Der Bauckhof in Klein Süstedt gehört zu den ältesten Demeter-Höfen weltweit. Wer veraltete Technik und Arbeitsformen sucht, ist hier falsch. Nur eine Tradition aus Anfangszeiten hat überlebt. Und der unbedingte Wille, an den eigenen Idealen trotz schwerer Zeiten nicht zu rütteln.
Erst sorgte die Corona-Pandemie für einen wahren Bio-Boom, dann folgte die Talfahrt. Der Bauckhof in Klein Süstedt hat schwierige Monate hinter sich. Der Ukraine-Krieg und seine Folgen stürzen den Betrieb in eine Krise. Die Kosten steigen, der Absatz von Eiern und Fleisch sinkt. „Unser Betrieb ist nicht resilient genug für eine Kriegssituation, wie wir sie gerade in der Ukraine erleben, obwohl wir weder unmittelbar noch mittelbar etwas damit zu tun haben“, sagt Geschäftsführer Carsten Bauck (46). „Das ist richtig frustrierend.“ Die Energiekrise und die galoppierende Inflation schröpfen die Geldbörsen der Menschen. Die Konsumlaune ist im vergangenen Jahr auf ein Rekordtief gesunken. Auch auf dem Bauckhof brachen seit Kriegsbeginn die Verkaufszahlen ein. „Die Menschen, die vorher Demeter gekauft haben, kaufen jetzt EU-Bioprodukte oder greifen statt zu Bio-Eiern zu Freilandeiern. Und die Gruppe derer, denen es egal ist oder die einfach nicht anders können, wird immer breiter.“ Carsten Bauck schüttelt den Kopf. „Die Ideale, die vorher nicht hoch genug sein konnten, sind plötzlich völlig irrelevant.“
Seit gut 20 Jahren führt der Demeter-Landwirt einen der drei Bauckhöfe am Rand der Lüneburger Heide. An seiner Seite Yanic Arndt, der die Fleischmanufaktur verantwortet. Neben dem Ursprungsbetrieb in Klein Süstedt sind auch die Höfe in Stütensen und Amelinghausen sowie die Mühle in Rosche Teil der Bauckhof-Assoziation. Carsten Baucks Familie betreibt die Höfe in der dritten Generation. Es waren seine Großeltern, Wilhelmine und Eduard Bauck, die einst den Hof aus Sorge um die Bodenfruchtbarkeit auf ökologische Landwirtschaft umstellten. Eduard Bauck waren die fehlenden Regenwürmer im hoffnungslos kunstüberdüngten Boden aufgefallen. Mit den biologisch-dynamischen Präparaten sollte sich das ändern. Ihre Produkte vermarkteten sie fortan unter dem Verbandsnamen „Demeter“, dem ältesten Bio-Verband Deutschlands. Über 90 Jahre ist das her.
Seitdem hat sich viel verändert. 1969 wurden die drei Höfe und das dazugehörende Land aus dem Privateigentum heraus in die gemeinnützige Landbauforschungsgesellschaft überführt. So konnten auch die kommenden Generationen die Höfe weder verkaufen noch vererben. „Das war und ist eine große Chance – für die Bauckhöfe, aber auch für diejenigen, die zu uns kommen und hier gute Landwirtschaft betreiben und Neues ausprobieren wollen“, sagt Carsten Bauck. Der Generationenwechsel zur Jahrtausendwende und die neuen Impulse in der Biobranche brachten den nächsten großen Wandel.
„Meine Eltern waren Gemüsebauern, hatten einen Hofladen und nur wenige Mitarbeitende“, erinnert sich Carsten Bauck. „Wirtschaftlich war der Betrieb nicht mehr existenzfähig.“ Die sandigen Heideböden und die gestiegenen Ansprüche der Kunden und Kundinnen, die „keine abgeknickten Möhren oder Rosenkohl mit braunen Pickeln mehr wollten“, machten den Gemüseanbau unrentabel. „Für mich war klar: Mit Gemüse kommen wir nicht weiter. Wir müssen den Betrieb wirtschaftlich drehen“, sagt Carsten Bauck. Seine Leidenschaft sei das Geflügel gewesen. „Ich wusste, dass es in der Demeter-Szene zwar eine tolle Rinderhaltung gibt, aber kaum gute Geflügelhaltung. Das war etwas, worauf man aufbauen und eine Nische belegen konnte.“ Heute leben 11.000 Masthähnchen, 7.000 Legehennen und bis zu 60 Bullen auf dem Hof. Eine Erfolgsgeschichte.
Miteinander aus Ttradition
Das alte Bauernhaus im Dorfkern von Klein Süstedt steht noch. Carsten Bauck öffnet die weiß-mintfarbene Holztür, die ins Haus hinein führt. „An dem Tisch habe ich schon als kleiner Stöpsel gesessen“, sagt der Landwirt und zeigt auf einen langen Holztisch im Esszimmer. Seit jeher ist das Zusammenkommen am Esstisch fester Bestandteil im Tagesablauf – eine Tradition, an der Carsten Bauck festhält. „Von den alten betrieblichen Strukturen ist kaum etwas geblieben“, sagt er, „aber von den Dingen, die uns antreiben, dem Miteinander, dem Willen, diesen Ort gemeinsam zu gestalten, ist ganz viel geblieben.“ Seine Frau und seine Mutter kochen jeden Tag für „die ganze Kombo“. Der Anteil an Demeter-Produkten auf dem Tisch sei hoch. „Der Rest ist Bio“, sagt Carsten Bauck, überlegt kurz und erzählt dann von dem konventionellen Schokoaufstrich, auf den einige Mitarbeitende bestehen. „Der steht dann halt auch auf dem Tisch“, sagt er und lacht, „ich will hier ja kein ‚Demeter-Nazi‘ sein, wie ein Mitarbeiter mich schon mal bezeichnet hat.“ Die „Truppenverpflegung“ koste richtig Geld, darauf verzichten will der Landwirt trotzdem nicht. Zu wichtig sei die gemeinsame Zeit am Tisch, die Gespräche, der Austausch. Nur auf das Tischgebet haben sie irgendwann verzichtet.
Rund 50 Mitarbeitende hat der Hof in Klein Süstedt. Einer von ihnen ist Ulf Elbers-Gowin (41), der
gerade in einem roten Traktor mit Futtermittel-Anhängern auf den Hof gerattert kommt. Der gelernte Landwirt arbeitet seit fünf Jahren in Klein Süstedt, ist dort für das Geflügel und die Rinder zuständig. Vorher hat er auf dem Bauckhof in Amelinghausen einen Geflügelbereich mit vier Mastställen aufgebaut. „Aber vier Ställe haben mir nicht ausgereicht und weiter wachsen wollten sie dort nicht.“ Deswegen sei er nach Klein Süstedt gekommen. „Das hier ist ein moderner landwirtschaftlicher Betrieb“, sagt er. Veraltete Technik gebe es hier längst nicht mehr – das sei auch in fast allen anderen Biobetrieben so. „Aus dem Schatten ist Bio längst rausgetreten.“ Was ihm besonders gut gefällt: Dass er eigene Vorschläge nicht nur einbringen, sondern auch umsetzen kann. Niemand klammere sich an althergebrachte Methoden und Techniken.
Arbeitsbeginn ist um 6.30 Uhr. Dann macht Ulf Elbers-Gowin immer zunächst eine Runde durch alle Stalleinheiten, schaut, wie es den Tieren geht. „Ich kann hören, wenn es einem Tier nicht gut geht“, sagt er. Das Leben jedes Tieres auf dem Hof sei wertvoll, sagt Carsten Bauck, „trotz der intensiven Tierhaltung auf dem Hof.“ Gemessen an konventionellen Höfen sei sie natürlich deutlich extensiver, „aber im Vergleich zum natürlichen Kreislauf der Natur betreiben wir hier Massentierhaltung“. Carsten Bauck ist niemand, der Dinge verklärt. „Ich kommuniziere oft recht unverblümt.“ Auch wenn das nicht immer jedem gefällt. „Als ich im Fernsehen sagte, dass Ökolandbau nicht vegan geht, gab es in den sozialen Medien sofort Alarm.“ Die wüsten Beschimpfungen tut er mit einem Achselzucken ab. „Ich bin Überzeugungstäter und möchte morgens noch in den Spiegel gucken können“, sagt er und lacht, „auch wenn mir von Tag zu Tag weniger gefällt, was ich dort sehe.“
Transparenz ist wichtig
Er geht über den Hof zum Stall der Küken. Carsten Bauck klopft an eine Holzlade und öffnet sie langsam. „Hier ist gerade Siesta“, flüstert er und blickt auf das Meer an gelben Küken. Transparenz ist Carsten Bauck wichtig. Auf dem weitläufigen Hofgelände öffnet er überall Türen, zeigt, wo das Futter gemischt wird oder die Hühner geschlachtet werden. Wobei die Schlachterei bei vielen Besuchern wenig beliebt sei. „Aber eine logische Konsequenz aus Tiere halten ist Tiere töten.“ Auf dem Bauckhof soll es ein schneller, möglichst schmerz- und angstfreier Tod sein. „So wenig schlecht wie es geht“, sagt er, „es ist immer noch kein Kindergeburtstag.“ Die Anlage überprüfe, ob jedes Tier richtig betäubt ist. Ist das nicht der Fall, werde es mit dem Plastikknüppel nachbetäubt. In konventionellen Schlachtereien würden immer wieder Tiere lebend und schwerstverletzt in den Brühkanal kommen. „Bis zu vier Prozent der Tiere dürfen unbetäubt in die Anlage laufen“, sagt Carsten Bauck, „das ist maximal eklig“. In Klein Süstedt ist das oberste Gebot im Schlachtraum: kein Geschrei, kein Stress, keine Hektik.
Der Bauckof setzt auf Ganztierverwertung. „Wir verarbeiten die Tiere von nose to tail.“ Viele Menschen beschränken ihren Fleischkonsum jedoch auf die Edelteile. Bei Hähnchen ist das die Brust. Doch wohin mit dem Rest des Tieres? „Was garantiert nicht geht, ist, dass ein Händler bei uns nur Hähnchenbrust bestellt.“ Denn dann würden sich schnell Hähnchenkeulen, Unterkeulen und die Flügel im Lager türmen. „Wir haben ja keinen Export nach Afrika, wo wir unseren Kram als humanitäre Hilfe verklappen können. Es muss immer eine Verhältnismäßigkeit geben.“ Bis zum letzten Jahr habe das wunderbar funktioniert, aber jetzt weigern sich die Händler. „Aber was sollen wir machen? Es geht ja nicht anders.“
Aber momentan soll Bio vor allem eins sein: billig. „Insofern trifft uns dieser Krieg in unserem absoluten, tiefsten Verständnis.“ Kompromisse eingehen? „Nicht mit uns“, sagt Carsten Bauck. „Ich bleibe Überzeugungstäter und möchte ehrlich durchs Leben gehen.“ Gleichzeitig will er keine Tierhaltung für die Einkommenselite betreiben, „sondern für Menschen, die den Sonntagsbraten an sich noch verstehen“. Nun müsse man gucken, wie das gelingt. Nicht nur in den Vertriebsstrukturen müsse sich etwas ändern. „Wir müssen in Zukunft eindeutig mehr in Richtung Blingbling gehen, sprich mehr in Marketing und Verpackung investieren.“
Bei der Initiative Bruderhahn, die Carsten Bauck 2013 mitbegründete, habe die Vermarktung gut geklappt. Die Verbraucher und Verbraucherinnen hätten ohne zu zögern vier Cent mehr für das Ei bezahlt, um das massenhafte Töten der männlichen Küken zu stoppen.