Seit mehr als 30 Jahren analysieren vor allem ehemalige Fußball-Stars Spiele im Fernsehen. FORUM schaut ein wenig auf die Geschichte und beleuchtet die heutigen Experten.
Der wohl erste war Günter Netzer. Aber noch nicht an der Seite seines kongenialen Freundes Gerhard Delling, mit dem er sich auf dem Sender bei der ARD bis zum Schluss siezte. Sondern 1988 als RTL-Experte in der Sendung „Anpfiff“. Die ARD und ZDF setzten in der Folge vor allem auf Co-Kommentatoren. So schrie Karl-Heinz Rummenigge 1990 gemeinsam mit Gerd Rubenbauer ein lautes „Jaaaa“ ins Mikrofon, als Andreas Brehme den Elfmeter zum 1:0 im Finale gegen Argentinien verwandelte und Deutschland zum Weltmeister machte. Auch Otto Rehhagel und Karl-Heinz Feldkamp saßen beim ZDF oft an der Seite von Moderator Dieter Kürten.
Länger noch als Netzer, der von 1998 bis 2010 vor allem Länderspiele für die ARD analysierte, arbeitete Franz Beckenbauer als Experte. Kurz nach dem Ausstieg als DFB-Teamchef begann er 1991 noch beim Vorgänger-Sender Premiere, erst 2016 hörte er bei Sky endgültig auf. Des „Kaisers“ Urteil war in all den Jahren immer geschätzt und gefürchtet.
Selbst Rehhagel saß am Mikro
Maßstäbe als Experte setzte Jürgen Klopp, der bei den Weltmeisterschaften 2006 und 2010 sowie der EM 2008 noch vor seinem ganz großen Durchbruch als Dortmunder Meister-Trainer mit Witz und Charme an der Seite von Ex-Schiedsrichter Urs Meier im ZDF selbst Laien Fußball verständlich und zugänglich machte. Ansonsten probierten die beiden öffentlich-rechtlichen Sender verschiedene Ex-Nationalspieler aus. Oliver Kahn, Mehmet Scholl und seit einigen Jahren Bastian Schweinsteiger analysierten vor allem Länderspiele. Aber auch Stefan Effenberg, Thomas Hitzlsperger, Stefan Kuntz, Sebastian Kehl, Simon Rolfes oder zuletzt Christoph Kramer oder Per Mertesacker analysierten Spiele und Turniere. Manche wanderten gar durch die Sender. Effenberg begann bei Sky, arbeitete später für die ARD und ist inzwischen bei Sport1 gelandet. Rekordnationalspieler Lothar Matthäus war schon bei der ARD und im ZDF zu sehen, seit Jahren arbeitet er für Sky und im Europacup aktuell auch für RTL.
Mit der zunehmenden Zahl an Sendern und auch an Sendezeit und Wettbewerben stieg auch die Anzahl der Experten. Mehr als 30 sind derzeit tätig – diejenigen, die bei Sky oder DAZN mehr oder weniger regelmäßig in anderen Formaten als Live-Übertragungen Spiele analysieren und die Schiedsrichter-Experten, gar nicht mitgerechnet: Schweinsteiger, Thomas Broich (ARD), Matthäus (Sky und RTL), Mertesacker, Kramer (ZDF), Dietmar Hamann, Erik Meijer, Julia Simic, Thorsten Mattuschka, Sören Gonther (alle Sky), Matthias Sammer, Mario Gomez, Benedikt Höwedes, Kim Kulig, Patrick Owomoyela, Josephine Henning, Tabea Kemme (alle Amazon), Kuntz (Sat.1), Steffen Freund, Ansgar Brinkmann, Patrick Helmes (alle RTL), Michael Ballack, Sami Khedira, Ralf Rangnick, Jonas Hummels, Ralph Gunesch, Benjamin Lauth, Sebastian Kneissl, Sascha Bigalke (alle DAZN), Effenberg, Peter Neururer, Mario Basler und Olaf Thon (alle Sport1). Ein breites und illustres Feld.
Aufmarsch der untoten Alten
Kurios übrigens: Der frühere Lauterer Meister-Trainer Feldkamp beendete seine Laufbahn als ZDF-Experte 1999, weil er das Ganze als Auslauf-Modell betrachtete. „Ich spreche nicht länger das Wort zum Sonntag“, sagte der 64-Jährige, der stattdessen bei Besiktas Istanbul noch mal ein Trainer-Amt antrat. „Am Schluss hat es mir keinen Spaß mehr gemacht. Die Rolle war überholt, die Sendungen wurden mit Werbung zugeknallt: Mir blieben vielleicht zweieinhalb Minuten Redezeit. Da kam nur Gestammel rüber, keine richtigen Analysen.“ Zumindest Letzteres hat sich aber auch entscheidend geändert. Denn inzwischen wird manchen eher zu viel und breit analysiert als zu wenig.
Gestritten wird seit jeher um die Substanz der Experten. Als 2002 Toni Schumacher, Matthäus, Bernd Schuster oder Paul Breitner im Fernsehen analysierten, beklagte der Spiegel „Kleinkindgebrabbel statt Kompetenz“. Die „Süddeutsche Zeitung“ glossierte 2018 über den „Aufmarsch der untoten Alten“ und sah ein ganzes „Heer ehemaliger selbsternannter Rebellen, die in diesen Tagen durch die Fernsehstudios ziehen und sehr genau wissen, was dieser deutschen Elf fehlt: Spieler wie sie selbst. (…) Da, wo sie selbst früher das Pferd ohne Sattel ritten, rollern die Jungs heute auf dem Bobbycar daher.“
Immer wieder sorgten auch Kommentare der Experten für Ärger bei den Kritisierten. Während der EM 2012 spottete ARD-Experte Scholl über Nationalstürmer Gomez: „Ich hatte zwischendrin Angst, dass er sich wund gelegen hat, dass man ihn wenden muss.“ Gomez klagte daraufhin: „Er hat diesen Satz gesagt, und dann wurde nicht er, sondern ich überall darauf angesprochen. Natürlich kostet das Kraft. Ich kann nur sagen, dass ich solche Dinge nie über andere verbreiten würde.“ Scholl erklärte drei Jahre später: „Ich habe einem Spieler damit richtig geschadet. Das tut mir leid. Es ist Zeit, mich zu entschuldigen.“
Völlers Rage über Fjörtoft
2013 ärgerte sich der damalige Leverkusener Sportchef Rudi Völler über die Sky-Experten Jan-Age Fjörtoft, Markus Merk und Steffen Freund. „Mich haben die drei von der Muppet Show geärgert da bei Sky“, sagte Völler. „Warum hat Sky diesen Clown geholt“, fragte er in Richtung Fjörtoft, der heute ein angesehener Experte in seiner norwegischen Heimat, beim US-Sender ESPN sowie bei „ServusTV“ in Österreich ist: „Das ist alles so lächerlich geworden. Dieser Comedian macht auf Stefan Raab oder Oliver Pocher, kann es aber nicht.“ Gegen Ex-Schiedsrichter Merk schimpfte er: „Was der Merk da von sich gibt, ist unfassbar! Der denunziert einen Spieler und fällt seinem Ex-Kollegen in den Rücken.“ Merk reagierte ebenfalls ungehalten und erklärte: „Herr Völler ist ein verbaler Brandstifter. Seine Aussagen sind deplatziert. Das lasse ich mir in dieser Form auch nicht gefallen, auch wenn ich ihn eigentlich sehr schätze.“
Und auch das jüngste Verbal-Gefecht zwischen Bayern-Trainer Thomas Tuchel und den Sky-Experten Matthäus und Hamann dürfte man in ein paar Jahren als legendär bezeichnen. Ende Oktober wurde Tuchel auf einer Pressekonferenz erstmals auf Kritik Hamanns angesprochen und erklärte: „Didi läuft gerade bisschen aus dem Ruder, habe ich das Gefühl. Und ist auf der anderen Seite ganz sicher nicht wichtig genug, dass wir uns drum kümmern, reagieren oder uns ärgern lassen.“ Das mit dem Nicht-Ärgern-Lassen klappte aber nicht so gut. Eine Woche später, die Bayern waren im Pokal gerade in Saarbrücken ausgeschieden, wurde Tuchel mit dem Vorwurf der beiden konfrontiert, seit seinem Amtsantritt gebe es keine Weiterentwicklung. „Ich sehe bei den beiden auch keine Weiterentwicklung“, antwortete Tuchel spöttisch.
Tuchels Konter saß perfekt
Doch damit nicht genug. Schon vor dem Topspiel tags darauf bei Borussia Dortmund gab sich Tuchel im Sky-Interview betont schnippisch und gab nur kurz angebundene Antworten. „Ich will euch nicht stören, wenn die Experten über uns sprechen“, erklärte er. Und legte nach dem 4:0-Sieg richtig nach. „Trotz Zerwürfnis in der Mannschaft mit dem Trainer und trotz keiner Weiterentwicklung. Sehr überraschend alles. Wenn Lothar nicht weiß, woran das heute lag, dann weiß es vielleicht Didi“, sagte er zunächst. Matthäus, der danebenstand, erklärte, dass er als Experte mit der Bayern-Leistung an diesem Tag auch sehr zufrieden gewesen sei. Tuchels Antwort: „Dann ist ja Ostern und Weihnachten zusammen.“ Als Moderator Sebastian Hellmann am Ende des Interviews auf das Thema zurückkommen wollte, beendete der Bayern-Coach das Interview gar: „Ich möchte gar nicht in die Diskussion. Wenn ich durch bin, möchte ich gehen“, sagte er, zog sich die Ohrstecker raus und legte das Mikrofon auf den Tisch: „Wir haben 4:0 gewonnen, jetzt müsst ihr eine 180-Grad-Wende machen. Viel Spaß.“
Matthäus hatte den Spruch mit der Weiterentwicklung noch als „absolut coolen Konter“ bezeichnet, Hamann fand es „witzig und amüsant“. Die Ausbreitung des Themas empfanden beide dann als unangebracht, sie betonten aber, dass sie kein Problem mit Tuchel hätten. Fakt ist: Tuchels Reaktion ist im Kern verständlich. Er hätte als Trainer ähnlich reagiert und sich vor die Mannschaft gestellt, sagte sogar Hamann. Allerdings verhinderte die Diskussion, dass die Bayern für den Sieg in Dortmund ausgiebig gefeiert wurden, von daher hat Tuchel vielleicht den falschen Moment gewählt. Von der Vereinsführung bekam er aber volle Rückendeckung.
Für die Fernseh-Zuschauer sind Hamann und Matthäus dennoch ein großer Mehrwert. Weil beide den Finger in die Wunde legen und sich nicht vor Kritik und Thesen scheuen, auch wenn sie ihnen irgendwann um die Ohren fliegen. Dabei gehen die beiden ihre Aufgabe komplett unterschiedlich an. Hamann meidet bewusst jeden näheren Kontakt zu allen Protagonisten des Geschäfts, weil er unabhängig sein will. Matthäus ist dagegen bestens vernetzt und vor allem beim FC Bayern aus dem inneren Zirkel bestens informiert.
Beide bestätigen in letzter Konsequenz aber die vielleicht wichtigste Voraussetzung für Experten: Sie sind vor allem dann gut, wenn sie auf nichts Rücksicht nehmen müssen, weil sie nicht (mehr) auf einen Job in diesem Geschäft spekulieren. Während mancher Kollege immer sanft kritisiert, weil er niemandem auf die Füße treten und sich keine zukünftigen Jobchancen verbauen will, reden Hamann und Matthäus frei Schnauze. Hamann hatte schnell erkannt, dass das Trainer-Geschäft nichts für ihn ist. Matthäus hat sich nach einigen Stationen in verschiedenen Ländern eingestanden, dass seine Karriere als Coach vorbei ist. Die als Experte nahm aber dann erst richtig Fahrt auf.