Sarah Abdelai hatte es in ihrem Leben nicht immer leicht. Auf ihrem Weg befreite sie sich von den Zwängen ihres strenggläubigen Vaters in Syrien, kam nach Berlin und fand ihre Heilung in alternativen und spirituellen Methoden. Diese bietet sie nun auch für andere an.

Wenn jemand zu einer Reise in den Irrgarten der heillos verstrickten Psyche einlädt und dabei verspricht, Traumsamen eines heilenden Glaubens auszusäen, wenn zudem noch die bedingungslose Liebe des Universums hilfreich im Hintergrund wirken soll – spätestens dann ist vielleicht ein wenig Skepsis angebracht. Nur ein wenig? Wer sich einmal als Hilfesuchender durch die (sozialen?) Medien klickt oder entsprechende Angebote googelt, er wird sie nicht mehr los: die Heerscharen der Achtsamkeitsapostel, der Seelen-Coaches und all der anderen Erleuchteten. Es scheint, als komme in diesen Zeiten zunehmender Orientierungslosigkeit auf die Menge der Bedrängten die doppelte Zahl missionarischer Seelenheiler. Wer aber versteht wirklich etwas von den Knoten in unserer Psyche, wer schwenkt nur die Phrasengießkanne in der einen Hand, um die andere für stattliche Honorare aufzuhalten? Wer es sich leisten kann, probiert es aus. Was dann hilft, es kann nicht ganz falsch sein.
Umso interessanter scheint es, der Frage nachzugehen, warum sich jemand überhaupt zum Heiler berufen fühlt, was selbst erlebt und wahrscheinlich durchlitten wurde, was ihn oder sie qualifiziert, um nun eigene Erfahrungen auch anderen zuteilwerden zu lassen? Es geht hier um die eigene Glaubwürdigkeit.
Sarah Abdelai zum Beispiel, Jahrgang 1976, geboren im ostfriesischen Leer, hat es in ihrem Leben nicht immer leicht gehabt, und es dauerte lange, bis sie ihre eigene Persönlichkeit entdecken und zu sich selbst finden konnte. Eigentlich hätte Sarah, das mittlere von drei Kindern eines syrischen Vaters und einer französischen Mutter, ganz normal in Deutschland aufwachsen können, das Land, in dem sie zur Welt gekommen ist, dessen Sprache und Sitten für sie selbstverständlich waren. An den folgenden Umzug nach Süddeutschland erinnert sie sich kaum, wohl aber an ihre Schulzeit, ihre Freundinnen, ihre Ausgelassenheit und Träume, wie sie alle jungen Mädchen haben. Doch dem Vater, einem stockkonservativen Mann islamischen Glaubens, passte zunehmend diese ganze liberale Entwicklung nicht und er zwang seine Familie, mit ihm nach Syrien zurückzukehren. Sarah war zu diesem Zeitpunkt gerade 13 Jahre alt. Rückblickend erinnert sie sich mit Schrecken an ihr neues Leben: eine vollkommen unbekannte Sprache, in der Schule des fremden Landes nur Drill und stupides Pauken, eine autoritär strukturierte Gesellschaft, Mädchen und Frauen, die sich fügen mussten: kochen, heiraten, Kinder kriegen.
Der Vater zwang sie und die Familie zurück nach Syrien
Eigentlich interessiert sich Sarah für Kunst und Malerei, aber der Vater zwingt sie zu einem Wirtschaftsstudium, das sie überhaupt nicht interessiert. Immerhin kann sie nach Beirut gehen, weil dort die Ausbildung weniger kostet. Zum Glück ist dort alles weniger streng, mit 19 lernt sie ihren ersten Freund kennen, aber glücklich wird sie nicht. Sie zieht weiter, arbeitet als Stewardess, bleibt in Dubai hängen, jobbt für eine Immobilienfirma, verdient ordentlich Geld, keine materiellen Sorgen also, sie heiratet, aber wenn sie innehält, weiß sie genau: Das alles fühlt sich vollkommen falsch an. Ihr Körper sendet deutliche Signale – eine Autoimmunerkrankung, andere Leiden, es geht ihr miserabel.
Erstmals, so erinnert sie sich heute, hört sie damals auf ihre innere Stimme und sie erklärt es sich als Hinweis einer bislang unbekannten Macht: So kann, so soll es nicht weitergehen! Auf der Suche nach einer neuen Perspektive irrlichtert sie zunächst durchs Internet, sie sucht einen Ausweg und entscheidet sich dann spontan für einen Yoga-Kurs, der sie auf den Weg innerer Einkehr und Meditation führen soll. Das spricht sie an und nun wird ihr langsam klar, was sie nicht mehr will: sich von ihrem Vater, ihrem Mann, der Gesellschaft oder von wem auch immer vorschreiben zu lassen, wie sie zu sein und zu funktionieren hat. Familie, Wohlstand, eine abgesicherte Existenz, das alles bedeutet ihr nichts mehr und sie beginnt, sich intensiv mit Methoden und Wegen zu befassen, ihr Leben zu lieben statt sich durch einen falschen Alltag hetzen zu lassen.
Was ihr selber hilft, das will sie einige Zeit später auch anderen anbieten. Sie befasst sich mit alternativen Heilmethoden, setzt sich mit Reiki auseinander, macht eine Ausbildung als Hypnosetherapeutin und lernt Neuro-Linguistisches Programmieren, also Kommunikationstechniken, die psychische Abläufe im Menschen beeinflussen sollen. Alles Hokuspokus, blumig verbrämte Scharlatanerie? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Sarah möchte auf jeden Fall auch andere Menschen von ihren Sorgen und Selbstzweifeln befreien. Sie macht entsprechende Angebote und zunehmend mehr Leute kommen zu ihr. Warum? Weil Sarah niemandem die Schuld zuschiebt für seine Probleme oder ein Urteil fällt, sondern weil sie ihre Klienten ermutigt, sich nicht länger als Opfer zu fühlen. Sie denkt, dass jedermann seines Glückes Schmied sein kann, so schwierig auch die Bedingungen dafür sind.
Auch sie selbst zieht einen Nutzen aus solchen Gesprächen. Indem sie anderen zuhört, stößt sie auf Fragen, die sich für sie bislang nicht stellten. Heute nennt man das eine Win-win-Situation. Sarah bezeichnet es lieber als gegenseitige Erweiterung des eigenen Universums. Dies ist ihr ureigenes Motiv, sich dieser Aufgabe zu widmen.
Es geht nicht um Wissenschaft
Anfang 40 ist sie, als ihr Leben eine neue Wende nimmt. Ihre Ehe wird geschieden, sie geht zurück nach Deutschland, das Land, aus dem ihr Vater sie einst herausriss. Sie entscheidet sich für Berlin, eine Stadt, die sie nur von Youtube-Videos kennt, sie wagt es. Alles auf Anfang. Mit einem Koffer kommt sie an in dieser fremden Stadt, die Sprache ihrer Kindheit muss sie neu lernen, sie schlägt sich mit Englisch durch, wieder war sie nur einer Intuition gefolgt. Wenig Geld hat sie, die Wohnungssuche braucht Zeit, neue Freunde muss sie finden. Während der Corona-Krise und ihren Nachwirkungen arbeitet sie online, die meisten Sitzungen werden via Zoom durchgeführt. Mund-zu-Mund-Propaganda hilft, ihre Fähigkeiten sprechen sich herum und sie besitzt einen fast einzigartigen Vorteil. Denn viele ihrer Kunden kommen aus dem arabischen Raum, sie kennt die Mentalität der Saudis und Kuwaitis, sie spricht ihre Sprache. Zur Not hilft Englisch weiter. 90 Prozent jener, die Kontakt zu ihr aufnehmen, sind junge Frauen. Aber sie hatte auch schon Kundinnen, die den Zenit ihres Lebens lange überschritten hatten. Bei den angesprochenen Problemen geht es hauptsächlich um Beziehungsfragen, Sexualität, Karriere, Gesundheitsprobleme und alle Facetten persönlicher Verunsicherung. Soll es hingegen um Nikotin, Suchterkrankungen und Gewichtsreduktion gehen, muss sie passen.

In ihrer kleinen Schöneberger Wohnung bietet sie auch ganz persönliche Treffen an. Ihr Zimmer verströmt eine anheimelnde Atmosphäre, die beruhigenden Farben sind aufeinander abgestimmt, auf einer kleinen Kommode flackern Kerzen und liegen besondere Kristalle. Glaubt sie tatsächlich an alles, was sie anbietet? Die Aurafotografie etwa soll das Energiefeld eines Körpers oder bestimmter Körperteile abbilden und die Interpretation der dann erkennbaren, unterschiedlichen Farben soll ein wichtiges Hilfsmittel zur Selbsterkenntnis sein. Wissenschaftlich ist dies allerdings blanker Unsinn. Das weiß Sarah und sie würde diese Methode nur benutzen, um mit ihrem Gegenüber ins Gespräch zu kommen. Geheilt wird durch die Deutung vermuteter Energieströme niemand. Aber es geht bei alledem auch gar nicht um Wissenschaft. Sarah versteht ihr Angebot als eine von vielen möglichen Hilfestellungen für ein besseres Selbstverständnis. Aus all den Gesprächen nimmt sie ständig auch Anregungen für ihre ganz persönliche Reise mit, die niemals aufhört, auch nicht nach dem Tod. So glaubt sie, so meint sie es zu wissen, auch wenn sich dies alles eben nicht endgültig beweisen lässt. Möchte sie noch andere, vielleicht tiefer gehende Erfahrungen machen? Sie zögert ein wenig mit der Antwort. Mögliche Experimente mit pflanzlichen Substanzen würden sie neugierig machen, allerdings nur für sich und nur dann, wenn ihr Konsum legal ist.
Wer sich um Rat und Hilfe bei ihr bemüht, sollte von vornherein wissen, was man vielleicht erwarten kann. Die Verantwortung für ein besseres, authentisches Leben liegt in jedem Falle aber bei jedem Kunden höchst persönlich. Daran lässt Sarah überhaupt keinen Zweifel.