Der italienische Zweitligist FC Südtirol ist ein ganz und gar ungewöhnlicher Verein. In nahezu jeder Hinsicht. Er ist eine „Symbiose der Mentalitäten“.
In diesem Verein ist so ziemlich alles anders. Das sagt zwar so mancher über seinen Club, doch beim FC Südtirol stimmt es tatsächlich. Denn beim Verein aus der autonomen und nördlichsten Provinz Italiens wird Deutsch gesprochen. Beziehungsweise es sind drei Sprachen: Deutsch, Italienisch und Ladinisch. Oder wie es der „kicker“ in einer Reportage schrieb: „Beim FC Südtirol wird auf Deutsch fleißig gelobt und auf Italienisch derb geflucht.“ Das Magazin „11Freunde“ berichtete nach einem Vor-Ort-Besuch derweil umgekehrt von „deutschen Flüchen und italienischem Jubel“. Hannes Fischnaller, ehemaliger Jugendspieler, dann Club-Praktikant und mit 35 Jahren inzwischen Manager des Vereins, drückte es so aus: „Der Italiener ist heißblütig und verspricht dir alles – aber die Mail, die du bekommen solltest, erhältst du nicht. Der Deutsche ist linear, und auf die Mail bekommst du prompt eine Antwort. Deutsch organisiert und italienisch herzlich“ sei sein Verein am Ende. Geschäftsführer Dietmar Pfeifer formulierte es so: „Italienisches Flair gepaart mit seriöser, deutscher Qualität. Alpin-mediterran.“ Alle meinen irgendwie dasselbe, aber es gibt viele Varianten, es zu beschreiben. In jedem Fall, so Pfeifer, lebe das Ganze von der „Symbiose von Mentalitäten“.
Deutsch ist allerdings für 75 Prozent der Südtiroler die Kernsprache, deshalb trägt der Club auch diesen Namen. „Der FC Südtirol ist damals so getauft und beim Verband eingeschrieben worden. Ich heiße schließlich auch Dietmar bei der deutschen und italienischen Bevölkerung“, sagte Geschäftsführer Pfeifer dem „kicker“: „Die Medien schreiben ebenfalls FC Südtirol, obschon es den Umlaut im Italienischen nicht gibt. Wir lassen uns auf politische Instrumentalisierung nicht ein.“ 2016 wurde die italienische Bezeichnung „Alto Adige“ aus dem Wappen gestrichen. Bozen ist dort aber weiter zweisprachig als „Bozen“ und „Bolzano“ verewigt. Auch die Stadionansagen sind zweisprachig. Und ein Südtiroler, der bevorzugt Italienisch spricht, tut das eben auch beim FC Südtirol. „Es gab Fälle, da beschwerten sich Leute, dass Interviews auf unserer Homepage auf Italienisch geführt wurden“, berichtete Pfeifer: „Der Trainer sprach Italienisch, also gab es das Interview auf Italienisch, das ist doch klar.“ Doch die Sprache ist längst nicht das Einzige, was den FC Südtirol einzigartig macht. „Die enge Verbindung zum Territorium ist ebenfalls etwas ganz Besonderes“, sagte Pfeifer: „Wir heißen FC Südtirol – normalerweise ist ein Club an eine Stadt, wir sind an eine Region gebunden. Wir tragen den Namen Südtirol in die Welt hinaus.“
Bozen ist zwar das Zentrum Südtirols und des Vereins, auch das 5.500 Zuschauer fassende Drusus-Stadion steht dort. Aber es ist eben nicht der FC Bozen – den es übrigens auch gab und der inzwischen Virtus Bozen heißt – und das Trainingszentrum liegt wenige Kilometer von Bozen entfernt in Eppan. Dort hatte übrigens die deutsche Fußball-Nationalmannschaft 2014 ihr Trainingslager vor der WM in Brasilien aufgeschlagen. Man könnte auch sagen: In Eppan formten Bundestrainer Joachim Löw und sein Assistent Hansi Flick die späteren Weltmeister.
Der FC Südtirol hat in der Region durchaus Identität gestiftet. Gleich 85 kleinere Vereine arbeiten mit dem nun größten Club zusammen. Das Konkurrenzdenken ist im Gegensatz zum grundsätzlichen Disput zwischen den Anderssprachigen erstaunlich wenig ausgeprägt. Man organisiere auch Trainerfortbildungen und biete Talenten ein Sprungbrett, sagte Pfeifer: „Falls sie es schaffen, erhalten die Vereine einen finanziellen Ausgleich, falls nicht, kommt ein gut ausgebildeter Spieler kostenfrei wieder zurück.“
Willst du Romantik oder Erfolg?
Was ebenfalls anders ist beim FC Südtirol – und sicher mit den beiden vorherigen Merkmalen zusammenhängt – ist die Tatsache, dass der Club insgesamt 32 Gesellschaftern gehört. Über 90 Prozent von ihnen verteilen sich über ganz Südtirol, die restlichen haben laut Pfeifer „immerhin einen Bezug zur Region. In Italien, wie auch in anderen Standorten, drängen ja immer mehr Investment-Firmen oder Fonds in den Fußball – das ist nicht unsere Philosophie, wir möchten den Regionsbezug nicht aufgeben.“ Den Wunsch vieler, nur mit Spielern aus Südtirol aufzulaufen, kann man als Zweitligist aber nicht mehr erfüllen. „Die Frage ist, willst du Romantik oder Erfolg“, sagte der Technische Direktor Hannes Fink: „Mit 15 Südtirolern spielen wir in der Vierten Liga vor weniger Zuschauern, das ist die Realität. Am Ende mag eben jeder Sport auf höherem Niveau sehen.“ Und natürlich gilt auch hier bei aller Romantik der Leistungsgedanke. Nach dem Aufstieg in die Zweite Liga hatte der Club eigens einen neuen Trainer verpflichtet. Um ihn nach dem Pokal-Aus und einigen enttäuschenden Testspielen schon vor dem Saisonstart wieder zu entlassen.
1995 entstand in den Alpen der Plan, irgendwann Profi-Fußball zu spielen. Offiziell wurde der Club da erst gegründet, man übernahm die Fußball-Abteilung des Siebtligisten SV Milland aus Brixen. Das Projekt war vom ersten Tag an ambitioniert. In den ersten beiden Jahren stieg der FC Südtirol zweimal auf, kassierte dabei insgesamt nur eine Niederlage und war schon fünftklassig. 1999 folgte der Aufstieg in die Vierte Liga, und der FCS war der nördlichste Proficlub Italiens. Es ist zudem der einzige zwischen Innsbruck in Österreich und Trient, immerhin einer Strecke von zweieinhalb Autostunden. Doch damals war es fast zu schnell gegangen, der Club hatte der Entwicklung nicht standgehalten, die Loyalität der anderen war noch nicht ausgeprägt. Der Verein musste Trainingsplätze anmieten und traf dabei auf Widerstände. „Am Montag wusstest du oft nicht, wo am Dienstag trainiert wurde. Wir waren sportlich ein Niemand“, sagte Club-Manager Fischnaller.
Danach ging es langsamer nach oben, aber doch stetig. Nach zehn Jahren Viertklassigkeit stieg der FC Südtirol 2010 in die Dritte Liga auf, nach zwölf weiteren Jahren dort 2022 in die zweite. In dieser Serie B spielt der FCS noch heute. Letztes Jahr klopfte er sogar ans Tor zur Ersten Liga. Die Region stand kopf, Medienteams aus aller Welt rückten an. In dieser Saison ist der Club plötzlich Letzter. Was als 18. in der Etat-Tabelle der 20 Vereine auch nicht unrealistisch ist. „Im Moment wäre es vermessen, von der Serie A zu sprechen“, stellte Pfeifer klar: „Deshalb ist es den Leuten schwierig zu vermitteln: Die laufende Saison ist die Normalität, nicht die letzte.“
Zuschauerschnitt steigt langsam an
Südtirol war auch nie eine klassische Fußball-Region. Hier, in den Bergen, fuhren die Kinder von klein auf vor allem Ski oder spielten Eishockey. Dennoch habe es in jedem Dorf einen Fußballverein gegeben mit exzellenten Strukturen, wie Pfeifer berichtete: „Was fehlte, war ein Proficlub in der Mitte, ein Magnet.“ Wer großen Fußball sehen will, fährt weiter nach München oder Mailand. Im Bozener Stadion schauen durchschnittlich 4.000 Besucher zu. Doch der Schnitt ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich nach oben gegangen. „Wenn ich in den letzten zwei Jahren die Kids in den Sommercamps nach dem Lieblingsverein frage, sagen viele FC Südtirol“, versicherte der Geschäftsführer: „Vor gewisser Zeit hieß es Bayern oder Juve – wir kamen an zweiter Stelle. Diese Tendenz verschiebt sich allmählich.“ Man brauche aber Zeit und Geduld, sagte er zu „11Freunde“: „Wir sind ein junger Club.“ Und Pfeifer ist der Baumeister. Obwohl er mit Fußball nach eigener Aussage zuvor „nichts am Hut“ hatte. Er ist gelernter Versicherungs- und Anlageberater und arbeitete im Tennis-Management. Dort hatte er sich in den Augen eines Miteigentümers empfohlen. Dieser fragte ihn an, und Pfeifer sagte zu. „Ich wollte die Fußballwelt nur ein Jahr lang kennenlernen“, erklärte er: „Daraus sind nun lange 18 geworden.“
Auch, weil er in den entscheidenden Momenten vielleicht nicht fußballerisch-emotional entscheidet, sondern wirtschaftlich-rational. „Wir sind und werden schuldenfrei bleiben“, verspricht er immer wieder. Und stellte beim „kicker“-Besuch klar, dass sich trotz der dahingehend immer mehr verändernden Fußball-Kultur in Italien Investoren jeden Kontaktversuch sparen können: „Dieser Club steht nicht zum Verkauf“, sagte er. Obwohl immer wieder Fonds anfragten, um die Mehrheit zu übernehmen.
Sollte irgendwann doch der Aufstieg in die Serie A gelingen, „ziehen wir es voll durch“, versprach Pfeifer. Aber auf eigene Art und Weise. Das oberste Prinzip sei dann: „Du darfst einfach keine Schulden anhäufen. Im schlimmsten Fall steigst du ab, besitzt aber etwas, das dir erhalten bleibt.“
Diese Denke ist, wenn sie so gnadenlos verinnerlicht wird, im heutigen Profi-Fußball sehr ungewöhnlich. Wie der ganze FC Südtirol.