Gestresst, erschöpft, ausgelaugt und am Ende steht ein Burn-out. Wie gezieltes Coaching Abhilfe schaffen kann, erklärt Lehr-Coach Dr. med. Wilhelm Adelhardt am Beispiel seines Klienten Carl, der mithilfe der „KoSe ProBe“ diesen Teufelskreis durchbrochen und sein Leben wieder in den Griff bekommen hat.
Herr Dr. Adelhardt, können Sie uns Carl kurz vorstellen? Welche Probleme hatte er, die ihn letztendlich dazu gebracht haben, professionelle Hilfe anzunehmen?
Als ich Carl kennengelernt habe, war er 36 Jahre alt. Eigentlich hätte er glücklich und zufrieden sein können. Vor sechs Monaten war er in die Leitungsebene eines mittelständischen Unternehmens befördert worden. Doch die Mitarbeitergespräche und die zahlreichen Online-Meetings, in denen er zu mehreren Themen Verantwortung trägt, machten ihm zunehmend zu schaffen, obwohl er fachlich gut qualifiziert ist. Er vergaß manchmal, Aufgaben zu erledigen. Das war ihm früher nie passiert ist. Nur mit hoher Willensanstrengung gelangen ihm noch gute Leistungen in seinem Job. Am Abend war er „fertig mit den Nerven“.
Dazu kam, dass er auch noch unter Schlafstörungen und Rückenschmerzen litt. Seine Freundin Anna fand, dass er reizbarer und viel ungeduldiger war als früher und kaum noch Lust hatte. Carl befürchtete, dass sich neben seinem beruflichen Stress auch noch eine Beziehungskrise ankündigte.
Wie kam es, dass Carl seine Probleme nicht ignorierte und sich damit weiter in der Spirale abwärts bewegte, sondern Hilfe suchte?
Carl weihte seine unmittelbare Vorgesetzte ein. Sie empfand seine offenen Worte nicht als Schwäche, sondern als Ausdruck seiner Loyalität zu ihr und der Firma. Sie schlug ihm aufgrund eigener positiver Erfahrungen vor, einen Coach zu konsultieren.
Wie haben Sie das Coaching mit ihm gestartet?
In unserem ersten Coaching-Gespräch kam Carl schnell zur Sache: „Mein Leben ist total aus dem Gleichgewicht geraten seit meiner Beförderung“, gestand er.
Seine berufliche Stellung wollte er jedoch keinesfalls aufgeben, um in einer minder qualifizierten Tätigkeit zu arbeiten. Vielmehr wolle er weiter aufsteigen. Nur wie das gehen soll, war ihm völlig schleierhaft, wenn er jetzt schon auf dem besten Weg in einen Burn-out sei. Sich selbst charakterisierte er galgenhumorig: „Ich bin karrieregeil und komplett ratlos gleichzeitig!“
Aus seinen Erzählungen kristallisierte sich heraus, dass bisher in seinem Leben alles gut gelaufen war: Episoden von Erschöpfung, Melancholie oder Antriebsschwäche hatte er noch nie erlebt. Seine Kindheit war behütet und glücklich gewesen. Auch in der Schule und Universität gab es keinerlei Rückschläge. Durch Ehrgeiz und Fleiß war ihm „immer alles leicht gefallen. Und jetzt das!“
Sie haben ihm dann vorgeschlagen, die „KoSe ProBe“ zu machen. Können Sie kurz erklären, wofür die Abkürzung steht?
KO steht für KOERPER: Ernähre ich mich gesund und halte ich meinen Körper gesund durch Bewegung und durch ausreichenden Schlaf?
SE steht für SEELE: Wieviel tue ich aktuell für meine seelische Entwicklung, Selbstverwirklichung und Sinn im Leben? Und habe ich noch „unverplante freie Zeit“? Denn unverplante Zeit ist zum Beispiel für die Kreativität unerlässlich.
PRO steht für PROFESSION: Wie ist meine Zufriedenheit im Beruf in Form von Anerkennung und Sicherheit? Wie stark fühle ich mich wertgeschätzt und wie erfolgreich bin ich? Stimmt mein Gehalt?
Und BE steht für BEZIEHUNG zum Partner beziehungsweise zur Partnerin, zu meiner Familie und meinen Freunden.
Wie sah die Bilanz von Carl aus? Waren alle vier Bereiche im Gleichklang, wie zufrieden schätzte er sich selbst ein?
Bewegung und Sport kamen bei Carl entschieden zu kurz, sein Schlaf war miserabel, abends machte er sich Convenience-Gerichte in der Mikrowelle, tagsüber kaufte er sich ein belegtes Brötchen. Im Moment sah er sich da nur bei zehn Prozent. Für sich selbst und seine seelische Entwicklung nahm sich Carl sich gar keine Zeit. Seinen Job empfand er irgendwie schon sinnvoll, allein verging ihm langsam der Spaß dabei. Im Urlaub las er gerne Krimis, sonst nur Fachartikel im Netz. Unverplante Freizeit kannte er seit seiner Schulzeit nicht. Carl sagte: „Da komme ich gefühlt auf höchstens 20 Prozent!“
Seine berufliche Zufriedenheit gab er mit guten 70 Prozent an. Es gehe objektiv aufwärts im Beruf, sein Gehalt sei gut. Für die Altersversorgung können er was zurücklegen. Und seine Chefin erzählte ihm, dass sein Team ihn fachlich sehr schätze.
In seiner Beziehung kam vieles entschieden zu kurz, seine Zufriedenheit lag höchstens bei 20 Prozent! Nicht nur quantitativ, auch die Qualität seiner sozialen Beziehungen spielten sich auf höchst überschaubarem Niveau ab.
Was ist der Zweck dieser Bestandsaufnahme?
Um Carl klarzumachen, wo er in seinem Leben steht, helfe ich ihm mit folgender Metapher: Das ist wie bei einem Stuhl, der vier Beine hat: Das erste Bein, das für KO steht, das zweite Bein, das für SE steht und das dritte Bein, das für BE steht, sind bei Carls Selbsteinschätzung sehr wackelig. Nur das Bein, das für PRO, seinen Beruf steht, scheint mit 70 Prozent noch einigermaßen stabil. Doch wer schafft es schon, auf nur einem einzigen halbwegs stabilen Stuhlbein zu balancieren?
Durch diese Metapher wurde Carl also klar, dass er nicht nur ein berufliches Problem hat? Sondern, dass er an vielen Stellschrauben drehen muss?
Genau, Carl dachte, sein Problem liege allein im beruflichen Bereich. Und er müsse nur da was dran ändern. Jetzt erkannte er, dass seine Probleme und Beschwerden vor allem in den anderen Lebensbereichen lagen. Ich schlug ihm vor, dass er für die einzelnen Lebensbereiche attraktive Zielzustände definieren und sich danach auf einen realistischen und verbindlichen Weg begeben sollte, um diese Ziele in den kommenden Monaten zunehmend zu erreichen.
Hier kommt die „Magie der attraktiven Ziele“ ins Spiel?
Genauso ist es. Magisch werden Ziele, wenn man sich mit allen Sinnen in diese hinein imaginiert, sich also vorstellt, diese schon erreicht zu haben und dann beschreibt, was man sieht, hört, spürt.
Carl formuliert seine Ziele überzeugend:
Zu KO: „Körperlich bin ich beschwerdefrei. Ich merke das an einem beweglichen, entspannten und gleichzeitig muskulär stabilen Rücken“, ohne schmerzhafte Steifheit. Ich schlafe sieben Stunden durch, ohne Albträume oder nächtliche Grübeleien.
Ich ernähre mich gesund und bin fit. Dafür mache zweimal pro Woche ein Ausdauertraining wie Joggen oder Radfahren. Das macht meine Freundin ja auch und gemeinsam wird das sicher toll!“
Zu SE: „Ich bin ausgeglichen und gut drauf. Ich habe immer ein interessantes Buch auf dem Nachttisch.“
Zu PRO: „Ich freue mich aufs Büro, kann morgens bei Arbeitsbeginn tief durchatmen und gehe optimistisch meine To-Dos an. Ich erledige die ‚dicken Brocken‘ direkt morgens. Ich tue mein Bestes, um ein guter Mitarbeiter und Vorgesetzter zu sein. Ich plane mehrere kleine Zeitpuffer am Tag ein“.
Zu BE: „Ich liebe meine Freundin und erlebe Harmonie in der Partnerschaft. Ich spüre das an einem positiven Kribbeln im Bauch und einer strömenden Wärme, wenn wir uns umarmen.“ Kurz gesagt: „Ich spüre eine gute Balance in mir und meinem Leben.“
Das hört sich perfekt an. Zu perfekt? Was sagt der innere Schweinehund zu den hochtrabenden Visionen? Der beste Planer scheitert oft an der Umsetzung, weil er ein miserabler Macher ist.
Das stimmt. Viele Zielerreichungen sind an der Realität gescheitert, weil es in der konsequenten Umsetzung fehlte. Häufig findet man Ausreden, wie zum Beispiel doch nicht joggen zu gehen, weil man ja bereits beruflich einen erfolgreichen Tag hingelegt hat. Doch die Zielerreichung gelingt nur erfolgreich und nachhaltig durch verbindliches Commitment für den Weg zum Ziel. Denn die Neurowissenschaft zeigt klar, wie aus einem Vorsatz eine Gewohnheit wird: nur durch regelmäßige Wiederholung und Einübung über einen ausreichend langen Zeitraum.
Wie erfolgreich war Carl in der Umsetzung seiner Pläne? Wie konnten Sie ihn dabei unterstützen?
Sein größtes Defizit war für Carl ja seine Körperlichkeit („KO“). Er begann mit Joggen, zweimal pro Woche nach Büroschluss für 30 bis 45 Minuten. Er hielt dies mit dem ihm eigenen Fleiß und Ehrgeiz diszipliniert ein. Sein Schlaf besserte sich dadurch merklich. Seine Freundin fand es toll, dass er seitdem fitter und „insgesamt auch besser drauf“ ist. Regelmäßige Treffen mit Freunden und Familie haben in ihrer Wahrnehmung die Beziehung „auf ein solideres Fundament“ gestellt. Im Verlauf regelmäßiger Coaching-Treffen helfe ich Carl, weitere neue gewünschte Verhaltensweisen zu integrieren. Besonders hilfreich sind für ihn neue unterstützende Glaubenssätze. Seinen stärksten „Antreiber“-Satz, der ihn immer wieder in Stress versetzt hatte: „Ich muss immer der Beste sein“, verwandelt er in eine empathische Selbstvergewisserung: „Ich bin Carl – und das reicht!“
Ihr Coaching ging über drei Monate. Wie hat sich Carls Leben mit ihrer Unterstützung entwickelt?
Bei einem Supervisionstermin zwei Monate nach Abschluss des Coachings berichtet mir Carl stolz, dass er im Mitarbeiterjahresgespräch ein tolles Feedback bekommen hat. Als Führungskraft und Mitarbeiter, dem alles scheinbar mühelos gelingt. Er selbst empfindet sich als erfolgreich im Job, er hat Zeit für Partnerschaft und Sport und fühlt sich dabei seelisch ausgeglichen und freundlich. Seine Wochen- und Tagesstruktur ist zu einer ihn stützenden Routine geworden. Seine gesundheitlichen Themen sind passé. Und: Sie erwarten ihr erstes Kind. Die allerschönste neue Herausforderung!