Schon im Alter von zehn Jahren packt ihn das Theaterfieber. Heute ist der Schauspieler Paul Kustermann am liebsten als Clown unterwegs, um Menschen in schweren Zeiten zu helfen. Der gebürtige US-Amerikaner bildet auch andere für diese Aufgabe aus.
Es ist ein Vergnügen, diesen Mann kennenzulernen. Paul Kustermann, der sich auf seiner Webseite als Humorexperte und Kommunikationstrainer bezeichnet, ist nicht nur mit einer Größe von 1,90 Metern eine beeindruckende Person, sondern es sind vor allem sein wacher Blick, noch mehr aber seine tiefe, angenehme Stimme, die Herzlichkeit und Offenheit ausstrahlen. Von ihm geht Ruhe aus, Hektik und Nervosität sind ihm fremd und so passt es, dass dem Gast in seiner großen Wohnung in Berlin Friedrichshain Tee und Gebäck gereicht wird. Das „Du“ als Anrede scheint dem 1955 in Minneapolis, USA, geborenen Mann selbstverständlich, vielleicht weil Amerikaner in ihrer Art „nice and friendly“ sind, vielleicht aber auch, weil Paul einfach nur ein Menschenfreund ist. Sich selbst bezeichnet er am liebsten schlicht als Clown und es zeigt sich, dass er dies weniger als Berufsbezeichnung, sondern mehr als seine Lebenseinstellung versteht.
Als Kindheitserinnerung fällt ihm ein, mit seinem Vater im Ruderboot zum Angeln auf den See gefahren zu sein, denn in Minnesota bekäme man statt einer Geburtsurkunde einen Angelschein. Dabei lacht er. Paul hat Freude an pointierten Formulierungen. Das mag in seinem liberalen Elternhaus üblich gewesen sein, denn in der großen Familie wurde immer viel diskutiert, gelacht und neben dem Interesse an Bildung, Kunst und Sprachen galt Sinn für Humor als Tugend. Paul wuchs zusammen mit seinen zwei Brüdern auf, daneben gab es vier ältere Schwestern, und so lief er als letztes der sieben Kinder seines Vaters eher ein wenig nebenher. So wussten die Eltern auch nicht, dass der zehnjährige Paul nicht ganz so harmlos war, wie man es von dem Schüler einer katholischen Grundschule annahm. Er knackte Fahrradschlösser, vertauschte sie und empfand diebisches Vergnügen daran, die Besitzer in Verwirrung zu stürzen. Später hat er die Schäden wieder gut gemacht und sich für seine Schandtaten entschuldigt. Da wollte er schon nicht mehr Priester werden, obwohl er nach der Grundschule weiterhin eine katholische High School besuchte, weil sie bessere Bildung versprach.
Als Kind Theater in der Garage gespielt
Paul geht gern zur Schule und in den folgenden Jahren probiert er einfach aus, was ihm Spaß macht. Er ist handwerklich begabt, repariert in der Nachbarschaft, was nicht mehr funktioniert. Sport begeistert ihn ebenso wie Akrobatik, in der Garage lädt er zu kleinen Vorstellungen ein, und dann wird er plötzlich vom Theatervirus angesteckt. Seine Mutter hatte Pauls Talent für Darstellung bemerkt und als das renommierte Tyrone Guthrie-Theater Kinder für die Aufführung eines Weihnachtsmärchens sucht, bringt sie ihn hin. Den Zehnjährigen lässt von nun an das Bühnenfieber nicht mehr los. In den folgenden Jahren betrachtet er das Theater, Zauberei und Schauspielerei noch als ein Hobby, einen Spaß für nebenbei, denn zunächst will er Physiker und Forscher werden. In seiner ganzen Familie, vom Vater bis zum Onkel, waren alle Ingenieure, sein Interesse gilt erneuerbaren Energien. Doch mit der Zeit kommen ihm Zweifel. Seine Forschungen müsste er selbst finanzieren, sich mit Politik und der mächtigen Ölindustrie anlegen – kann er das?
Jetzt muss er sich entscheiden, und er entscheidet sich fürs Theater. Lange Zeit, so sagt Paul, habe er ein schlechtes Gewissen gehabt wegen des Gefühls, kapituliert zu haben. Aber dennoch: Die Entscheidung für die Bühne habe er nie bereut. Er absolviert ein Theaterstudium an der Universität von Minnesota, eine Bewegungslehre in Modern und Jazz Dance, eine Pantomime-Ausbildung. Außerdem besucht er die DellArte School of Mime and Comedy. Von 1976 an ist er wirklich ein Profi. Noch aber ist er nicht der Clown, der ihn wirklich bekannt machen sollte. Will er Theater machen, Film oder hauptsächlich Regie?
1983 kommt er zum ersten Mal nach Deutschland, die Deutschen, so sagt er, mochten ihn als Amerikaner, hier gab es die meisten Auftrittsmöglichkeiten. Danach geht Paul mehrere Jahre auf Tournee durch ganz Europa, bis er nach der Wende endgültig in Berlin heimisch wird – der Liebe wegen, hier lebt seine Frau. Doch es ist zu dieser Zeit schwierig, als Amerikaner an den bekannten Bühnen wie dem Gorki Theater oder dem Berliner Ensemble Beschäftigung als Regisseur zu finden. Für eine solche Karriere hätte er in die ostdeutsche Provinz gehen müssen, wo vor allem bewährte Komödien gefragt waren. Ausgerechnet das will er aber nicht. Ihn reizt die Arbeit mit neuen Autoren an neuen Stücken.
Schon in den 70ern als Clown in den USA
Wie so oft entscheidet der Zufall den weiteren Lebensweg, wenn er auf Können und Erfahrung trifft. Schon in den 70er-Jahren war Paul in Kalifornien mit einer Clown-Theatergruppe unterwegs, die sich auch sozial engagierte und unter anderem in Krankenhäusern auftrat. Jetzt, gut 20 Jahre später, trifft er im Rahmen eines Workshops auf drei gleichgesinnte Kollegen, mit denen er die Initiative der späteren Klinik-Clown-Bewegung „Rote Nasen“ ergreift. Gerade der Clown, so die Idee, kann bei der Bewältigung von Krisen oder schweren Konflikten helfen.
Das allerdings setzt voraus, dass man sich von dem einseitigen Bild des lauten, tollpatschigen und durchgängig albernen Hans-Wurst verabschiedet. Auch die Deutschen, denen ja eine gewisse Sauertöpfigkeit nachgesagt werde, hätten herausragende Komiker und Humoristen mit Tiefgang hervorgebracht. Besonders bewundert Paul Erich Kästner, H.W. Kulenkampff und Loriot. Sie alle hätten die Kunst beherrscht, die Menschen zu berühren, da sie authentisch und ihre Figuren komisch oder gar absurd waren.
1994 also findet Paul Kustermann seine eigentliche Berufung: Als Clown Menschen in Krisen zu besuchen und andere Schauspieler für diese Aufgabe auszubilden und zu begeistern. Auf zahlreichen Weiterbildungsseminaren wie dem „Clownlabor“ und „Humor in der Pflege“ vermittelt er, dass Humor hilft, Abstand zu gewinnen und mit einem neuen Blick die verschiedensten Situationen zu erfassen. Paradoxien können überraschen und Paul zitiert Woody Allen, der einmal sagte: „Ich habe keine Angst vor dem Sterben, ich möchte nur nicht dabei sein, wenn es passiert.“ Wer in Konflikte oder Krisen gerät, verliert sehr oft den Humor, Angst- oder Fluchtreflexe verhindern Kommunikation, Bewältigung und Akzeptanz. Der Clown aber gibt nie auf, seinem Gegenüber eine wohlwollende Haltung zu bewahren, und er vermittelt die Hoffnung, dass auch etwas Gutes in dem sein kann, was gerade passiert. Der Humor ist gleichsam sein Zauberstab, eine gewisse Naivität stellt immer die Frage „Was wäre wenn?“ und das Lachen baut die Spannungen ab. Mit einer kleinen, ironischen Bemerkung kann das ganze Elend dieser Welt zusammengefasst werden und ein kleines Lächeln hervorzaubern.
Klinikclowns wie die „Roten Nasen“ sind erfahrene Künstler und Schauspieler, die für ihre Auftritte besonders vorbereitet und ausgebildet werden. Ihre Arbeit in Hospizen, Kinderkrankenhäusern, Altenheimen oder auch in Flüchtlingsunterkünften ist nichts, was man nebenbei aus dem Ärmel schüttelt. „Wie finden wir einen Weg, herauszufinden, was uns über Wasser hält?“ Dies sei eine zentrale Frage der Ausbildung, und Paul Kustermann, der sich früher auch schon mal als Jazzmusiker versuchte, zitiert in diesem Zusammenhang Miles Davis: „Man muss sein Instrument beherrschen, die Musik und seine Mitspieler gut kennen, in jedem Fall gut vorbereitet sein. Auf der Bühne jedoch spielt man mit Herz und Intuition, nicht mit dem Verstand.“ Würde er seine letzten Jahre in einem Altenheim verbringen, pflegebedürftig oder gar dement werden, würde er dann einen Clown an seinem Bett willkommen heißen? Paul Kustermann lacht. Ja, natürlich, sagt er. Aber zwei Dinge wären ihm ebenso wichtig: Gutes Essen und seine Bereitschaft, sich voller Vertrauen pflegen zu lassen. Aber bis dahin ist noch lange Zeit.
Wenn er sich nicht mit Fragen des Humors beschäftigt, keine Ausbildung leitet oder selbst als Clown auftritt, bleibt er in Verbindung zu seinem Ziehsohn, fährt Ski, besucht Musikkonzerte und Tanzveranstaltungen und ansonsten kocht er gern. Aber da ist noch etwas. Er sei, so sagt er zum Schluss, in eine neue Schaffensphase eingetreten. Er schreibt an einem Buch. Schwer vorstellbar, dass es darin nicht humorvoll zugehen wird. Und für ein Foto will er sich im Hinterhof unbedingt auf eine Schaukel setzen. Das passt zu ihm, denn auch beim Schaukeln kitzelt es ein wenig im Bauch und man sieht die Welt um sich herum aus einer neuen Perspektive.