Es könnte der Running-Gag dieser Bundestagswahl werden: Drei Männer im Rentenalter retten die junge, progressive, feministische Linke vor der außerparlamentarischen Bedeutungslosigkeit. Genau das will die „Mission Silberlocke“.
Es war wieder mal ein typischer Gregor Gysi, von dem die Parteitagsdelegierten in Halle an der Saale Ende Oktober überrascht wurden. Das 76-jährige Urgestein der „einzig sozialistischen Partei Deutschland“ (Zitat Gysi) verkündet als Gastredner die „Mission Silberlocke“. Drei ältere, vor allem altgediente Herren der Partei sollen mit ihrer Prominenz Direktmandate in ihren Wahlkreisen gewinnen und damit das politische Überleben der Linken im Bundestag sichern.
Nicht nur die Delegierten des Bundesparteitages der Linken in Halle waren überrascht, staunten und applaudierten dann ganz spontan frenetisch für diese Idee. Auch die gerade neu gewählte Parteivorsitzende Ines Schwerdtner und ihr Co-Vorsitzender Jan van Aken wollen erst auf dem Parteitag von dem Projekt „Silberlocke“ kurz vor der Verkündung erfahren haben.
Erst mal weiter mit Politstress
Er wollte die Aussichten für das Projekt in einem Restaurant bei einem Glas Wein in Ruhe mit Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch besprechen, darüber reden, inwieweit das Erfolg haben kann, erklärte Gysi später. Der Wein war offenbar gut und das Gespräch der drei älteren Herren fruchtbar. Die „Mission Silberlocke“ war geboren. Die alten Herren und Linken-Polit-Profis stehen im Wahlkampf.
Wobei gerade Bodo Ramelow, zum damaligen Zeitpunkt noch geschäftsführender Ministerpräsident von Thüringen, nur einige Tage vor der Ausrufung der Rettungsaktion im FORUM-Gespräch im Bundesrat noch ganz andere, eher private Pläne verraten hatte. Ramelow wollte sich um ein Leben außerhalb der Politik bemühen, „darum will ich jetzt raus aus der politischen Verantwortung und nur noch als scheidender Ministerpräsident die Amtsgeschäfte eines ordentlich bestellten Hauses übergeben.“
Zumindest den Anspruch der Amtsübergabe hat der 68-Jährige zeitlich auf den Punkt hinbekommen, doch anstelle wie geplant im Ruhestand findet er sich „dank der duften Idee seines alten Freundes Gregor“ im Winterwahlkampf wieder und ringt nun um ein Direktmandat für den Wahlkreis Erfurt für den Bundestag. Auf FORUM-Nachfrage, ob es der Witz, der Charme seines Parteifreunds Gregor Gysi war, der ihn von der „Mission Silberlocke“ überzeugt hat, nun doch noch mal seine privaten Pläne zumindest bis zur vorgezogenen Bundestagswahl über den Haufen zu schmeißen, wird Bodo Ramelow dann ein wenig nachdenklich.
„Es ist wichtig, dass im zukünftigen Bundestag eine starke Linke vertreten ist. Wenn ich dazu irgendwas beitragen kann, dann bin ich dabei, und wenn es eben sein muss, mit unserem Senioren-Express“. Und da huscht dem 68-Jährigen doch noch ein Schmunzeln übers Gesicht.
Auch der Jüngste in der „Rettungsmannschaft Linke im Bundestag“, Dietmar Bartsch, 66 Jahre alt, ehemaliger Bundesgeschäftsführer der Linken, jahrelang Fraktionschef im Bundestag, hatte ursprünglich andere Pläne, „ebenfalls ein Leben ohne Politik-Stress“. Doch auch Bartsch geht es um die Zukunft seiner Partei, vor allem als „wahrnehmbare Stimme im Bundestag“. Er gilt als der unsichere Kantonist bei den drei Bewerbern im Senioren-Express der Linken, was ein Direktmandat in Rostock betrifft. Bei der letzten Wahl war er da nicht so erfolgreich.
Doch der Initiator der Mission Silberlocke, Gregor Gysi, bleibt entspannt. „Zieht Dietmar nicht, dann haben wir ja noch Sören Pellmann in Leipzig“. Der ist mit seinen 47 Jahren alles andere als eine „Silberlocke“, aber er war schon bei der Bundestagswahl 2021 die Trumpfkarte. Ohne ihn hätte die Linke bereits in der jetzt auslaufenden Legislaturperiode nicht im Bundestag als Fraktion gesessen, bevor es dann vor knapp einem Jahr zum Bruch mit Sahra Wagenknecht kam.
Großes Lob hinter den Kulissen für die Mission Silberlocke gab es selbst von den Kabarettisten der Republik, allen voran von der Redaktion der „Heute Show“. Der Moderator des ZDF-Formats, Oliver Welke, soll sich in der Redaktionssitzung gewundert haben, warum die Idee dazu nicht von der „Heute Show“ selber gekommen ist.
„Nichts wird einem geschenkt“
So viel pointiertes Entgegenkommen für die Mission Silberlocke wurde Gysi, Ramelow und Bartsch in der Bundespressekonferenz nicht zuteil für ihr Projekt „Drei ältere Männer retten junge, progressive, feministische Linke vor der außerparlamentarischen Bedeutungslosigkeit“. Die Fragenden in der Pressekonferenz erkundigten sich allen Ernstes danach, ob es durch ihre Kandidatur nicht zu innerparteilichen Konflikten gerade mit den Feministinnen in der Linken kommen könnte. Die drei Protagonisten auf dem Podium, schon erprobt im Umgang mit der Humorlosigkeit von Vertretern der publizistischen Berliner Blase, waren erstaunt, ließen sich aber nicht unterkriegen.
Schon gar nicht Gregor Gysi, der schließlich für seine pointierte Schlagfertigkeit bekannt ist. Damit kontert er auch die FORUM-Nachfrage, welche der drei Silberlocken denn nun als Kanzlerkandidat ins Rennen geht. Der 76-Jährige muss nicht lange überlegen. „Hier gilt das Prinzip des Stubenältesten, also ich!“ Aber die Frage stelle sich vom Alter her derzeit eher weniger, sondern es gehe vielmehr um die Zustimmung für die Linke, fügt er noch verschmitzt hinzu.
Der Hintergrund für die drei Fahrgäste im Seniorenexpress der Linken ist eigentlich ein „sehr ärgerlicher“, wie es Bodo Ramelow umschreibt. Fast zwei Jahre sei es in der Linken nur um das Hin und Her um Sahra Wagenknecht und ihren Parteiaustritt gegangen. Das habe viele Wählerstimmen gekostet, die Linke in eine wahre politische Existenznot gebracht und damit die älteren Herren überhaupt erst dazu gezwungen, doch wieder in den Wahlkampf zu ziehen. Wobei nicht so recht auszumachen ist, ob das Gysi, Ramelow und Bartsch tatsächlich ärgert oder sie nicht richtig Spaß daran haben, dass sie nun doch wieder fürs politische Überleben ihrer Partei gebraucht werden und sie damit weiter im politischen Rampenlicht stehen. Natürlich, um der Linken-Sache zu Aufmerksamkeit zu verhelfen.
Das ist bei Umfragewerten von um die drei Prozent auch dringend erforderlich. „Nichts wird einem geschenkt, wir müssen kämpfen“, betont Dietmar Bartsch.
Und dabei werden sie die Entwicklung des BSW besonders argwöhnisch im Blick haben. Sollte das Bündnis der abtrünnigen Ex-Linken Sahra Wagenknecht womöglich bei der Wahl am 23. Februar den Einzug in den Bundestag verpassen, dürften die drei Herren auch unabhängig vom Linken-Ergebnis kräftig anstoßen.