Die schwarz-rote Koalition ist „keine Traumhochzeit“, sagt Anke Rehlinger, stellvertretende SPD-Vorsitzende, saarländische Ministerpräsidentin und Bundesratspräsidentin. Aus ihrer Sicht ist der Koalitionsvertrag aber eine „solide Grundlage“.

Frau Rehlinger, die Wahl des Kanzlers und der Start der neuen Bundesregierung waren nun doch eine deutlich schwerere Geburt, als es ohnehin schon absehbar war. Wie groß ist die Belastung schon gleich zu Beginn?
Dieser Stolperer zu Beginn war vor allem deshalb enttäuschend, weil es schon ein gerüttelt Maß an Egoismus braucht, um einen solchen Schaden anzurichten. Immerhin konnte der Schaden für Deutschland mit einem schnellen und erfolgreichen zweiten Wahlgang begrenzt werden. Eine Dauerbelastung ist das nicht, aber glänzender Start sieht anders aus.
Der Weg zur Koalition war ohnehin mit etlichen Hürden gepflastert. Sind die inhaltlich einigermaßen überwunden?
Diese Koalition ist sicher keine Traumhochzeit, es ist eine Partnerschaft aus Verantwortung angesichts der großen Herausforderungen. Der Koalitionsvertrag gibt gemeinsame und durchaus kraftvolle Antworten auf die großen Herausforderungen unseres Landes wie die Wirtschaftskrise. Jetzt kommt es drauf an, dass daraus auch kraftvolle Taten werden.
Aus Sicht der SPD ist viel Sozialdemokratisches im Koalitionsvertrag, trotzdem hat es in der Partei intensive Diskussionen gegeben. Also ein Spagat in der Koalition?
Am Ende muss das für unser Land das Richtige sein. Aber ja, aus sozialdemokratischer Sicht kann man vieles begrüßen: Die Sicherung des Rentenniveaus oder die Erhöhung des Mindestlohns, das Tariftreuegesetz, und vor allem ist es ein ganz großer Erfolg der Sozialdemokratie, dass schon in den Sondierungen das große Infrastrukturpaket mit nie dagewesenen Investitionen in Kitas, Schulen, Krankenhäuser, Schienen und Straßen auf den Weg gebracht werden und gleichzeitig die notwendigen Ausgaben für Verteidigung und Rüstung gesichert werden konnten, ohne bei Rente oder so einsparen zu müssen. Es hat also viele gute Gründe gegeben, diesem Koalitionsvertrag zuzustimmen. Das ist ja auch geschehen, mit größerer Zustimmung, als ich dachte, wenn auch sicher nicht mit Begeisterung. Zugegebenermaßen gibt es Passagen, die auch mir nicht so recht gefallen. So ist das nun mal, wenn man Kompromisse zu schließen hat. Alles in allem ist das eine solide Grundlage, um Deutschland nach vorne zu bringen, um wirtschaftliches Wachstum auszulösen und dafür zu sorgen, dass von diesem Wachstum nicht nur einige wenige, sondern alle profitieren können. Mir macht das Mut. Das wird auch die Aufgabe für die gesamte Legislaturperiode sein: Auch die Bürgerinnen und Bürger zu überzeugen, dass man das Richtige tut, auch wenn es manchmal kompliziert und anstrengend wird.
Auf Seiten der SPD sehen wir einige neue Gesichter im Kabinett. Ist das auch eine Reaktion auf das Wahlergebnis?
Da hat die SPD umgesetzt, was sie direkt nach der Wahl angekündigt hat. Wir müssen uns neu aufstellen. Es ist eine Mischung aus bewährten Kräften und aus neuen, aber schon erfahrenen Kräften. Ein Generationswechsel ist sichtbar geworden, und unabhängig vom Alter finde ich: Das ist ein frisches und starkes Team, mit dem die SPD zeigt, dass sie sich mit voller Kraft den Herausforderungen in der Bundesregierung stellen möchte.
Die Erwartungshaltungen im Vorfeld waren zwiespältig: Auf der einen Seite eine große Erwartung bei den europäischen Nachbarn, auf der anderen Seite zeigen die nationalen Umfragen, dass das Zutrauen insbesondere gegenüber dem Kanzler nicht sonderlich groß ist. Was folgt daraus für die Koalition?
Die Arbeit geht jetzt erst los. Ein Koalitionsvertrag ist zwar eine Grundlage, aber das alleine kann noch nicht überzeugen. Es ist jetzt an Friedrich Merz, großen Ankündigungen auch große Taten folgen zu lassen. Es gilt, verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Das bekommt man nicht allein durch Worte, sondern durchs Machen hin. Wir leben geopolitisch in bewegten Zeiten, in denen es in vielen Fragen klare europäische Antworten geben muss. Deutschland ist dabei im Besonderen gefragt, nicht alleine, aber als Impulsgeber zusammen mit anderen Partnern, in der deutsch-französischen Achse, dem Weimarer Dreieck, aber auch in anderen Formaten für eine klare Haltung in Europa zu sorgen. Und da verfügt, wenn es etwa um Verteidigungs- und Rüstungsfragen geht, Friederich Merz über ein Pfund, das Olaf Scholz niemals hatte, um Dinge auf den Weg zu bringen, nämlich über viel mehr finanziellen Spielraum durch die Investitionspakete. Deshalb kann er viel leichter vorneweg gehen. Das sehen auch die europäischen Nachbarn, und daran sind eben auch große Erwartungen geknüpft.
Sie haben als Bundesratspräsidentin den Weg mit Ihren Besuchen im „Weimarer Dreieck“ ja bereits vorgemacht. Welche Rolle kann die Bundesratspräsidentin in diesem Zusammenhang einnehmen?
Dass der Bundeskanzler als erstes nach Paris und direkt nach Warschau gereist ist, war ein absolut richtiges Signal. Dass man Polen noch während der Reise mit nicht ordentlich abgestimmten Grenzmaßnahmen verärgert, aber keineswegs. Das ist vor allem vor der polnischen Präsidentschaftswahl sehr unglücklich. Es ist gut, wenn wir das Weimarer Dreieck auf allen Ebenen, Bundesrat, Bundestag, aber eben auch Bundesregierung, viel stärker nutzen als in der Vergangenheit. Ich selbst bin demnächst noch einmal in Warschau zu einem Treffen auf Präsidentenebene und ich habe als Bundesratspräsidentin zu einem trilateralen Treffen aller Freundschaftsgruppen eingeladen, zum Austausch und zum Finden gemeinsamer Positionen.

Welche Rolle wird der Bundesrat gegenüber der neuen Regierung einnehmen?
Der Bundesrat ist im Laufe der Zeit immer bunter geworden, war aber trotzdem immer in der Lage, gute, aus Sicht der Länder zielführende Kompromisse zu finden. Natürlich haben wir unterschiedliche Politikansätze, aber im Bundesrat kommen die besten Lösungen zustande, wenn Parteipolitisches beiseitegelegt und nur nach den Interessen der Länder geschaut wird. Da sind wir alle nicht sehr unterschiedlich. Und auch gegenüber dem Bund muss man sagen, dass Deutschland nur wirklich vorankommt, wenn Bund und Länder an einem Strang ziehen. Und wir alle brauchen den Erfolg der neuen Bundesregierung.
Wie zufrieden sind denn die Länder mit dem, was im Koalitionsvertrag vereinbart worden ist?
Im Großen und Ganzen geht das in die richtige Richtung: Das Infrastrukturpaket mit den 100 Milliarden, die die Länder bekommen, mit der Grundgesetzänderung, die den Ländern analog dem Bund eine Verschuldungsmöglichkeit einräumt, das sind Dinge, die uns helfen. Auf der anderen Seite gibt es den einen oder anderen steuerlichen Impuls, den man abstrakt zwar für richtig hält, der aber auf Länderseite zu weniger Einnahmen führt, was unsere Haushalte vor neue Probleme stellt. Gleichzeitig hoffen wir natürlich, dass der Wachstumsimpuls so gut ist, dass wir das verschmerzen können. Dazu sind gerade im Bildungsbereich gute Vereinbarungen getroffen worden, das Startchancen-Programm oder der Digitalpakt. Und insbesondere aus saarländischer Sicht ist es zwar gut, dass es auf den letzten Metern gelungen ist, das Thema Altschulden zu platzieren. Aber das, worauf man sich last minute verständigt hat, ist sicher noch nicht die vollständige Lösung des Problems. Bei dem Thema werden wir nicht lockerlassen.
Aus Sicht der notleidenden Kommunen heißt das: Es gibt zwar was, aber das reicht bei Lichte betrachtet bei Weitem nicht aus?
Was dort steht, ist sicherlich noch nicht der Weisheit letzter Schluss, aber es steht dort auch, dass man sich damit befassen wird und all seine Weisheit einbringen möchte, um zu einem guten Schluss zu kommen.
Mit der Vorlage des Gutachtens, das die AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ einstuft, gibt es wieder eine intensive Diskussion über den angemessenen Umgang auch mit den Wählerinnen und Wählern der Partei. Was hilft da der oft wiederholte Vorschlag, die mit „guter Regierungspolitik“ zurückzugewinnen?
Es geht schon darum, mit guter Politik zu überzeugen. Das ist das Grundprinzip unserer liberalen Demokratie. Davor sollte man auch nicht zurückschrecken, nur weil es in der konkreten Ausgestaltung gelegentlich nicht so gelungen ist, wie man es sich gewünscht hätte. Es bleibt natürlich Aufgabe aller in der Politik, mit guter Arbeit zu überzeugen. Grundsätzlich gesagt: Wir dürfen Dinge nicht deshalb tun oder sagen – oder nicht tun und nicht sagen –, nur weil sich auch die AfD in irgendeiner Form damit befasst. Sondern wir müssen Dinge deshalb tun, weil es notwendig ist – oder nicht tun, wenn es nicht notwendig ist. Wir müssen uns um Dinge kümmern, wenn es für Menschen ein Problem ist, wenn es sie beschäftigt, ihnen Sorgen bereitet und wenn sie erwarten, dass Politik ihnen dazu eine Lösung anbietet. Ich finde, wir sollten noch mal einen deutlich souveräneren Begriff von dem entwickeln, was wir tun und machen, und unsere Demokratie mit Selbstbewusstsein ausfüllen. Dann wirkt unsere Demokratie auch nicht schwach und angreifbar.
Wie sehen Sie die Diskussion um ein mögliches Verbot?
Wir müssen feststellen, dass sich die Hinweise verdichten, dass die AfD bundesweit rechtsextremistisch ist. Sie ist keine demokratische Partei, auch wenn man sie demokratisch wählen kann. Das Gutachten des Verfassungsschutzes muss man jetzt genau anschauen. Erst dann kann man einschätzen, ob ein Verfahren Sinn macht. Das sollte man mit kühlem Verstand tun. Ich muss schon sagen, dass es mir ein Graus ist, dass eine Partei, die unsere Demokratie abschaffen will und Menschen ausgrenzt und diffamiert, das auch noch dank Steuergeldern machen darf. Wenn es einigermaßen sichere Erfolgsaussichten gibt, sollte man die Schritte einleiten. Aber ich sage auch: Ein Verbot allein wäre nicht die Lösung. Es braucht politische Antworten.
Wie soll eine oft geforderte inhaltliche Auseinandersetzung mit einer Partei erfolgen, wenn Teile davon einer sachlichen Diskussion nicht mehr zugänglich sind?
Es bringt nichts, sich mit rechtsextremistischen Funktionären auseinanderzusetzen, die einen Plan zur Abschaffung unserer Freiheit und unserer Demokratie verfolgen. Aber ich werde niemals aufhören, mit Bürgerinnen und Bürgern zu diskutieren, auch wenn die vielleicht mal die AfD gewählt haben. Ich rate, dass wir uns vor allem mit den Bürgerinnen und Bürgern auseinandersetzen, mit deren Lebenswelten und Themen, und das nicht mit moralischem Rigorismus, sondern mit guter Politik, die sich an Alltagssorgen und -nöten orientiert. Die Einstufung des Verfassungsschutzes mag auch dazu beitragen, dass die Erkenntnis wächst, dass solche Wahlentscheidungen Folgen für unser Land und das eigene Leben bedeuten können, und es eben mehr ist als eine Proteststimme.

Was bringt der Koalitionsvertrag aus Sicht der Ministerpräsidentin für das Saarland?
Ich habe die Verhandlungen immer auch mit einer saarländischen Brille geführt. Wir können im Saarland vieles selbst regeln und tragen auch die Verantwortung, aus jeder sich bietenden Chance etwas zu machen, vor allem, wenn es um Arbeitsplätze geht. Aber zur Wahrheit gehört auch: Solange Deutschland in einer tiefen Wirtschaftskrise steckt, werden wir als Industrieland das im Saarland alleine nicht stemmen können. Wir brauchen neues Wirtschaftswachstum und dafür ist entscheidend, dass die Punkte, die die Wirtschaft in der Vergangenheit von der Politik eingefordert hat, nämlich für international wettbewerbsfähige Strompreise zu sorgen, Leitmärkte für emissionsarme beziehungsweise emissionsfreie Grundstoffe, bei uns das Thema Stahl, auf den Weg zu bringen und Bürokratie abzubauen. All das habe ich bei den Sondierungen vereinbaren können. Es geht um einen Mega-Impuls für die Infrastruktur, es muss auch um einen Mega-Impuls gehen für die Wirtschaft und für soziale Gerechtigkeit. Umgekehrt ist dann aber auch die Wirtschaft gefordert, mit uns zusammen etwas für den Standort Deutschland und für uns im Saarland zu tun und nicht jetzt trotz verbesserter Rahmenbedingungen das Glück an anderen Standorten in der Welt zu suchen.
Das Saarland war schon mal mit drei Ministern am Kabinettstisch vertreten, ist jetzt aber nicht mehr dabei. Ein Wermutstropfen?
Das war sicherlich eine Sondersituation mit drei Ministern am Kabinettstisch. Aber auch dadurch wurden ja nicht alle Probleme des Landes gelöst. Gleichwohl muss man sagen: Aus saarländischer Sicht sind wir mit Josephine Ortleb als Vizepräsidentin des Bundestags mit einer jungen, aber schon sehr erfolgreichen Abgeordneten vertreten, und mit Esra Limbacher, einem noch jüngeren Abgeordneten, der als stellvertretender Fraktionsvorsitzender für wesentliche Infrastrukturbereiche zuständig ist, wo auch sehr viel Geld dahintersteht und wichtige Entwicklungen angelegt sind, nochmal sehr prominent vertreten, wenn es darum geht, Politik für Deutschland und damit auch fürs Saarland zu machen. Und ich selbst kann in Berlin, wie die Verhandlungen doch durchaus gezeigt haben, auch einiges regeln.