Paläste, Grabmäler und märchenhafte Städte: Mit dem legendären Orient Silk Road Express können Reisende noch heute Usbekistans Magie aus Tausendundeiner Nacht spüren.
Aus der Bordküche duftet es verführerisch nach scharf angebratenem Knoblauch in Sesamöl. Kein Wunder, denn Aleyna rührt in den Töpfen. Und das voller Leidenschaft, mit einem Lied auf den Lippen, das verheißungsvoll nach Sehnsucht, Liebe, endloser Steppe und den sagenumwobenen Karawanen längst vergangener Tage klingt. Nun gut, mit etwas Fantasie vielleicht und wenn man der lebensfrohen Usbekin über die Schulter schaut. Oder aus dem Fenster. Da trotten sie wirklich hin und wieder herum, die Kamele. Durch eine endlose Steppe, die kein Anfang und kein Ende zu haben scheint. Woher die Dromedare kommen und wohin sie gehen, wird ihr Geheimnis bleiben.
Wie so vieles in dieser unwirtlichen Natur, die die Usbeken über Jahrtausende prägte. Der legendäre Orient Silk Road Express, eigens vom Berliner Spezialveranstalter Lernidee für diese Zeitreise auf Schienen komplett gechartert, rattert gemächlich durch die Monotonie, hat ein Kronjuwel der Seidenstraße gerade hinter sich gelassen: die Oasenstadt Chiwa, die von der Organisation für Islamische Zusammenarbeit zur diesjährigen Kulturhauptstadt der islamischen Welt gekürt wurde.
An die 70 Paläste, Mausoleen, Minarette und Medressen, die einstigen Koranschulen, bilden ein architektonisches Gesamtkunstwerk, das seinesgleichen selbst an der berühmtesten Handelsroute der Welt sucht. Dazwischen einfache alte Gemäuer, in denen noch heute Kunsthandwerker ihrem Jahrhunderte alten Gewerk nachgehen. Es sind eben nicht nur die prächtigen Bauwerke mit ihren blau, grün und türkis schimmernden Keramikfassaden, sondern auch und gerade die Einwohner, die den Mythos Seidenstraße am Leben halten. Menschen wie der Schmied Nidal. Seine bescheidene Werkstatt steht jedem offen, der zuschauen mag, wie er mit primitivstem Werkzeug groben Stahl in Scharniere und Türknaufe und Messing in kunstvolle Schalen, Vasen und Teekannen verwandelt. Der eine oder andere Bahnreisende ersteht ein edles Souvenir in den historischen Gassen, in denen schon seit Menschengedenken Handel betrieben wird, und kann sich ziemlich sicher sein, dass die Schmuckstücke nicht im benachbarten China produziert wurden.
Essen und Trinken hält bekanntlich Leib und Seele zusammen. Besonders nach so einem tagesfüllenden Besichtigungsprogramm. Was Chefköchin Aleyna, zu Deutsch Geschenk Gottes, und ihre Kolleginnen in der kleinen Bordküche an regionalen Gerichten zaubern, ist wirklich bemerkenswert: Schaschlik-Spieße mit mariniertem Fleisch, Manti, die mit Fleischknödeln gefüllten Teigtaschen, Mashkhurda, eine herzhafte Rindfleischsuppe und natürlich Plow, das von der Unesco zum immateriellen Kulturerbe erklärt wurde.
Mausoleum für den Nationalhelden
„Unser Nationalgericht aus Fleisch, Reis, Gemüse und Gewürzen unterscheidet sich je nach Region“, weiß Aleyna zu berichten. „200 Plow-Varianten und noch viel mehr Familienrezepte soll es allein in Usbekistan geben. Da die usbekische Küche traditionell recht fleischlastig ist, runden wir unser Angebot mit knackfrischen Salaten und leckeren vegetarischen Gerichten ab.“ Das gemütliche Bordrestaurant ist ohnehin der ideale Ort, um andere Mitreisende kennenzulernen und sich auszutauschen, ja vielleicht sogar Freundschaften zu schließen. Die Atmosphäre ist leger, eine starre Sitzordnung gibt es nicht. Nach Stationen in Buchara, der Edlen, dem einstigen Zentrum des Islam in Zentralasien sowie der altehrwürdigen Provinzstadt Shahrisabz, Heimat des tyrannischen Feldherren und Kunst- und Literaturförderers Timur Leng, rollt der Sonderzug im Bahnhof von Samarkand ein. Schönheit liegt bekanntlich im Auge des Betrachters. Aber der Unterschied zwischen der postsowjetischen Bauweise und der alten orientalischen Architektur von überwältigender Pracht könnte kaum größer sein.
Samarkand gilt als der programmatische Höhepunkt einer jeden Usbekistan-Rundreise. Zurecht. Gehört sie doch zu den ältesten Kulturstätten der Welt, war Zentrum der islamischen Künste und Wissenschaften und galt einst als schönste Stadt der Welt. Würde das historische Zentrum, dieses Kaleidoskop aus 1.000 Jahren zentralasiatischer Baukunst, heute eine eigenständige Stadt sein, wäre sie wohlmöglich noch immer die schönste Stadt der Welt.
Timur Leng, der scharfsinnige Eroberer, verantwortlich für unzählige Tote auf seinen Feldzügen, gefürchteter Herrscher vom Mittelmeer bis zum indischen Ganges, machte Samarkand im 14. Jahrhundert zur Hauptstadt seines Riesenreiches. Die Gebeine des usbekischen Nationalhelden liegen noch heute im beeindruckenden Gur-Emir-Mausoleum. Das Bauwerk war eine visionäre architektonische Glanzleistung seiner Zeit, die später sogar indischen Mogulen als Inspirationsquelle für das Taj Mahal dienen sollte.
Samarkands Wahrzeichen ist jedoch der Registan, der imposanteste Platz Zentralasiens. Drei gewaltige Medressen bilden ein ikonographisches Gesamtkunstwerk vollendeter Ästhetik im Zentrum der Stadt.
Wenn die untergehende Sonne den Himmel rot färbt, flanieren allabendlich Menschen von nah und fern über diesen magischen Platz. Dann scheint der Zauber aus Tausendundeiner Nacht zum Greifen nah, und dies seit 500 Jahren nun schon. Zu Timurs Lebzeiten war Registan jedoch noch genau das, was die Übersetzung aus dem Persischen bedeutet: ein Sandplatz. Aber was für einer! Ein Kreuzungspunkt von sechs Handelsstraßen, der Reichtum, Wissen und Macht versprach. Denn die Karawanen brachten nicht nur Seide aus China, Gewürze aus Indien oder Leder aus Europa, sondern auch Kunde aus fernen Ländern jenseits des Horizonts. Ein antiker Schnittpunkt der Weltkulturen.
Der Orient Silk Road Express rollt durch eine fantastisch sternenklare Nacht dem Ziel Taschkent entgegen, der Hauptstadt Usbekistans mit ihrem Eisenbahnmuseum. Denn selbst die schönste Bahnreise neigt sich irgendwann dem Ende zu. Ein letztes Mal duftet es aus der Bordküche verführerisch nach scharf angebratenem Knoblauch in Sesamöl.
Ein bisschen Wehmut ist schon zu spüren bei dem ein oder anderen Gast. Chefköchin Aleyna kennt aber das passende Rezept dazu. Sie hat das beste Plow der Welt gekocht.