürfen ihre Naturdienstleistung umsonst nutzen und sollten das sehr bewusst wertschätzen“, so die Wahlberlinerin, für die Bäume und Pilze echte Überlebenskünstler sind, von denen es viel zu lernen gebe. Besonders fasziniert sei sie von Flechten, die nicht in Konkurrenz zueinander, sondern in Symbiosen leben. So werden Flechten Tausende von Jahren alt und könnten sogar im Weltraum überleben.
Mousse au Chocolat aus erdig-süßem Torf
Wenn man im Wald sehr still lauscht, hört man vielleicht die Bäume über all die Künste, die sich seit Jahrhunderten um den Wald bemühen, raunen. Der Schweizer Klangkünstler Marcus Maeder fängt dieses grüne Raunen in den Wipfeln auf: Über dort befestigte Sensoren verarbeitet er Pflanzengeräusche zu elektronischen Kompositionen. Hören kann man den Sound im „treelab“ – einem Pflanzenlabor der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Über unterirdische Pilzgeflechte, sogenannte Mykorrhiza-Netzwerke, sollen die Bäume unserer Wälder miteinander kommunizieren. Ob das wohl ein ökologischer Diskurs ist? Noch ist die Theorie vom „Wood Wide Web“ zwar umstritten, bietet aber genug Vorlage für künftige künstlerische Interpretationen.