Sport und Bewegung sind auch gegen Krebs unabdingbar. Das ist nach Studienergebnissen eines Forschungsteams um Prof. Dr Joachim Wiskemann vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg auch tatsächlich belegt. Der Studienleiter im Interview.
Erfolgreiche Studien zeigen, dass Sport und Bewegungstherapie ein herausragendes Mittel sind, um Krebs und die Nebenwirkungen zu bekämpfen. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen von neun Zentren haben sich zusammengetan, um die Bewegungstherapie deutschlandweit auszubauen. Im Gespräch mit Studienleiter Prof. Dr. Joachim Wiskemann vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg wird deutlich, wie viel wir mit Sport bewegen können. Zu Beginn profitiert besonders unsere Psyche von der neuen Therapieform. Auch Apps und Online-Trainings bieten Erkrankten die Möglichkeit, jederzeit mit dem Sport zu beginnen.
Herr Prof. Dr. Joachim Wiskemann, ab wann können und sollten Krebserkrankte wieder mit Sport und Bewegung beginnen?
Prinzipiell ist es immer möglich, mit dem Sport zu beginnen. Die Bewegungstherapie ist sehr personalisiert und wird an die individuellen Möglichkeiten der Patientinnen und Patienten angepasst. Die Krebserkrankung sowie die Behandlungsformen lassen Sport in der Regel zu. Wenn der Körper sehr geschwächt ist, wird der Therapie- und Trainingsplan dementsprechend verändert.
Sport und Bewegung haben positive Auswirkungen. Welche sind bei Krebserkrankten besonders förderlich?
Besonders zu Beginn der Therapie haben der Sport und die Bewegung einen sehr starken psychologischen Aspekt. Viele Krebskranke möchten aktiv etwas zu ihrer Genesung beitragen. Durch den Start des Bewegungsprogramms erfahren sie direkte Selbstwirksamkeit und können eigenständig beim Gelingen der Therapie mitwirken.
Darüber hinaus ist die Bewegung bei Chemotherapie, Strahlentherapie und antihormonellen Therapieformen ein unglaublich guter Nebenwirkungsmanager. Wir können feststellen, dass die Nebenwirkungen deutlich zurückgehen. Beispielsweise bei der Fatigue-Erschöpfungssymptomatik und bei neuropathischen Symptomen ist Sport der Weg zu weniger Schmerzen und einer erhöhten körperlichen Funktionalität.
Nicht zuletzt sehen wir in Langzeitbeobachtungen, dass körperlich aktive Personen die Krebstherapie besser vertragen, bessere Chancen haben, die Krebserkrankungen zu überleben und länger krebsfrei zu bleiben.
Im Freien aktiv zu sein ist gut für den Körper und die Psyche. Wie kann eine gute Balance zwischen hoher Motivation und geschwächtem Körper geschaffen werden?
Häufig haben Erkrankte einen hohen Anspruch an ihren Körper. Hier helfen wir mit Aufklärung und Beratung. Ein individuell abgestimmter Therapie- und Trainingsplan führt dazu, dass die Patientinnen und Patienten gut klarkommen. Ein wichtiger Faktor ist, dass der Körper mehr Zeit zur Regeneration braucht, und dies muss sich erstmal im Bewusstsein verankern.

Das Move-Onko-Projekt ist eine groß angelegte Studie mit diversen Instituten und Schwerpunkten. Gibt es erste Erfolge oder Tendenzen, die sich bereits ableiten lassen?
Unser größtes Ziel war und ist, die Bewegungstherapie flächendeckend bekannter zu machen. Wir können auf eine erfolgreiche Ausbildung von Bewegungslotsen zurückblicken. Bewegungslotsen sind dafür ausgebildet, Krebspatientinnen und Krebspatienten zum Thema Bewegung zu beraten und sie dabei zu unterstützen, geeignete Bewegungsangebote zu finden. Das Interesse war besonders ausgeprägt bei Pflegekräften, aber auch im Bereich von medizinischen Fachangestellten, Psychoonkologen und Ernährungsberatern. Somit können geeignete Bewegungsprogramme jetzt weiter ausgebaut werden.
Move-Onko hat unter anderem zum Ziel, den Zugang zur Bewegungstherapie zu erleichtern. Lässt sich daraus schließen, dass Krebserkrankte besser unter ebenfalls Erkrankten sportlich aktiv sein sollten?
Es gibt viele Vorteile, die für die Bewegung mit ebenfalls Erkrankten sprechen. Doch ist dies sehr individuell und hängt von den Bedürfnissen und Vorlieben der Erkrankten ab. Wir sehen, dass der Sport in der Gruppe weitere positive Nebeneffekte mit sich bringt. Es treffen immer Personen in verschiedenen Behandlungsstadien aufeinander. Dadurch erfahren die Mitglieder untereinander viel Unterstützung und motivieren sich gegenseitig. Auch die Expertise unserer Trainerinnen und Trainer unterscheidet sich von anderen Gruppenformaten oder dem Fitnessstudio in der Nachbarschaft.
Um die Versorgungsstrukturen mittelfristig zu verbessern, werden in Nachbarländern oftmals Mobile-Health-Angebote wie Apps für das Smartphone angeboten. Wie stehen Sie zu solchen digitalen Produkten?
M-Health-Angebote sind für mich immer ein Zusatzangebot. Wir sehen, dass die Patientinnen und Patienten weiterhin den persönlichen Kontakt und die Betreuung bevorzugen. Jedoch bieten M-Health-Angebote viele Möglichkeiten, wenn beispielsweise das Immunsystem so geschwächt ist, dass Bewegung nicht in einer Gruppe stattfinden kann. Dann lässt sich der Sport in einer sicheren Umgebung durchführen. Im Hinblick auf das Symptommanagement sind Apps für die Erkrankten und das Fachpersonal unterstützend.
Männer und Frauen reagieren verschieden auf Krebsbehandlungsformen. Gibt es auch solche Erkenntnisse im Bereich der Bewegungsmedizin und mögliche Unterschiede?
Es gibt einen starken Unterschied, was den Zugang zur Bewegung und gesundheitlichem Verhalten betrifft. Da sehen wir weltweit, dass Frauen einen besseren Zugang haben und offener gegenüber solchen Programmen sind. Manche Länder sind dazu übergegangen, besondere Formate für Männer zu etablieren. Unser Nachbarland Dänemark ist beispielsweise mit einem Fußballprogramm für Prostatakrebspatienten seit mehreren Jahren sehr erfolgreich.
Gibt es einen Richtwert, ab wann besonders Aktive wieder mit Ausdauersport und Sport in der wilden Natur beginnen können?
Nach einer Krebserkrankung ist es ratsam, einen Sportmediziner aufzusuchen und mit ihm über seine Pläne und Wünsche mit Blick auf sportliche Ziele zu sprechen. Eine ärztliche Belastungsuntersuchung kann dabei zeigen, wo die aktuellen individuellen Grenzen liegen. Auch ist zu beachten, dass durch die Krebsbehandlung zum Teil der Schutz vor UV-Strahlung geringer ist. Wer bei Sport und Bewegung der Sonne ausgesetzt ist, sollte auf ausreichenden Schutz achten.