Der Wahlkampf war „härter und weniger respektvoll“, bilanziert SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich und ergänzt: „Das tut einer Demokratie nicht gut“. Dass nach der Wahl wieder Kompromisse gefunden werden müssen, „wird nicht ganz leicht“. Die großen Porbleme, vor denen das Land steht, seien lösbar, „wenn man will“.
Herr Mützenich, wenn man sich die wenigen Wochen seit Jahresbeginn bis jetzt ansieht, die von vielen als „historisch“ bezeichnete Woche im Bundestag zu Migration und der Amtsantritt von Donald Trump in den USA, kann man den Eindruck haben: Wir leben in einer ganz anderen Welt. Täuscht dieser Eindruck?
Es ist keine ganz andere Welt, aber es geschehen Dinge, die eine Herausforderung sind. Wenn wir die schweren Attentate sehen, bei denen Menschen, junge Menschen, Kinder ums Leben gekommen sind, macht das viele Menschen und mich selbst auch sehr betroffen. Manch einer versucht nun, den Eindruck zu erwecken, man müsse nur ein Rad neu drehen und alle Sachen werden besser. Ich glaube aber nicht,, dass die Menschen sich so leicht täuschen lassen. Und Trump war schon im November als US-Präsident gewählt worden. Nun ist er seit Ende Januar im Amt und haut praktisch stündlich einen raus, das kann ein amerikanischer Präsident, per Dekret regieren. Leider scheint Herr Merz dem Irrglauben aufzusitzen, er könne das auch. Gott sei Dank haben wir aber ein anderes politisches System. Bei uns entscheidet das Parlament.
Ich will aber betonen: Die Grundprobleme dieses Jahrzehnts bleiben uns auf jeden Fall auch nach dem 23. Februar erhalten. Mit neuen Arbeits- und neuen Produktionsweisen wollen wir einen industriellen Kern in Deutschland erhalten, der aber klimaneutral produziert. Der demographische Wandel in unserer Gesellschaft erfordert auf der einen Seite Zuwanderung, auf der anderen Seite aber auch ein besseres Zusammenspiel von stationärer und ambulanter Pflege. Es geht um Infrastrukturmaßnahmen, Bildung ist eine große Herausforderung. Also die Probleme, die Aufgaben bleiben – und ich glaube, man kann sie auch bewältigen, wenn man will.
Das sind klassische Themen für die Sozialdemokratie. Aber das schlägt sich in Umfragen nicht nieder. Warum?
Diese Themen sind komplex und nicht für Überschriften oder große Sonntagsreden gemacht. Das ist Kärrnerarbeit. Das Saarland weiß, was Strukturwandel bedeutet, genau wie mein Heimatland Nordrhein-Westfalen. Der Unterschied, den ich beim Strukturwandel früher und Strukturwandel heute sehe: Wie haben uns dazu entschieden, aufgrund des Klimawandels anzupacken, was zum Beispiel grünen Stahl und andere Fragen betrifft. Menschengemachter Klimawandel kann auch durch Menschenhand aufgehalten werden. Dafür braucht es aber große Investitionen, große Anstrengungen und europäische Zusammenarbeit. Auf der anderen Seite erfordert es auch ein eng abgestimmtes Zusammenspiel von Unternehmen und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Deshalb haben wir auch noch in dieser Legislaturperiode versucht, die Mitbestimmung zu reformieren, damit sich Unternehmen und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf gleicher Augenhöhe treffen, um diesen Strukturwandel gemeinsam zu meistern.
In diesem Wahlkampf drängt sich, auch durch Einmischung von außen, der Eindruck eines Kulturkampfes auf. Ist es auch ein Kulturkampf?
Es ist ein Kampf um die Deutungshoheit der tektonischen Verschiebungen, denen wir uns gegenübersehen. Wenn ich an die Auseinandersetzung der Konservativen mit Willy Brandt denke, war das auch Kulturkampf, ein Nachkriegskampf, ein Kampf der Generationen. Heute glaube ich, dass wir stärker gespalten sind in der Gesellschaft. Der Kulturkampf damals ist zwischen unterschiedlichen Milieus ausgefochten worden. Heute gibt es diese zwar auch, aber sie bleiben in ihren eigenen Blasen, auch in medialen Blasen, die sich jeweils intern bestärken. Das ist nicht gut, weil Pluralität vom offenen Austausch lebt. Plurale Gesellschaften sind demokratische Gesellschaften. So kommt es, dass die Auseinandersetzungen härter und weniger respektvoll geführt werden. Das tut einer Demokratie nie gut.
Wie kann es dann weitergehen nach dem 23. Februar?
Am Ende werden Kompromisse gefunden werden müssen – auch wenn diese mittlerweile zu Unrecht in Verruf geraten sind. Das wird nicht ganz leicht. Sie haben das Ereignis angesprochen, das einige als Tabubruch bezeichnen, ich nenne es Grenzüberschreitung. Herr Merz und ich hatten uns im November gegenseitig versprochen, dass es in der Übergangsphase bis zur Wahl nie dazu kommen darf, auf die Stimmen der AfD angewiesen zu sein. Daran hat er sich offensichtlich nicht gehalten. Das geht nicht spurlos an mir und der SPD vorüber. Aber wir wissen auch: Die Demokratie ist gefährdet, das sehen wir in Europa, das sehen wir aber auch in den USA, wo Trump in seiner zweiten Präsidentschaft offensichtlich noch stärker am Rechtsstaat rüttelt. Wenn der Rechtsstaat kippt, dann kippt auch die Demokratie. Die SPD wird sich immer gegen die Zerstörung der Demokratie stellen.
Wie können Sie es jetzt noch schaffen, dass eine sozialdemokratische Handschrift sichtbar bleibt?
Die Umfragen zur Sonntagsfrage scheinen ziemlich zementiert zu sein. Gleichzeitig ist die Zahl der Unentschlossenen kurz vor der Wahl außerordentlich hoch. Und was mir im Wahlkampf auffällt: Die Veranstaltungen sind sehr gut besucht, es gibt ein großes Interesse. Und vielleicht noch stärker als das Bedürfnis nach Information ist das Bedürfnis nach Austausch und Gespräch. Da können wir noch viele überzeugen ihre Stimme der SPD zu geben.