Um Influencer kommt niemand mehr herum, der regelmäßig in sozialen Netzwerken unterwegs ist. Das ist per se auch kein Problem, kann aber zu einem werden, wenn sie Macht und Einfluss ausnutzen. Besonders bei Kindern und Jugendlichen gilt es daher, sehr genau hinzuschauen.
Früher waren es Britney Spears oder Justin Timberlake, heute heißen sie Twenty4Tim oder Dagi Bee. Influencer sind die „neuen“ Stars der 2020er-Jahre. Sie begeistern ein Riesenpublikum, werden millionenfach geklickt und geben Einblick in ihr alltägliches Leben. Ihr Auftrag leitet sich bereits aus dem Wort ab: Influencer. To influence: Menschen beeinflussen. „Das ist keine neue Entwicklung, die jetzt erst mit Social Media aufgekommen ist“, sagt Martin Bregenzer. Er arbeitet bei „Klicksafe“, eine an die Landesmedienanstalt Rheinland-Pfalz angegliederte Initiative zur Stärkung der Medienkompetenz. „Früher waren es Schauspieler oder Musiker. Magazine haben Homestorys mit ihnen gemacht oder Sender wie MTV haben deren Wohnungen und Häuser vorgestellt. Heute ist diese Art von Content nur erheblich mehr geworden.“ Content, der insbesondere auch ein Ziel verfolgt: Bindung aufbauen. Diese Bindung nennt sich parasoziale Beziehung, also eine einseitige Verbindungen zu Menschen, die man nicht persönlich kennt. „Ich beobachte das auch an mir selbst bei Creatorn, die ich teilweise seit Jahren verfolge. Ich weiß, wo sie leben, wie viele Kinder sie haben, wo sie Urlaub machen und solche Sachen“, sagt Bregenzer. Etwas Schlechtes sei das bis hierhin noch nicht.
Nein, Influencer machen nichts Schlimmes. Sie unterhalten, inspirieren, sind für viele ein Vorbild. Und ja, einen nicht unerheblichen Teil ihres Geldes verdienen sie auch durch Werbekooperationen. Eine Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung hat ergeben, dass von über 1.000 befragten Jugendlichen über die Hälfte bereits ein Produkt gekauft hat, nachdem ein Influencer dieses beworben hatte. „Das ist dann ein Problem, wenn ein Produkt nur aus Sympathie gegenüber einem Influencer gekauft wird und es ansonsten für den Käufer oder die Käuferin keinen Zweck erfüllt“, sagt Bregenzer. „Gerade bei Kindern und Jugendlichen muss man hier vorsichtig sein. Sie sind oft anfälliger für solche Manipulationen.“ Doch nicht jeder Creator will auch etwas verkaufen: „Das ist sehr unterschiedlich“, weiß auch Bregenzer. „Es gibt auch genug Influencer, die Werbepartnerschaften haben, aber das nicht so offensiv betreiben. Und dann gibt es eben die, bei denen man das Gefühl hat, da geht es nur ums Geld.“ Wichtig sei es also auch, als Eltern einen Blick darauf zu haben, welchen Personen das eigene Kind so folgt. „Es ist auch immer sinnvoll, sich die Inhalte einmal mit den Kindern zusammen anzuschauen“, rät Bregenzer. „Da bekommt man dann schnell ein Gefühl dafür, ob es hier um Werbung oder andere problematische Inhalte geht oder nicht.“

Denn nicht nur in Sachen Konsum haben Influencer eine gewisse Macht gegenüber ihrer Community. Immer häufiger kommt es zur Politisierung der Inhalte. Besonders in den USA, wie der US-Wahlkampf 2024 zeigte. Doch auch in Deutschland ist Politik schon lange kein Thema mehr, vor dem sich Netz-Bekanntheiten verstecken. Mehr als ein Drittel der Deutschen nutzt die sozialen Medien, um sich über Politik zu informieren. Die Kommunikationswissenschaftlerin Dr. Lisa Merten vom Leibnitz-Institut für Medienforschung sagte dazu gegenüber „deutschland.de“: „Wir haben in einer Studie jene Personen untersucht, die den 500 größten Instagram-Accounts in Deutschland folgen. Fast 70 Prozent von ihnen folgen daneben keinem einzigen journalistischen oder politischen Account. Wenn sich also ein beliebter Sportler oder eine prominente Sängerin äußert, kann das große Wirkungen haben, weil deren Publikum keinen politischen Quellen folgt.“ Die Folge: Mangelnde Meinungsvielfalt bis hin zu – im schlimmsten Fall – Desinformation. „Je einflussreicher Influencer für unsere Nachrichtennutzung sind, umso eher sollten wir anfangen, sie wie andere journalistische Akteure zu behandeln, die sich an journalistische Sorgfaltspflichten halten müssen“, sagt Merten.
Richtige Einordnung
Das im Jahr 2019 am häufigsten geklickte YouTube-Video in Deutschland war Rezos „Die Zerstörung der CDU“. Damit war der sonst für Comedy- und Gaming-Content bekannte Influencer einer der ersten deutschen Influencer, die sich derart politisch äußerten. Das hat in den vergangenen fünf Jahren deutlich zugenommen. Die „Meinungsinfluencer“ sind stark im Kommen. „Das ist nichts Schlechtes“, sagt Bregenzer. „Das Problem entsteht dann, wenn sich Leute extremistisch politisieren oder antidemokratisch äußern.“ Ein Problem, das in Deutschland immer häufiger aufkommt. Eine Recherche von jugendschutz.net hatte dafür knapp 5.000 Profile, Beiträge und Videos und über 100.000 Kommentare ausgewertet – mit bitterem Ergebnis: Antisemitismus, Verschwörungstheorien und Rassismus haben rapide zugenommen. Und steigern die Reichweite. Besonders auch die AfD findet auf Social Media großen Anklang mit Videos, die teilweise nicht einmal faktengeprüft verbreitet werden. „Gerade in den USA sehen wir auch viele große Influencer, die sich plötzlich sehr stark nach rechts polarisieren“, sagt Bregenzer. „In Deutschland ist das bisher nicht der Fall. Da ist es eher so, dass Menschen, die schon vorher in diese Richtung gedacht haben, jetzt neu anfangen zu streamen und sich mit diesen Inhalten eine Followerschaft aufbauen.“ Auch hier sieht Bregenzer klar die Eltern in der Pflicht: „Es ist wichtig, solche Dinge richtig einzuordnen und zu schauen, ob meine Quelle auch Ahnung von dem Thema hat, über das sie da redet. Wir wissen aus der Forschung, dass wir die Meinung von Menschen, die uns sympathisch sind, oft für glaubwürdig halten. Das ist gerade auch bei Kindern und Jugendlichen häufig ein Problem“, sagt er. „Da ist es dann wichtig, dass es ein Korrektiv gibt, zum Beispiel durch die Eltern oder den Freundeskreis.“
Ein häufigeres Problem ist dafür die oft verzerrte Realität, die auf den sozialen Medien propagiert wird. Die glückliche Mutter von zwei Kindern in der perfekt aufgeräumten Wohnung, der ernährungsbewusste Fitnessfan bei seiner stets motivierten Gym-Routine – auf den sozialen Medien wirkt fast alles perfekt. Während Influencerinnen oftmals klischeehaft die Sparten Beauty, Reisen und Fashion dominieren, sind es bei männlichen Influencern vermehrt die Themen Fitness und Gaming. Diese festgefahrenen Rollenbilder kommen nicht von ungefähr, sondern haben ihren Ursprung im Algorithmus der jeweiligen Plattformen: Denn wer rollenkonforme Inhalte online stellt, erreicht mehr Klicks und Reichweite.
Dazu gehört auch das Bild des „perfekten“ Äußeren. Zahlreiche Studien belegen, dass eine längere und intensivere Nutzung sozialer Medien mit Risikofaktoren für die Entwicklung von Essstörungen bei jungen Nutzern einhergeht. Ein Problem, das auch für „Klicksafe“ kein neues ist: „Das sind Inhalte, die per se nicht strafbar sind, aber dennoch jugendgefährdend sein können. Solche Sachen wie Anorexie, Verherrlichung von Essstörungen und so weiter“, sagt Bregenzer. „Wenn Kinder und Jugendliche davon 50 bis 100 Videos am Tag sehen, dann hat das natürlich auch Einfluss auf ihre Selbstwahrnehmung.“ Auch Forscher der Universität Witten warnen: Da Influencer nicht auf Gesundheitsförderung, sondern auf Einnahmengenerierung fokussiert seien, bestehe ein Bedarf, Jugendliche in ihrer psychischen und physischen Entwicklung zu schützen und zu begleiten.
Braucht es also stärkere Regulierungen für Content Creator? „Das würde ich so generell nicht sagen“, sagt Martin Bregenzer. „Regulierungen und Gesetze machen vor allem Sinn, wenn sie zielgerichtet sind. Ich bin ein großer Fan von Regulierungen an den Stellen, an denen es ohne sie nicht funktioniert. Aber Regeln müssen sich auch immer an der tatsächlichen Problemlage orientieren“, betont er. „Es gibt zum Beispiel Regelungen zur Kennzeichnung von Werbung. Da wird sehr strikt kontrolliert.“ Diese Regulierungen seien am Ende ein „stetig fortlaufender Aushandlungsprozess“, sagt er: „Da findet ständig etwas statt, sowohl auf nationaler Ebene als auch auf EU-Ebene. Wichtig ist es, dass Regulierung dabei immer mit Augenmaß vorgeht und sowohl Schutz- als auch Freiheitsrechte berücksichtigt.“