Krisen wie derzeit erfordern gemeinsames Handeln – insbesondere zwischen Deutschland und Frankreich. Dies sagt François Villeroy de Galhau, Chef der französischen Zentralbank. Außerdem wirbt er für die „Akzeptanz der Unterschiede“.
Europa bräuchte mehr Dialog, mehr Kompromisse. Besonders in Zeiten der nicht enden wollenden Krisen, in denen der europäische Zusammenhalt ständig auf die Probe gestellt wird, sind europäische Vordenker vonnöten. François Villeroy de Galhau verkörpert so etwas. Der Gouverneur der Banque de France, vergleichbar mit dem deutschen Bundesbankpräsidenten, ist als „saarländischer“ Franzose bekennender Europäer und Verfechter einer Kapitalmarkt-Union in Europa. Er wirbt für einen neuen Umgang zwischen Deutschland und Frankreich.
In der französischen und deutschen Kultur zu Hause, weiß er, dass die beiden größten Volkswirtschaften in der EU an einem Strang ziehen müssen, damit Europa nicht vollends aus dem Gleichgewicht gerät. Die Unwucht der vielen ungelösten Krisen und das sich ändernde Machtgefüge in der Welt nagen gewaltig am Zusammenhalt der Europäer. Doch noch mehr Sorge bereitet dem gebürtigen Elsässer aus Straßburg mit saarländischen Wurzeln – seine Familie stammt aus dem saarländischen Wallerfangen an der Grenze zu Frankreich und ist verwandtschaftlich mit dem Unternehmen Villeroy und Boch verbunden – der ins Stottern geratene deutsch-französische Motor. Und das ausgerechnet im Jahr des 60. Geburtstags der deutsch-französischen Freundschaft, mit der die beiden Staatenlenker Charles de Gaulle und Konrad Adenauer 1963 einen Schlussstrich unter die scheinbar ewige Rivalität beider Länder zogen.
Sicherlich, Sand im Getriebe hat es in den letzten 60 Jahren immer gegeben zwischen Deutschland und Frankreich. „Aber die große Linie hat stets gestimmt“, sagt der heute 64-jährig studierte Ingenieurwissenschaftler der Ecole polytechnique in Paris und der Elite-Universität ENA. Nach zahlreichen Spitzenpositionen in der Finanzwelt von Paris bis Brüssel und Beraterfunktionen für hochrangige französische Politiker wurde Galhau 2015 zum Gouverneur der Banque de France berufen. 2021 ernannte ihn der französische Staatspräsident Emmanuel Macron für eine zweite sechsjährige Amtszeit.
„Die Grundlage für die erfolgreiche deutsch-französische Zusammenarbeit sind immer Dialog und Kompromissbereitschaft gewesen trotz der vorhandenen Unterschiede.“ Und er bemüht selbst Adenauer, der gesagt haben soll: „Wenn zwei Menschen immer die gleiche Meinung haben, dann taugen sie nichts.“ Verschiedene Ansichten, andere Ideen, unterschiedliche Maßnahmen – trotzdem haben die beiden Länder, wenn es darauf ankam, an einem Strang gezogen und die Marschroute in Europa maßgeblich mitbestimmt, die EU-Erweiterungen gemeistert, die gemeinsame Währung Euro auf den Weg gebracht, was dem Banker besonders am Herzen liegt, oder das Schengen-Abkommen umgesetzt. Selbst bei der Bekämpfung der Inflation sei man sich einig. „Wir werden die Inflation bis 2025 auf zwei Prozent begrenzen“, verspricht der Chef der französischen Zentralbank. Mit der Chefin der Europäischen Zentralbank Christine Lagarde und seinem deutschen Kollegen Joachim Nagel, Präsident der Deutschen Bundesbank, versteht er sich nach eigenen Aussagen blendend und sieht sich mit der Geldpolitik auf gutem Kurs, dieses Versprechen auch einzuhalten. „Obwohl Deutschland aktuell wirtschaftlich schwächelt und als einziges EU-Land ein Minus-Wachstum verzeichnet, ist das deutsche Wirtschaftsmodell in Ordnung“, blickt der Zentralbanker zuversichtlich nach vorne, die Schwächephase zu überwinden. Vor rund einem Jahr betrug die Inflation im Euro-Raum durchschnittlich 10,6 Prozent und ein Jahr später bereits 2,9 Prozent. „Die Zahlen sind besser geworden, aber das reicht noch nicht. Wir werden unser Zwei-Prozent-Ziel erreichen dank Dialog und Kompromissbereitschaft.“
„In grüne Kapitalmarkt-Union investieren“
Doch die beiden größten Herausforderungen hat Europa nach Ansicht François Villeroy de Galhaus noch vor sich: die ökologische und die digitale Wende.
Zunächst zur Ökologie: Die Differenzen, die zwischen Deutschen und Franzosen zutage treten, könnten bei der Energiepolitik beider Länder wohl kaum unterschiedlicher ausfallen, obwohl Dekarbonisierung, Energie-Unabhängigkeit und Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft die bestimmenden Faktoren beider Länder sind. Bei den Zielen herrscht Einigkeit, nur die Wahl der Mittel entzweit die beiden Nationen. „Wir sollten endlich aufhören, uns die Unterschiede in der Energiepolitik vorzuwerfen. Frankreich wird niemals aus der Kernenergie aussteigen, ganz gleich wer regiert, und Deutschland wird nicht den Pfad der regenerativen Energien verlassen. Wir müssen lernen, das gegenseitig zu akzeptieren. Wir sollten nicht bei jeder Gelegenheit immer wieder versuchen, einander zu überzeugen“, mahnt Villeroy de Galhau einen neuen Umgang miteinander an. Er empfiehlt ein besseres Kennenlernen, sprich eine Art Wiederentdeckung einstiger Tugenden, die Deutschland und Frankreich gleichermaßen stark gemacht haben. Seiner Meinung nach führt an der Akzeptanz der Unterschiede kein Weg vorbei. „Europa braucht sowohl die Kernenergie Frankreichs als auch die regenerativen Energien Deutschlands, um die ökologische Wende in Europa erfolgreich zu gestalten.“
Die ökologische Wende zu schaffen ist das eine, die digitale Wende das andere. „Beides ist entscheidend für die Souveränität Europas“, ist sich Villeroy de Galhau sicher. Um den weiteren Abfluss von Kapital in die USA oder nach Asien zu reduzieren, gilt er als Verfechter der Kapitalmarkt-Union (KMU) in Europa. Die Amerikaner hätten das schließlich mit ihrem Inflation Reduction Act 2022 vorgemacht, wie Kapital von Unternehmen im Land gehalten würde.
„Zwei bis drei Prozent Investitionen des Brutto-Sozialprodukts allen voran in Frankreich und Deutschland werden reichen, um finanzielle Ressourcen in eine grüne Kapitalmarkt-Union zu investieren. Mit einer leistungsfähigen Kapitalmarkt-Union könnte die Fragmentierung der europäischen Kapitalmärkte abgebaut werden, denn die Märkte für sich alleine genommen sind einfach zu klein.“ Das Geld sollte von privaten Investoren stammen, und der Banker und überzeugte Europäer ist sich sicher: „Wir haben das Geld in Europa, um es at home zu investieren.“ Die Attraktivität des Kapitalmarktzugangs für Unternehmen, die bessere Finanzierung von Start-up-Unternehmen sowie transparente Infos für Privatanleger gehören zu den Aufgaben der Finanzminister, die Kapitalmarkt-Union anzuschieben. Die Thematik gehört regelmäßig auf die Tagesordnung, wenn sich der deutsche Finanzminister Christian Lindner und sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire treffen. Deutschland und Frankreich komme dabei eine Schlüsselrolle zu, den Weg im 21. Jahrhundert in eine soziale und nachhaltige Marktwirtschaft zu ebnen. Es ist die Hoffnung eines echten Europäers – zu 100 Prozent saarländisch, 100 Prozent französisch und 100 Prozent europäisch.