Die Physik beschränkt, technischer Fortschritt entgrenzt: Leben wir mit mehr Wind im energetischen Saus und Braus? Ganz so einfach geht die Rechnung mit der Windenergie leider nicht auf.
Die Herbststürme nahen, der Wind weht große Bäume um und alle reden übers Energiesparen: Könnten Windräder aus so viel Sturm nicht einfach mehr Strom erzeugen?
„Die Windenergie war wieder die stärkste Energiequelle des Jahres“, bilanziert der Energieforscher Bruno Burger das Stromquellenjahr 2023 auf Energy-Charts.info. Windkraftanlagen übertrafen mit 139,8 Terawattstunden die Produktion von 2022 um 14,1 Prozent. Auf See wehten die Luftströme 23,5 Prozent Terawattstunden in die Stromleitungen, an Land 115,3 Terawattstunden.
Noch Luft nach oben bei Windkraft
Dennoch hat die Kraft des Windes – anders als Wasserkraft – hierzulande noch Luft nach oben, wenn es darum geht, ihre Power zu nutzen. Umweltfreundlich: Wenn Energie aus Windkraft erzeugt, gespeichert und verteilt wird, fallen kaum klimaschädliche Treibhausgase an. Ideal, denn wir brauchen immer mehr emissionsarmen Strom für Daten, Digitalisierung, Technologie und Transformation.
Der Trend hält an: Im ersten Halbjahr dieses Jahres stammten 34 Prozent des in Deutschland erzeugten Stroms aus Windkraftanlagen. Dies entspricht 73,1 Terawattstunden, rechnet das Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (ISE) vor. Der Wind gibt Gas: Rund 438 Milliarden Kilometer könnten Elektroautos mit so viel Energie fahren. Die Windenergie sei „erneut der stärkste Einzelenergieträger im deutschen Energiemix“ gewesen, betont Frank Grüneisen vom Bundesverband WindEnergie (BWE) mit Blick auf Januar bis Juni 2024.
Da geht noch mehr: Prinzipiell stünden 13,8 Prozent der Fläche Deutschlands für die Nutzung der Energie aus der Kraft des Windes zur Verfügung, besagt ein ISE-Modell. Gäbe es nicht Abschläge durch Artenschutz, wirtschaftliche Rahmenbedingungen und andere Faktoren, wäre darauf eine installierte Leistung von rund 1.190 Gigawatt möglich. Jährlicher Stromertrag: 2.900 Terawattstunden. Installiert waren, Stand November 2023, 60,5 Gigawatt an Land und 8,4 Gigawatt auf See, also „offshore“.
Der Zubau hinkt. Laut Energiewende-Monitoring der Expertenkommission befindet sich der Ausbau der Erzeugungskapazitäten erneuerbarer Energien 2024 „auf dem Zielpfad“. Mit Handlungsbedarf: „Bei der Windenergie an Land stieg der jährliche Zubau seit 2019 zwar langsam wieder an, befindet sich aber nach wie vor auf einem niedrigen Niveau im Vergleich zu dem, was zur Erreichung der Ziele des Erneuerbare-Energien-Gesetztes (EEG) erforderlich ist.“
Ausbau nimmt wieder Fahrt auf
Lichtstreifen sind erkennbar: Langwierige Planungs- und Genehmigungsprozesse und eine geringe Flächenverfügbarkeit stellten weiterhin Hemmnisse für den zügigen Ausbau dar. Ein Blick auf die 2023 erteilten Genehmigungen, mit einem Plus von über 70 Prozent an mehr genehmigter Leistung als 2022, ausgesprochen für rund acht Gigawatt, lasse jedoch erwarten, dass der Windenergieausbau in Deutschland langsam wieder Fahrt aufnimmt.
Mehr Energie durch Repowering: Aktuell gibt es 29.000 Windenergieanlagen auf dem Festland, von denen gut 9.500 20 Jahre und älter sind. Alter und Leistungsstandard sind einer BWE-Übersichtskarte zu Windenergieanlagen in Deutschland zu entnehmen. Somit stünde für ein Drittel sogenanntes „Repowering“ an: Das heißt, an ihrer Stelle könnten leistungsstärkere Maschinen mehr Energie aus der Kraft des Windes holen. Vor allem dort, wo besonders viele alte Anlagen durch effizientere Technik ersetzt werden sollten.
Laut Deutsche WindGuard GmbH lag die Repowering-Quote in den ersten sechs Monaten 2024 bei 29 Prozent. Mit einer kumulierten Leistung von 377 Megawatt wurden 68 Windenergieanlagen repowert. Im gleichen Zeitraum sind 277 Anlagen, die durchschnittlich 22 Jahre im Betrieb gewesen waren, mit einer Leistung von zusammen 379 MW stillgelegt worden. Es wurden also mehr Windenergie-Maschinen aus dem Betrieb genommen als neu installiert. Doch es sollen in den kommenden Monaten viele der stillgelegten Anlagen im Rahmen von Repowering-Projekten durch eine geringere Anzahl neuer, leistungsstärkerer Anlagen ersetzt werden.
Mehr Tempo fürs Repowering: Einige der dieses Jahr ersetzten Altanlagen waren schon 2023 rückgebaut worden. „Hier könnten durch weitere Vereinfachungen im Antragsverfahren höhere Quoten erzielt werden, die bei einem Rückgang der Anlagenzahl trotzdem zu einer deutlichen Steigerung der installierten Leistung führen würden“, sagt die BWE-Präsidentin, Bärbel Heidebroek, auf Nachfrage. Die Entwicklung der Windenergieanlagen habe in den vergangenen Jahren große Sprünge gemacht. „Moderne Anlagen erreichen heute eine Nennleistung von über sechs Megawatt. Vor zwanzig Jahren hatten die Anlagen noch nur rund ein Megawatt Nennleistung“, betont die Verbandschefin. Auch das zeige, wie groß das Potenzial beim Repowering sei.
Mehr Wind vermag weniger, als man meint: Weht der Wind mit doppelter Geschwindigkeit, verachtfacht sich der Windenergieertrag und umgekehrt. Auch deshalb schwankt die Windenergieeinspeisung.
Theorie und Praxis ihrer Leistung weichen bei modernen Windkraftanlagen um etwa 50 Prozent voneinander ab: Statt auf 320 Watt pro Quadratmeter kommen sie auf maximal 160 Watt pro Quadratmeter. Immerhin reduzieren sie beispielsweise aerodynamische Verluste durch Luftreibung an den Blättern besser als alte Windräder.
Null Energie bei wenig und bei Starkwind: Üblicherweise setzen die Luftströmungen große Rotorblätter in Bewegung, die mit einem Generator verbunden sind. Allerdings erst ab einer Mindestgeschwindigkeit des Windes. Bei zu heftigem Wind wird die Anlage ab etwa 25 Metern pro Sekunde abgeschaltet, damit sie intakt bleibt.
Energie-Ernteausfälle per Gesetz: Eine Windkraftanlage kann – laut Betzschem Gesetz – nur den Bruchteil von sechzehn Siebenundzwanzigstel einer mechanischen Leistung in Nutzenergie umwandeln. Grund ist, dass der Wind durch den Rotor beim Transport der Energie durch dessen Projektionsfläche gebremst wird. Der Leistungsbeiwert wird auch „Erntegrad“ genannt. Wind strömt ungenutzt am Rotor vorbei, weil er abgebremst wird und abweicht. Leistung wird entnommen, die Strömungsgeschwindigkeit sinkt, die Luftpakete werden kürzer und die Stromlinien vergrößern ihre Abstände zueinander.
Technologie hilft dem Wind auf die Sprünge: Windgeschwindigkeit und -richtung sowie der Standort sind für die Windkraft wichtig. Windkraftanlagen wandeln die kinetische Energie des Windes in elektrische Energie um. Richtig viel Energie holen Weiterentwicklungen aus ihr heraus. Für Stromnetze und Speicherkapazitäten zählt allerdings nicht die konstruktionsbedingte elektrische Nennleistung einer Anlage, sondern ihre durchschnittliche Jahresleistung.
Nach dem Zweiten Weltkrieg lagen Windräder bei einer Leistung von wenigen Hundert Kilowatt. Ein Rotor mit 10.000 Quadratmetern Fläche gibt heutzutage etwa 1,6 Megawatt an die Welle ab. Für klassische Offshore-Windkraft wird bis 2025 mit einer Leistung von 25 Megawatt pro Anlage gerechnet.
Erfindungsreichtum verspricht Energie-Vermehrung: Effizienzfortentwicklungen ermöglichen besonders leise Windkraftanlagen mit sehr hoher Ausbeute. Selbst die Höhenbeschränkung, die Biegekräfte eigentlich erzwingen, lässt sich umgehen: Dreibein-Konstruktionen weisen einen Weg, wie in windreichen Höhen Wind genutzt und seiner Kraft zugleich getrotzt werden kann.
Weil die Dichte der kinetischen Energie quadratisch mit der Windgeschwindigkeit steigt und von der Luftdichte abhängt, steigt die Leistungsdichte mit der Windgeschwindigkeit stark an. Wo viel Wind weht, macht die Installation von Windkraftanlagen daher besonders viel Sinn. Je höher, desto besser: Wo Bebauung und Vegetation die Windgeschwindigkeit reduzieren und den Turbulenzgrad erhöhen, ist es besonders wichtig, dass sich die Höhe der Windräder seit Ende der 1980er-Jahre auf 160 Meter verachtfacht hat.
Vorbilder aus den Niederlanden
Und natürlich ist der Ertrag an Energie aus Windkraft auf See besonders hoch, weil der Wind dort stärker und gleichmäßiger weht, ohne von Gebäuden und Hügeln gebremst und verwirbelt zu werden. Um die Mehrausbeute auf See von etwa 20 Prozent kosten- und meeresfreundlich hinzubekommen, werden verschiedene Varianten schwimmender Windkraftanlagen ausprobiert.
Verbund von Tulpenwindrädern bringt Energie für mehr Orte: Die Menschen in den Niederlanden wussten schon vor Hunderten von Jahren, wie Windkraft wirtschaftlich zu nutzen ist. Windmühlen ermöglichten Wohlstand, schoben Handwerk, Handel und Industrialisierung an. Die mechanische Energie aus der Bewegungskraft des Windes wurde ohne Umwege als Antrieb für Maschinen und Vorrichtungen genutzt. Etwa, um Kakao zu mahlen.
Wie Tulpen aus Amsterdam sehen die vertikalen Windräder eines Start-ups aus, das bereits zweimal den niederländischen Nachhaltigkeitspreis gewonnen hat. „Flower Turbines“ bringen Tulpenwindräder, auch für Vorgärten und Parkanlagen, die vogelschonend und leise arbeiten und dabei bemüht sind, gemeinsam mehr Energie aus dem Wind zu holen als andere vertikale Windräder: Warum nicht?