Auch wenn Tina Turner meist nur als Rock-Königin tituliert wird, hat sie im Laufe ihrer rund 50 Jahre dauernden Karriere auch andere Musikgenres von Soul und Rhythm and Blues bis hin zu Pop durchlaufen und dabei bis zu 200 Millionen Tonträger verkauft. Dieser Tage wäre sie 85 Jahre alt geworden.
Dass das Musik-Business für die ganz wenigen Großen ein lukratives Geschäft sein kann, lässt sich am Beispiel von Tina Turner bestens belegen. Die zierliche, gerade einmal 1,63 Meter große Künstlerin hatte kurz vor ihrem Lebensende laut Schätzungen des Schweizer Wirtschaftsmagazins „Bilanz“ ein stolzes Vermögen von rund 250 Millionen Schweizer Franken angesammelt. Wobei der finanzielle und künstlerische Mega-Erfolg nicht gleichmäßig auf ihre sich über gut fünf Jahrzehnte erstreckenden zwei Karrieren verteilt war. Erst nach der Trennung von ihrem langjährigen Duo- und Lebenspartner Ike Turner und ihrem Album „Private Dancer“ von 1984 nahm ihre Karriere als Solistin so richtig Fahrt auf. Bis heute konnte kein anderer Solo-Star mehr Konzertkarten verkaufen als die gebürtige US-Amerikanerin, die im Jahr 2013 die Staatsbürgerschaft ihrer Wahlheimat Schweiz angenommen hatte. Auch der Absatz ihrer Tonträger, darunter neun Studioalben, drei Live-Mitschnitte, fünf Hit-Kompilationen und diverse Single-Hitparadenstürmer, ließ ihr privates Konto immer weiter anschwellen.
Nach der Trennung startete sie durch
Tatsächlich schwanken die Schätzungen bezüglich des Tonträger-Verkaufs zwischen 100 und 200 Millionen Exemplaren. Weitgehende Einigkeit herrscht allerdings darüber, dass „Private Dancer“ mit weltweit rund 20 Millionen verkauften Alben ihr größter Erfolg war. Gleich fünf Single-Auskopplungen daraus stürmten die US-Billboard Hot 100. Mit „What’s love got to do with it“ gelang Tina Turner allerdings ihr erster und einziger Nummer-eins-Hit.
1985 und 1986 brachte sie es mit den Songs „We don’t need another hero“ und „Typical male“ jeweils auf den zweiten Platz der US-Charts, letztmals war sie 1996 mit „Missing you“ im Billboard-Ranking vertreten.
Tina Turner war die erste schwarze Persönlichkeit und zugleich die erste Frau überhaupt, die es 1967 auf das Cover des renommierten US-Musikmagazins „Rolling Stone“ schaffte. Insgesamt war sie 25 Mal für den Grammy nominiert und konnte immerhin acht Einzelauszeichnungen gewinnen. Zusätzlich wurde sie mit drei „Grammy Hall of Fame Awards“ und einem „Grammy Lifetime Achievement Award“ geehrt. In die „Rock and Roll Hall of Fame“ wurde sie sogar gleich zweimal aufgenommen – 1991 als Duo mit Ike Turner und 2021 als Solo-Künstlerin.
Turner publizierte zwei Autobiografien, 1986 „I, Tina“ und 2018 „My Love Story“. Gelegentlich hatte sie auch Ausflüge ins Schauspielfach unternommen, wobei vor allem ihr Mitwirken beim surrealistischen Musical „Tommy“ (1975) nach der gleichnamigen Rockoper von „The Who“, in der Musikkomödie „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ (1968) und vor allem ihre größere Rolle im Klassiker „Mad Max – Jenseits der Donnerkuppel“ (1985) erwähnenswert sind. Auch mit dem Titelsong für den James-Bond-Film „Golden Eye“ ging sie 1995 in die Musik- und Filmgeschichte ein.
Zu Anfang Arbeit als Krankenschwester
Dabei hätte anfangs sicherlich nie jemand geahnt, dass die am 26. November 1939 im Städtchen Brownsville im US-Bundesstaat Tennessee geborene Annie Mae Bullock einmal eine Mega-Karriere im Musikgeschäft hinlegen würde. Der Schritt vom im Gospel-Kirchenchor singenden kleinen Mädchen, das nach der frühen Trennung seiner Eltern größtenteils bei der Großmutter mütterlicherseits im benachbarten Nest Nutbush unter den Bedingungen der Rassendiskriminierung aufwuchs, zur späteren gefeierten Sängerin war schon gewaltig.
Dem damals naheliegenden Job als Baumwollpflückerin konnte Annie nichts abgewinnen, weshalb sie sich während ihrer High-School-Zeit als Hausangestellte versuchte. Nach dem Tod der Großmutter zog die 16-Jährige zu ihrer in St. Louis lebenden Mutter, machte ihren Schulabschluss und begann als Krankenschwester zu arbeiten. An manchen Abenden war sie in den angesagten Nachtclubs von St. Louis und East St. Louis unterwegs. 1956 machte sie im „Manhattan Club“ in East St. Louis die Bekanntschaft mit der Musik einer Band namens „Kings of Rhythm“ und deren Chef Ike Turner, dem es zur damaligen Zeit gelungen war, seine Gruppe als eine der angesagtesten Live-Attraktionen zu etablieren. Musikalisch war Ike Turner fraglos Avantgarde, hatte er mit seiner Band doch schon 1951 den Song „Rocket 88“ aufgenommen, der viel später zur ersten echten Rock-Nummer deklariert wurde.
Annie Mae war laut eigenem Bekunden von Ike so fasziniert, dass sie „fast in Trance geriet“. Da sie mit ihrer kräftig-röhrigen Soul-Stimme unbedingt Mitglied der Band werden wollte, griff sie sich eines Abends während einer Spielpause das Mikrophon und trug BB Kings bekannte Bluesballade „You know I love you“ vor. Das beeindruckte Ike Turner offenbar so sehr, dass Annie Mae die Band im weiteren Programmverlauf als Sängerin begleiten durfte. Später kümmerte sich Ike Turner um die Verfeinerung ihrer Stimme und ließ sie 1958 erstmals bei der Single „Boxtop“ mitwirken.
Annies Aufstieg zur Leadsängerin im März 1960 war allerdings dem Zufall geschuldet. Der von Ike Turner für die Aufnahme des Songs „A fool in love“ vorgesehene Art Lassiter war nicht im gebuchten Studio erschienen. Also machte Ike Tuner stattdessen mit Annie Mae, die sich damals noch „Little Anne“ nannte, eine Demoaufnahme. Diese fand ein Platten-Manager so überzeugend, dass er Ike überredete, den Song mit Annies Stimme zu veröffentlichen. Gleichzeitig verpasste Ike seiner neuen Leadsängerin den Künstlernamen Tina Turner und gründete für künftige Tourneen die „Ike & Tina Turner Revue“.
Obwohl Tina inzwischen einen Sohn aus einer Liaison mit einem anderen Bandmitglied zur Welt gebracht hatte, gaben sich Ike und Tina 1962 das Ja-Wort. Privat ging die Beziehung trotz eines gemeinsamen Sohns im Laufe der Jahre allerdings immer mehr in die Brüche, wobei Ike seine Ehefrau häufig misshandelte und auch missbrauchte.
Ihre Löwenmähne war nur ein Fake
Geschäftlich war die „Revue“ mit endlosen Tourneen – sogar als Vorgruppe der Rolling Stones – ein stetig wachsender Erfolg. Wobei „River deep – mountain high“ 1966, „Proud Mary“ 1971 sowie der von Tina geschriebene rockige Song „Nutbush city limits“ 1973 die größten Hits wurden. Die beiden Protagonisten entwickelten sich stilistisch vom R&B immer mehr in Richtung Rocksongs. Entsprechend hatte sich auch das Outfit von Tina gewandelt – die ehemals formellen Kleider wurden durch Minis und freizügigere Looks ersetzt, Tina hatte sich auf den Weg zum Sexsymbol gemacht. Noch unter den Fittichen von Ike Turner brachte Tina ihre ersten beiden Solo-Alben heraus. 1974 setzte sie mit „Tina turns the country on!“ Country-Musik-Akzente. Zwei Jahre später folgte das Album „Acid“.
Auf dem Weg zu einem Konzert in Dallas Anfang Juli 1976 verprügelte der immer stärker von Drogen abhängige Ike seine Ehefrau dermaßen, dass diese endgültig einen Schlussstrich zog und ohne einen Penny in der Tasche untertauchte. Bei der im Frühjahr 1978 vollzogenen Scheidung schnitt Tina sehr schlecht ab, weil sie freiwillig alle Schulden aus abgesagten Konzerten übernommen und auch auf die Rechte an den gemeinsamen Produktionen verzichtet hatte. Tinas Karriere schien damit beendet zu sein. Sie versuchte zwar sogleich verzweifelt, mit kleineren Auftritten Geld zu verdienen, doch wurde ihr dabei weitestgehend nur mehr der Status eines Nostalgie-Akts beigemessen. Ihre beiden Solo-Alben „Rough“ 1978 und „Love explosion“ 1979 mit Ausflügen ins Disco-Genre floppten.
Mit ihrer Cover-Version von Al Greens „Let’s stay together“ gelang ihr dann aber 1983 ein Überraschungscoup, woraufhin ihr das Label Capitol Records die Aufnahme des legendären Studioalbums „Private Dancer“ ermöglichte. Tina Turners Comeback zählt fraglos zu den großen Mythen der Rock- und Pop-Geschichte. Darüber hinaus wurde sie schnell zu einem Symbol der weiblichen Selbstermächtigung und schöpfte Kraft aus ihrer Hinwendung zu buddhistischem Gedankengut. Mit dem 16 Jahre jüngeren deutschen Musikmanager Erwin Bach, den sie 1986 kennenlernte und 2013 heiratete, fand sie auch ihr privates Glück.
Bis zu ihrem Rückzug aus dem Showgeschäft im Alter von stolzen 70 Jahren im Jahr 2009 lockte sie Massen von Besuchern zu ihren Tour-Auftritten, um dabei Hits wie „The Best“ oder „I don’t wanna lose you“ aus ihrem drittletzten Studioalbum „Foreign affairs“ aus dem Jahr 1989 oder „When the heartache is over“ aus ihrem letzten Album „Twenty four seven“ (1999) zu präsentieren. Neben ihrer Stimme zählten auch ihre energiegeladenen tänzerischen Bühnen-Performances in gewagten Outfits zu ihren Markenzeichen. Lederminis zu High Heels und Netzstrumpfhosen ließen ihre wohlgeformten Beine stets bestens zur Geltung kommen. Die ewige Löwenmähne war allerdings ein Fake, da sie sich schon in jungen Jahren zum Tragen ständig wechselnder Perücken entschlossen hatte.
Ihr Lebensabend, den sie seit 1994 in der Schweizer Goldküstengemeinde Küsnacht verbracht hatte, wurde durch diverse gesundheitliche Probleme wie Darmkrebs oder Nierenschäden überschattet. Am 24. Mai 2023 starb sie im Alter von 83 Jahren in ihrem gemieteten Château Algonquin in Küsnacht. Kurz zuvor hatte sie noch das noble Landgut Steinfels in Stäfa für umgerechnet rund 72 Millionen Euro erworben.