Algen, Schlick, Meerwasser, die salzige Luft und Bewegung am Meer wirken sich positiv auf die Gesundheit aus. Bei der Thalasso-Therapie werden die natürlichen Produkte in verschiedenen Anwendungen eingesetzt.
Die Wellen plätschern gemächlich über den Sand, es weht eine leichte Brise. Gleich nach dem Frühstück versammelt sich eine kleine Gruppe am Ostseestrand von Warnemünde. Eine Klimawanderung an der Brandungszone steht heute auf dem Programm. Klimatherapeut Claudio Barbatei verteilt Nordic-Walking-Stöcke und in zügigem Schritttempo geht es los. „Tief einatmen und langsam ausatmen“, sagt er zu den Teilnehmern. Sie genießen das wohltuende Meeresklima. Dazu zählen die salzhaltige Luft, der Wind, die verstärkte Sonneneinstrahlung, die geringe Luftverschmutzung und eine allergenfreie Zone direkt an der Meereskante. „Die zweistündige Klimawanderung im sogenannten Reizklima bietet ein wunderbares Ausdauer-, Herz- und Kreislauftraining“, sagt der Klimatherapeut. Der Körper wird abgehärtet und die Abwehrkräfte gestärkt. Die aerosolhaltige Luft wirkt wie eine natürliche Inhalation, die sich positiv auf die Bronchien auswirkt. „Klimawandern stärkt das Wohlbefinden, sorgt für Entspannung, ein besseres Körpergefühl und kräftigt die Atemmuskulatur“, erklärt Claudio Barbatei. Nach einigen Stretching-Übungen genießen die Wanderer eine kleine Pause, bevor sie bei verschiedenen Anwendungen die positive Wirkung des Meeres erfahren. Sie alle nehmen an einer Thalasso-Therapie im „Hotel Neptun“ teil, dem ersten Original-Thalasso-Zentrum in Deutschland. Der Name geht auf die griechischen Wörter „thalassa“, das Meer, und „therapeia“, die Behandlung, zurück. Thalasso nutzt die Kraft des Meeres mit seinem hohen Anteil an gesundheitswirksamen Substanzen in Meerwasser, Luft, Algen und Meeresschlamm.
Seit Menschengedenken wird die außerordentliche Heilkraft des Meeres genutzt. Schon der berühmte griechische Arzt Hippokrates sagte vor rund 2.000 Jahren: „Alles Leben stammt aus dem Meer.“ Er behandelte beispielsweise Rheuma- und Ischiaspatienten mit Meerwasser und verordnete bei Entzündungen Meerwasser-Umschläge und Bäder. Auch bei den Römern und Ägyptern zählten Badekuren zu den ältesten medizinischen Behandlungsformen. Der englische Arzt Richard Russell erwähnt die heilende Wirkung des Meerwassers zum ersten Mal 1750. Er behandelte Hauterkrankungen mit Algen. Im gleichen Jahr promovierte er über den Gebrauch des Seewassers bei Erkrankungen der Lymphknoten. Russels umfangreiche Untersuchungen führten auch dazu, dass man von diesem Jahr als dem Geburtsjahr der modernen Meeresheilkunde spricht.
Sechs bis zehn Behandlungstage
Wenige Jahrzehnte später wurde die Wirkung des Meeres auch an der Ostsee entdeckt. Herzog Friedrich Franz I. von Mecklenburg-Schwerin nahm auf Anraten seines Leibarztes ein gesundheitsförderndes Bad in der Ostsee. Um auch anderen Menschen diesen Genuss zu ermöglichen, gründete er 1793 in Heiligendamm das erste Seebad Deutschlands. Der Arzt Samuel Gottlieb Vogel wusste um den Effekt von Seeheilbädern und behandelte damit Rheuma und Ausschläge. Das Ostseewasser wurde nicht nur zum Baden genutzt, sondern auch getrunken. Man mischte diesem auch jodhaltigen Tang bei oder rieb die Patienten damit ab. Zunehmend wurde auch die Bedeutung der sauberen Meeresluft erkannt. In den folgenden Jahren sprach sich die Heilkraft des Meeres herum und wurde vor allem an der französischen Atlantikküste für Therapien genutzt. Der Begriff „Thalasso-Therapie“ wurde 1867 von dem französischen Arzt Francés La Bonnadière aus Arcachon geprägt. Er erkannte die wohltuende Wirkung des Meerwassers. Immer mehr Wissenschaftler und Mediziner bestätigten diese und die Anzahl der Thalasso-Zentren wuchs. Das erste Thalasso-Zentrum in Deutschland wurde 1996 im „Hotel Neptun“ in Warnemünde eröffnet.
„Die Stärke der Thalasso-Therapie liegt in der Kombination moderner Anwendungen mit den heilenden Wirk- und Inhaltstoffen des Meeres“, sagt Ulrike Wehner, die Leiterin des Thalasso-Zentrums im „Hotel Neptun“. Die Thalasso-Therapie gibt es deshalb nur am Meer.
Es sind vor allem die Bestandteile aus dem Meer, die eine Meerestherapie so wirksam machen. Dazu zählen Spurenelemente, Vitamine, Proteine, Mineralstoffe und Aminosäuren, die im Meerwasser, im Meersalz, in Algen und Meeresschlamm- und Schlick enthalten sind. Unterstützt wird die Wirkung der Heilmittel aus dem Meer durch das maritime Klima, gesunde Bewegung und Ernährung.
Die klassische Thalasso-Therapie dauert mindestens eine Woche und beinhaltet sechs oder zehn Behandlungstage mit drei Einzelanwendungen täglich sowie Gruppenaktivitäten. „Mit einer Thalasso-Kur können verschiedene Ziele erreicht werden, von der Stärkung des Immunsystems, der Entgiftung und Vitalisierung des Körpers über Stressabbau, Gewichtsreduktion und Straffung der Haut bis hin zur Linderung rheumatischer und Gelenkbeschwerden“, erklärt Ulrike Wehner. Laut der praktischen Ärztin und Sportmedizinerin Regina Schwanitz in Warnemünde diene Thalasso sowohl der Therapie als auch der Prävention. „Auch psychische Dysbalancen wie Burnout oder Tinnitus sind am Meer gut zu behandeln, weil hier die Entspannung noch dazukommt“, sagt die Ärztin.
Am Anfang einer Thalasso-Kur steht eine medizinische Untersuchung. Danach wird ein individueller Behandlungsplan mit verschiedenen Anwendungen erstellt, in denen Meerwasser, Algen, Schlamm und die frische Luft am Meer kombiniert werden. Eine Thalasso-Kur aktiviert nicht nur die körpereigenen Abwehrkräfte, sondern auch alle Organe. Deshalb sollten Personen mit gesundheitlichen Beschwerden wie beispielsweise Schilddrüsenüberfunktion, Jodunverträglichkeit, Bluthochdruck, Nieren-, Herz- und Kreislaufproblemen vor Thalasso-Anwendungen einen Arzt konsultieren. Bei Krampfadern und Besenreisern ist es empfehlenswert, die betroffenen Körperregionen bei wärmenden Anwendungen auszusparen.
Bewegung und Entspannung
Die Teilnehmer beginnen den Tag mit Wassergymnastik in dem mit Meerwasser gefüllten Schwimmbad. Nach einem guten Frühstück folgen die individuellen Anwendungen. Zu diesen zählen: Meerwasserbäder mit Algen, Salz oder Aromaölen und eine kräftigende Hydromassage in der Thalasso-Wanne, Meerwasserduschen mit einem Druckstrahl sowie eine Vichy-Nebelsprühdusche, Ganzkörperpackungen und -wickel mit Algen, Schlick und Salz, Inhalationen und Massagen. Zu den Bewegungsangeboten gehören neben der Wassergymnastik und der Klimawanderung auch Pilates, Yoga, progressive Muskelentspannung, Fitnessband-Übungen, Fitness mit Geräten sowie Gymnastik für den Rücken. „Mir gefällt die Mischung aus Bewegung und Entspannung, und die Wärme der Algenpackungen tut dem Körper einfach gut, auch die Haut ist danach straffer“, sagt Iris Schof, die schon zum zweiten Mal an einer Thalasso-Kur im „Hotel Neptun“ teilnimmt. Sie komme danach immer entspannter in den Alltag zurück. Diesmal ist ihre Tochter Anne-Sophie dabei. „Es ist alles sehr gut aufeinander abgestimmt und ich hätte nicht gedacht, dass Wassergymnastik so anstrengend sein kann“, sagt die 27-Jährige aus Magdeburg.
Brigitte Schwedes hat die Thalasso-Therapie in einem Hotel in Tunesien kennengelernt. „Dort ging es eher um Kosmetik, hier gefällt mir, dass man auch wirklich etwas für seine Gesundheit und sein Wohlbefinden tut“, sagt die Kölnerin.
Bei ihr steht am Vormittag die Jet-Dusche auf dem Programm. In einem angenehm temperierten Raum testet die Thalasso-Spezialistin Christine Radatz die Wassertemperatur und den Druck des Wasserstrahls und beginnt Brigitte Schwedes erst warm und anschließend an den Beinen kalt abzuduschen. „Durch den intensiven Druck ist die Dusche wie eine Massage“, sagt Christine Radatz. Am Nachmittag folgen ein entschlackendes Algenbad mit gemahlenen Algen, ein Peeling und anschließend eine Algenpackung. Dabei wird auf dem ganzen Körper Algenschlamm aufgetragen, anschließend wird er in Folie eingewickelt und mit einer Wärmedecke umhüllt. Dann heißt es, etwa 20 Minuten ruhen. „Das macht wirklich etwas mit einem, es ist fast ein bisschen anstrengend, aber danach kann man wunderbar schlafen und fühlt sich am nächsten Tag einfach gut“, sagt die Kölnerin.
Daniela Dietsche aus Berlin freut sich an diesem Tag auf eine entspannende Vichy-Dusche mit gesprühtem Meerwasser und einer Ganzkörper-Meeresschlickpackung. „Ich habe Thalasso an der französischen Atlantikküste entdeckt, aber Warnemünde ist näher und hier ist es auch sehr gut“, sagt die Berlinerin. Sie versucht sich zweimal im Jahr diese Auszeit zu gönnen, dann sei die Wirkung anhaltender. Thalasso sei für sie ideal, um Stress abzubauen und wieder zu Kräften zu kommen.
Ganz individuell können Gäste in Warnemünde auf Thalasso-Kurwegen das gesundheitsfördernde Klima genießen. Zehn verschiedene Wege auf Sand- und Waldboden sowie in der Brandungszone ermöglichen gesundheitsförderndes, heilklimatisches Gehen und Wandern, das zur Verbesserung der Gesamtleistung beiträgt.